Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
01.10.2010

900 Überstunden und ein Leichenwagen zur Dienstfahrt

Beide Themen stehen nicht in einem Sachzusammenhang. Dass das LAG Köln eben entschieden hat, ein Arbeitnehmer, dem ein Dienstfahrzeug zur Privatnutzung zugestanden wird, dürfe nicht mit einem Leichenwagen abgespeist werden, löst gerade bundesweite Lachsalven aus (nicht deshalb, weil die Entscheidung falsch wäre…). Wegen des besonderen Charakters dieses Fahrzeugs könne man dem Kläger das nicht zumuten; das, so das LAG, bedürfe keiner Vertiefung. Eine echte Meinungsfrage. Wir vertiefen nicht. Wenn die Kinder auf Gothic-Look stehen, werden sie jedenfalls nichts einzuwenden haben, wenn Papa Reaper sie von der Schule abholt… Wenden wir uns also dem Wahren und Schönen zu, Leichenwagen sind zu gruselig: In Berlin, das muss man vor dem Wochenende noch mitteilen, gibt es eine Menge Anwälte. Trotz des Rückzugs des sog. Normalarbeitsverhältnisses (das Gegenstand des deutschen Juristentags war) gibt es auch ein paar davon, die einen Arbeitsvertrag haben. Einer jedenfalls hatte mal einen solchen, wie die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 3.06.2010 (15 Sa 166/10) zeigt, deren Gründe jetzt vorliegen. Der Kollege arbeitete für immerhin 80.000 EUR brutto Jahresgehalt zuzüglich Bonus. Und häufte in gerade einmal zwei Jahren 900 (!) Überstunden an. Die wollte er ausbezahlt haben. Viel Arbeitsrecht kann die Kanzlei nicht gemacht haben, die ihn beschäftigt hat - die pauschale Überstundenabgeltung im Arbeitsvertrag ist eigentlich immer schon unwirksam gewesen. Interessanter - deshalb wurde auch die Revision zugelassen - ist die ungeklärte Frage, wann ein Arbeitgeber Überstunden “entgegennimmt” (und dann wegen § 612 BGB auch ohne Vereinbarung vergüten muss). Hier schaute man mit großen blauen Augen und sagten einfach “oh, hat der immer so viel gearbeitet? Habe ich gar nicht gemerkt…”. Gereicht hat die Verteidigung auch deshalb nicht, weil der Kollege minutiöse Stundenzettel fertigte (billable hours…), die seine Vorgesetzte angeblich nie angesehen hatte…Wegschauen als Verwirkungsgrund. Das wird also jetzt das BAG beschäftigen und in der Tat das Überstundenrecht prägen. Dass die Beklagte auch meinte, die Freistellung für einen Notarkurs sei eigentlich keine bezahlte Arbeitszeit gewesen, mach den Fall nur noch runder. Das Urteil ist ein Querschnitt durch alle Rechtsprobleme, die sich so mit angestellten Anwälten stellen. Prädikat: besonders wertvoll!