Fiktion: Alle arbeiten in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit wird ausgetrocknet, Stundenlohn ab 8,50 brutto (Wahlprogramm DIE GRÜNEN, S. 89 f.). Ende der Fiktion: Eigener Geldbeutel. Realität: Leistungen werden „ausgeschrieben“, auch bei der Heinrich-Böll-Stiftung, und zwar, wie die Sprecherin der Presse sagt,
„ganz klar nach wirtschaftlichen Kriterien“
Also: Immer nur der Billigste. Der kommt dann auf – nein, nicht drei Euro, wie in den Schlachthöfen – gerade mal 8 EUR. Und unzumutbare Arbeitszeiten und -bedingungen. Die Presse – hier der Berliner Tagesspiegel – schreibt Gottseidank noch nicht „Skandal“. Denn das Problem geht tiefer.
Während in den Schlachthöfen tatsächlich von drei Euro die Stunde durch die „Werkvertragshintertür“ ausgegangen werden muss, ist das Dilemma der Böll-Stiftung altbekannt, hausgemacht und trifft alle anderen politischen Stiftungen wie auch den Staat selbst. Die Stiftungen leben von öffentlichem Geld und werden entsprechend rigide kontrolliert. Sie müssen jeden Popel ausschreiben – und „billig“ bei einer Dienstleistung wie dem Aufstellen von Veranstaltungsmaterial ist immer gleich „wirtschaftlich“. Im Wesentlichen sind ihnen die Hände gebunden und wenn die anderen Stiftungen versichern, sie forderten „Tariflöhne“, dann finde ich das toll. Ehrlich. Aber wissen die immer, was sie da sagen? Für einen, der Plakatwände aufbaut, gibt es keinen Tarifvertrag, dessen Anwendung man in Betracht ziehen kann. Ob immer jemand vor der Vergabe von 750 Euro für Tontechnik dasitzt und nach einem angepassten Tarifwerk sucht? Sehr, sehr zweifelhaft. Also: Die Stiftungen können gar nicht anders, auch wenn alle schmunzeln, dass es jetzt die grüne Stiftung erwischt.
Und der Staat kann auch nicht anders, sonst wird ihm Verschwendung vorgehalten. Das ist nichts Neues: Alle applaudieren zu 13,70 EUR Baumindestlohn. Aber der Staat hat echt keinen Bock, Bauprojekte so teuer zu bezahlen. Für diese zynische hybride Haltung schickt derselbe Staat gerne mal einen Unternehmer ins Gefängnis und einen Nichtdeutschen in Abschiebehaft.
Der gesetzliche, einheitliche Mindestlohn steht bei allen Parteien jetzt hoch im Kurs. Er wäre ein Teil von Maßnahmen, um diese Streitigkeiten zu vermeiden. So weit, so schön.
Dass die Pressionen der „freien Wirtschaft“ schnell alle politischen Grundsätze verblassen lassen, zeigen weitere Äußerungen, die dem Tagesspiegel gegenüber gemacht werden.
Auf Drittfirmen müsse man zurückgreifen, weil bestimmte Tätigkeiten zu unregelmäßig gebraucht würden
Das ist aber böse neoliberal, Ihr Grünen!
Wie sagt das Bundesarbeitsgericht so schön? Die bloße Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Arbeitsmenge rechtfertigt weder eine Befristung noch schafft sie ein dringendes betriebliches Bedürfnis für eine Kündigung.
So schnell wird man eines Besseren belehrt. Durch die Realität. Arbeitsmengen schwanken. Was man in Einsatzplanungen investieren muss, um das mit „regulären“ Mitarbeitern abzudecken, ist enorm. Für den öffentlichen Dienst bleibt dann nur die „Ausschreibung“, also die Einforderung maximaler Flexibilität und letztlich die Umgehung der doch politisch mit so heißem Kopf verteidigten Regeln etwa des Kündigungsschutzes.
Einer sollte sich aber über die grüne Stiftung keinesfalls erheben. Von der Linken hieß es auf Anfrage des Tagesspiegels:
Die linke Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigt nach eigenen Angaben bei einzelnen Veranstaltungen Honorarkräfte für 12 Euro pro Stunde.
Wow. Inklusive Versicherung liegt das massiv unter dem Mindestlohn, der jetzt von der Linken auf allen Plakaten gefordert wird (10 EUR brutto/Stunde). Und „Honorarkräfte“? Das Wort ist schlimmer als „Lohndumping“, „Werkvertrag“ oder – in allgemeinpolitischen Diskussionen – „Autobahn“. Was soll man da sagen…der selbständige Mitarbeiter, der morgens um 7 da sein muss und allen Anweisungen zu folgen hat, Arbeitsmittel: Nur er selbst. Wir wünschen Euch nur: Das hat kein Prüfer der Rentenversicherung gelesen. Sonst gibt es demnächst einen Satz heißer Ohren. Zu vergoldender heißer Ohren.
Nebenbei: Anfang September wollen einige der Mitarbeiter von Drittfirmen ihre Position gegen die Böll-Stiftung beim Arbeitsgericht ausfechten. Mit dabei ein alter Bekannter auf diesem Blog: Die syndikalistisch organisierte Gewerkschaft FAU.