Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
13.05.2013

„Suchen Sie sich Ihr Kündigungsdatum doch selbst raus!“

In Zu Leipzig, dieser Tage:

Sehr geehrter Herr/Frau,

wir kündigen Ihr Arbeitsverhältnis! Vielen Dank.

Ihr Geschäftsführer

Multipliziere mit 100.

Das ist der Gegenstand eines Rechtsstreits aus Leipzig, und es sind wohl um die 100 Kündigungen ausgesprochen worden (Arbeitsgericht Leipzig – auf Betreiben des DAV u.a. hier in der Rheinischen Post). Dazu wird jetzt berichtet, dass die Kündigungen nach Meinung der Leipziger Richter unwirksam seien. Was also war schief gelaufen?

Stein des Anstoßes war, dass der Kündigung offenbar jedes Enddatum fehlte. Wir kenne zwar das (noch nicht online verfügbare) Urteil nicht genau, aber nach den Presseberichten hat die Kündigung etwa so ausgesehen, wie wir das oben mitgeteilt haben.

Braucht eine Kündigung denn ein “Enddatum”?

Das Gesetz sagt dazu nichts. Jetzt könnte man meinen:

Eine Kündigung ist immer „ordentlich“, also fristgerecht, und die Frist ergibt sich ja aus Gesetz, Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag. Wenn ich nicht „außerordentlich“ (fristlos) hinzusetze, ist das doch klar, oder? Außer fristgemäßen Kündigungen gibt es eben nur außerordentliche, und da sagt die Bezeichnung ja schon, dass sie sozusagen etwas Besonderes sind. Man könnte auch meinen: Es wird ja alles „ausgelegt“ und warum sollte man die Wirksamkeit der Kündigung, wenn man sich die Frist ja heraussuchen kann, an der fehlenden Angabe eines Zeitpunkts scheitern lassen? Und man könnte sich erinnern, dass auch Nicht-Arbeitsrechtler wissen, dass Kündigungen am besten so formuliert sind:

Hiermit kündigen wir das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.7.2013, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

(Auf den Fettdruck kommt es an). Diese Annahme stimmt sogar (BAG, Urteil vom 9.9.2010 – 2 AZR 714/08). (Aber wehe, Sie lesen das alles zu genau! Ein Abgrund intellektueller Tiefe tut sich dann auf!)

Also was ist los in Leipzig, das Tal der Ahnungslosen war doch weiter östlich und auch sonst ist nicht belegt, dass es mit der Arbeitsgerichtsbarkeit in Verbindung gebracht wird?

Nun, die soeben angestellten Überlegungen sind alle vernünftig und klingen richtig. Es gibt keine Einwände dagegen. Außer: Das Bundesarbeitsgericht sieht das anders. So etwas wiegt schwer, im Arbeitsrecht. Freilich, der Satz

Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitnehmers, darüber zu rätseln, zu welchem anderen als in der Kündigungserklärung angegebenen Termin der Arbeitgeber die Kündigung gewollt haben könnte.

stammt aus einem Urteil von 2010 (Urteil vom 1.9.2010 – 5 AZR 700/09), in dem es um die Auslegung einer Kündigung mit Datum (nur eben einem falschen Datum) ging. Den konkreten Fall aus Leipzig – eine Kündigung ohne jede Erklärung zum Ende – betrifft das nicht unmittelbar. Aber irgendwie wird immer von einem „Bestimmtheitsgebot“ geredet. Damit ist gemeint, dass Willenserklärungen so bestimmt sein müssen, dass man mit ihnen auch etwas anfangen kann, ohne Nachfragen („…wie meinen sie das jetzt…?“ ist also schädlich). Daran fehlt es bei Kündigungen ganz ohne Aussage zur Frist, wäre die nahe liegende Schlussfolgerung.

Das Ganze ist eine Riesendiskussion. Der betroffene Arbeitgeber hat vermutlich kaum Chancen und wird wohl alle Kündigungen noch einmal aussprechen, mit entsprechenden Verlusten aufgrund der Zeitverzögerung.

Nur:

Ist es wirklich vernünftig, sich darüber zu streiten, ob die Angabe einer Frist „integraler Bestandteil“ der Kündigungserklärung ist, ob es ein „Bestimmtheitsgebot“ dahingehend gibt oder ob „…ich kündige Ihnen…“ nicht schon bestimmt genug ist?

Nein, das ist es nicht, und Sie werden mich auch nicht vom Gegenteil überzeugen (ich werde alt und entsprechend starrsinnig, deshalb sage ich das vorweg). Welche Kündigungsfrist gilt, ist manches Mal nur mit Gehirnakrobatik auszurechnen und oft genug nicht ohne Hilfe des EuGH zu bestimmen (ich sage nur: “Kücükdeveci”). Also ist das nicht ein bisschen viel Zirkus und Dogmatik zu einer einfachen Sache? Müssen wir im Arbeitsrecht das BGB immer noch förmlicher angehen, als Rudolf von Jhering das hätte gut finden müssen, hätte er es noch erlebt (kleine Aufgabe für Rechtshistoriker – was hätte RvJ dazu wohl gesagt?) – um an anderer Stelle einfach wieder abzuweichen, wenn es uns passt? Ich denke da z.B. an § 150 Abs. 2 BGB, der für den Bereich der Änderungskündigung mit chirurgischer Präzision aus dem BGB gestrichen wurde).

Ich finde immer noch: „…ich kündige Ihnen….“ ist klar genug.

Aber ich weiß natürlich, das ist

unintellektuell

unreflektiert

unverständig

unkompliziert

eben unmöglich

Sie verzeihen es mir. Hoffentlich.

PS. „Langweilig“ ließe ich gelten. Wirklich. Denn ohne diese stahlharte Dogmatik gäbe es solche wunderschönen Abschnitte wie Rd.-Nr. 21 und 22 des Urteils vom 1.09.2010 (s.o.) nicht. Sie wollten Jura. Nicht ich:

„…Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat zwar seiner ersten Entscheidung zu dieser Problematik nach der am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Neufassung des § 4 Satz 1 KSchG aufgrund des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) in der Amtlichen Sammlung den – die Entscheidungsgründe nur verkürzt wiedergebenden – Leitsatz vorangestellt, der Arbeitnehmer könne die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist außerhalb der fristgebundenen Klage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend machen (15. Dezember 2005 – 2 AZR 148/05 – BAGE 116, 336). Aus den Gründen der Entscheidung ergibt sich aber, dass auch der Zweite Senat annimmt, die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist müsse innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen werden, sofern der Kündigungstermin „integraler Bestandteil der Willenserklärung“ sei. Das sei der Fall, wenn sich nicht durch Auslegung ermitteln lasse, es solle eine fristwahrende Kündigung ausgesprochen sein. Dabei meint der Zweite Senat, die Auslegbarkeit einer ordentlichen Kündigungserklärung mit fehlerhafter Kündigungsfrist als eine solche zum richtigen Kündigungstermin sei der Regelfall. Denn der Empfänger der Kündigungserklärung dürfe sich nicht einfach auf den wörtlichen Sinn der Erklärung verlassen, sondern müsse seinerseits unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände, die dafür von Bedeutung sein können, danach trachten, das Gemeinte zu erkennen. Bei einer ordentlichen Kündigung sei für den Kündigungsadressaten erkennbar, dass der Kündigende die einzuhaltende Kündigungsfrist grundsätzlich wahren wolle, weil er aufgrund gesetzlicher, tariflicher oder einzelvertraglicher Regelungen an sie gebunden sei (15. Dezember 2005 – 2 AZR 148/05 – Rn. 25 ff., aaO).

22

Diese Auffassung hat der Zweite Senat in seiner Entscheidung vom 6. Juli 2006 (- 2 AZR 215/05 – Rn. 15, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 57) bestätigt. Der Sechste Senat hat sich dem angeschlossen (9. Februar 2006 – 6 AZR 283/05 – Rn. 32, BAGE 117, 68), während der Achte Senat ausdrücklich offengelassen hat, ob der Rechtsprechung des Zweiten Senats zu folgen sei (21. August 2008 – 8 AZR 201/07 – Rn. 31, AP BGB § 613a Nr. 353 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 95). Im Schrifttum ist die Rechtsprechung des Zweiten Senats teils auf Zustimmung, teils auf Ablehnung gestoßen (vgl. zum Meinungsstand etwa APS/Ascheid/Hesse 3. Aufl. § 4 KSchG Rn. 10b und APS/Linck § 622 BGB Rn. 66 f.; von Hoyningen-Huene/Linck § 4 Rn. 22; KR/Rost 9. Aufl. § 7 KSchG Rn. 3b und KR/Friedrich § 13 KSchG Rn. 89; Stahlhacke/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 1833 – jeweils mwN)…“

Puh.

Es geht „nur“ um die Frist, ok?