Wir lernen heute einen neuen Begriff in der deutschen Sprache:
„Institutioneller Rechtsmissbrauch“.
Es geht nicht um die Bank of Cyprus, sondern um sog. Kettenbefristungen:
Was in den oft aufgeheizten Diskussionen über „zu viel“ Bestandsschutz für Arbeitnehmer manchmal übersehen wird: Um den Druck von der Kündigungsschutzthematik zu nehmen, eröffnet das deutsche Arbeitsrecht Arbeitgebern vielfältige Befristungsoptionen für Arbeitsverträge, wenn sie auch an z.T. sehr komplexe Voraussetzungen gebunden sind.
Damit lässt sich – paradoxerweise vor allem im öffentlichen Dienst – in bestimmten Konstellationen eine Befristungskette aufbauen, bei der Arbeitnehmer jahrelang mit z.T. absurd vielen Arbeitsverträgen befristet, in der Summe aber dauerhaft beschäftigt werden. Versuche, das durch die Gerichte abzustellen, sind bislang gescheitert: Das deutsche Recht neu zu interpretieren – es ist auch hier weitgehend Richterrecht – hat die Rechtsprechung bislang abgelehnt, der Versuch, es auf das Europarecht zu schieben und so auch ein bisschen Verantwortung zu delegieren („…das ist nach europäischem Recht so, machen wir es also können wir nicht anders…“), ist gescheitert.
Also gibt es weiter Befristungsketten, aber einige Landesarbeitsgerichte wollen offenbar ein Zeichen setzen.
In Rheinland-Pfalz hat das LAG in Mainz am 11.01.2013 (9 Sa 366/12) eine 17-malige Befristung zwischen 2005 und 2012 mit einer Gymnasiallehrerin als „institutionellen Rechtsmissbrauch“ bezeichnet. Und auf das Bestehen eines unbefristeten Vertrags erkannt. Denn es waren Vertretungsbefristungen, und dazu hatte das BAG schon 2012 deutlich gesagt: Wenn der Vertretungsbedarf vorliegt, ist gegen die Befristungen grundsätzlich nichts zu machen. „Grundsätzlich“: Wenn sich um „institutionellen Rechtsmissbrauch“ handle, dann schon. Der soll vorliegen, wenn die Kettenbefristungen ein unerträgliches Ausmaß erreicht haben und eigentlich einen Dauerbedarf decken. Was auch immer das heißen soll, hat das LAG Rheinland-Pfalz jetzt für sich klargestellt…(Thorsten Blaufelder hat das Urteil hier besprochen). Dass die Revision zugelassen ist, ist klar…
Und jetzt, jetzt kommen die Bayern. Unerbittlich, nicht nur bei der Sitzplatzvergabe. Mit Urteil vom 06.11.2012 (4 Sa 72/12 – hier ein Kurzbericht) hatte das LAG Nürnberg seine Position nämlich klargemacht: 11 Jahre und 4 Monate in Befristungen reichen einfach – nicht.
Wie soll man das verstehen?
So, wie es gemeint ist: Das sind alles völlig unvorhersehbare Einzelfallentscheidungen. Die Lösung des BAG, alles auf § 242 BGB abzuschieben, schränkt die Vorhersagbarkeit solcher Entscheidungen eben ein, basta. Auf Null. Nur: Was soll das BAG da machen? Sinnvolle Vorschläge sind dringend gefragt. Bis dahin ist es aus Arbeitgebersicht besser, man sitzt in Nürnberg als in Mainz…