Über die Abgrenzung zwischen Selbständigen und (abhängigen) Beschäftigten – genauer: Über die Unmöglichkeit dieser Abgrenzung – haben wir uns bereits reichlich aufgeregt. Es gibt keinen Anlass, darin nachzulassen, denn der gerechte Zorn wird jeden Tag neu erregt.
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Im Bundesrat in Berlin kann man an Führungen teilnehmen. Das Gebäude hat einiges zu bieten, nicht zuletzt ist es Sitz eines Verfassungsorgans. Nur – wer führt? HONORARKRÄFTE! Das ist für die Deutsche Rentenversicherung stets ein Codewort und bedeutet, sagen wir es ehrlich, doch stets „Scheinselbständig“. In Wahrheit sind die Jungs und Mädels da doch nicht etwa echte Selbständige, oder? Kann doch gar nicht sein! Also wurden Bescheide gemacht. Die wurden angegriffen.
Am 15.07.2011 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg sein Urteil verkündet: Die sind wirklich selbständig! So was aber auch. Wie jedes LSG-Urteil hatte auch dieses eine erste Instanz. Die (Sozialgericht Berlin, Urteil vom 2.06.2009 – S 36 KR 2382/07) hatte vor zwei Jahren einen entscheidenden Allgemeinplatz verkündet; allerdings nicht ohne Mühe, denn extensive Ermittlungen und Beweisaufnahmen sind vorausgegangen:
„Schlussendlich überwiegen nach alledem nach Auffassung der Kammer die für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sprechenden Umstände deutlich, so dass die Beklagte das Bestehen der Sozialversicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) bis 15) und des Herrn W. dem Grunde nach zu Recht festgestellt hat.“
„Schlussendlich“ also. Geschenkt.
Das Landessozialgericht meint in seiner Pressemitteilung (Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 15.07.2011):
„Die im Bundesrat tätigen Führerinnen und Führer haben zur Überzeugung des Gerichts, die sich dieses aufgrund umfangreicher Ermittlungen gebildet hat, einen großen Freiraum, dessen Ausgestaltung vom Bundesrat auch nicht überwacht wird. Im maßgeblichen Kern ihrer Tätigkeit sind die Honorarkräfte deshalb weisungsunabhängig, auch wenn der äußere Rahmen der Führungen (Ort, Zeit, regelmäßige Dauer, Stationen innerhalb des Gebäudes und Pflichtinformationen) vorbestimmt ist. Diese Freiheit gibt den Ausschlag, obgleich es durchaus auch gewichtige Indizien für abhängige Beschäftigung gibt.“
Und da sind wir wieder. Denn die Richter mühen sich redlich. Ohne gesetzliche Definitionen bleibt das hier aber eben Ansichtssache. Man kann so meinen, aber auch anders meinen. Oder leider: Den Gerichten wird vom Gesetzgeber aufgezwungen, Willkürentscheidungen zu fällen, weil letztlich die Selbständigkeit Ansichtssache ist.
Das sonst redliche LSG überzieht dann aber gewaltig:
„Ob es sozialpolitisch sinnvoll sei, dass das Verfassungsorgan Bundesrat nicht den Weg wähle, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen, hat der 1. Senat ausdrücklich offen gelassen; dies habe er nicht zu prüfen…“
Ja. Und weil er das nicht zu prüfen hat, haben solche Äußerungen weder in Urteilen noch in Pressemitteilungen etwas verloren. Sie haben ohnehin etwas Naives: An was war da gedacht – hauptamtliche unkündbare Führer nach Tarifvertrag? Die Realität in der öffentlichen Verwaltung ist, dass man aus Geldmangel nicht einmal mehr dir notwendigsten Stellen besetzen kann. Sollte beim LSG nicht unbekannt sein: Es ist vom Personalmangel direkt betroffen..
Weblinks:
Die Rechtslupe: http://www.rechtslupe.de/sozialrecht/keine-scheinselbstaendigen-im-bundesrat-331441
NTV: http://www.n-tv.de/ratgeber/Gericht-haelt-Praxis-fuer-legal-article3842081.html
Sozialrecht.de: Sozialgericht Berlin, Urteil vom 2.06.2009 – S 36 KR 2382/07
Senat von Berlin: Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 15.07.2011 – L 1 KR 206/09 – Pressemitteilung