Rechtsanwalt Udo Schwerd

Udo Schwerd
81379, München
Rechtsgebiete
Steuerrecht Handelsrecht und Gesellschaftsrecht Erbrecht
17.07.2020

Sozialversicherungspflicht trotz notarieller Poolvereinbarung

Der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist abhängig beschäftigt und unterliegt damit der Versicherungspflicht in den Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung, wenn er als Minderheitsgesellschafter keine umfassende Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung besitzt. Auch eine notariell beurkundete Poolvereinbarung mit einem oder anderen Gesellschaftern ändert nach aktueller Entscheidung des Bundessozialgerichts nichts an diesem Grundsatz.

Sachverhalt zur Entscheidung des BSG

Zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer der beigeladenen GmbH und der Deutschen Rentenversicherung war im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens streitig, ob dieser in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer für die GmbH versicherungspflichtig in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig war. Er war einer von vier Gesellschafter-Geschäftsführern einer Steuerberatungsgesellschaft mbH, die jeweils alleine vertretungsberechtigt und vom Selbstkontrahierungsverbot gem. § 181 BGB befreit waren. Alle Gesellschafter-Geschäftsführer übten den freien Beruf des Steuerberaters mit eigenem Mandantenstamm aus. Der Jahresgewinn wurde nach § 29 GmbHG nach Geschäftsanteilen verteilt.

Im Gesellschaftsvertrag der GmbH hatten die Gesellschafter vereinbart, dass Gesellschafterbeschlüsse in der Gesellschafterversammlung grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen und stimmberechtigten Stimmen gefasst werden. Die Abstimmung erfolgte unabhängig vom Umfang der Stammeinlage der einzelnen Gesellschafter „nach Köpfen“.

Zwischen dem klagenden Gesellschafter-Geschäftsführer und seinem Vater, ebenfalls Gesellschafter dieser GmbH, gab es eine notariell beurkundete Poolvereinbarung, durch welche die Geschäftsanteile beider Gesellschafter wirtschaftlich so zusammengelegt werden sollten, dass ihnen alle Teile gemeinschaftlich zugerechnet werden. Die beiden betroffenen Gesellschafter bildeten einen Verfügungs- und Stimmenrechtspool im Sinne von § 13 b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ErbStG.

Im Einzelnen vereinbarten die beiden Gesellschafter folgendes:

Die Mitglieder des Pools sind grundsätzlich verpflichtet, das sich aus ihren GmbH-Anteilen ergebende Stimmrecht gegen nicht gebundene Gesellschafter einheitlich auszuüben. Für jede Stimmabgabe in der GmbH ist ein Beschluss der Mitglieder dieses Pools darüber herbeizuführen, wie die Stimmrechte ausgeübt werden Die Stimmgewichtung im Pool richtet sich nach den Regelungen der GmbH („nach Köpfen“). Die einheitliche Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung der GmbH erfolgt durch den Kläger, ersatzweise durch das an Jahren älteste Mitglied dieses Pools, oder bei dessen Verhinderung durch ein anderes mit Mehrheit hierzu bestimmtes Mitglied der notariellen Vereinbarung. Dieser „Verfügungs- und Stimmrechts-Pool“ ist eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts ohne Gesamthandsvermögen. Geschäftsführender Gesellschafter ist der Kläger.

Der Geschäftsführeranstellungsvertrag enthielt neben einem Festgehalt weitere arbeitnehmertypische Regelungen.

Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 07.07.2020

Der 12. Senat des BSG hat die Revisionen des Klägers und der beigeladenen GmbH gegen die Entscheidung des Bayerischen LSG zurückgewiesen.

Der Kläger war in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der beigeladenen GmbH abhängig beschäftigt und damit nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtig. Er besaß als Minderheitsgesellschafter ohne umfassende Sperrminorität nicht die zur Annahme von Selbstständigkeit erforderliche Rechtsmacht. Daran ändert auch die mit dem Vater als Innengesellschaft bürgerlichen Rechts vereinbarte notarielle Poolvereinbarung nichts. Diese lediglich schuldrechtliche Vereinbarung war jederzeit aus wichtigem Grund kündbar und genügt mangels Eintragung in das Handelsregister nicht den formalen Anforderungen an die Änderung eines Gesellschaftsvertrags und damit nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit beitragsrechtlicher Tatbestände. Zudem war der Vater rechtlich nicht gehindert, sein nach der Satzung fortbestehendes Stimmrecht im Konfliktfall selbst wirksam auszuüben.

Entscheidung des Bayerischen LSG vom 15.11.2018

Ein Gesellschafter einer GmbH kann gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis mit der GmbH stehen, wenn er als Geschäftsführer tätig ist. Dies ist grundsätzlich neben der gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist regelmäßig eine abhängige Beschäftigung anzunehmen, wenn der Geschäftsführer zwar Gesellschaftsanteile an der GmbH hält, aber damit zugleich keine maßgebliche Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen verbunden ist.

Allerdings schließt ein rechtlich maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung in der Gesellschafterversammlung ein Beschäftigungsverhältnis aus, wenn der Gesellschafter damit Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern könnte. Eine derartige Stellung liegt regelmäßig dann vor, wenn der Geschäftsführer einen Anteil von mindestens 50% des Stammkapitals innehat  (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.2006, Az.: B 12 KR 30/04).

Dies ist vorliegend beim Kläger nicht der Fall. Der Kläger kann rechtlich nicht in jedem Fall (insbesondere in Konfliktsituationen) 50% der Stimmen in einer Gesellschafterversammlung auf sich vereinen. Aufgrund der Regelung im Gesellschaftsvertrag erfolgt die Abstimmung in der Gesellschafterversammlung abweichend von den Nennbeträgen der übernommenen Stammeinlagen gleichberechtigt nach der Anzahl der Gesellschafter („nach Köpfen“). Der Kläger kann somit aufgrund Gesellschaftsvertrag und Poolvereinbarung die Hälfte der Stimmen in die Gesellschafterversammlung einbringen, wenn der Pool vorab einen Beschluss gefasst hat. Nachdem der Kläger Geschäftsführer und Vertreter dieses Verfügungs- und Stimmrechts-Pools ist, welcher in Gegenwart und mit Unterschrift der weiteren Gesellschafter mittels notarieller Beurkundung vereinbart worden ist, kann er bei Anwesenheit in diesem Fall ihm nicht genehme Beschlüsse einschließlich jeglicher Veränderungen des Gesellschaftsvertrages verhindern.

Im Rahmen des „Stimmrecht-Pools“ ist für die interne Beschlussfassung jedoch ebenfalls eine Abstimmung „nach Köpfen“ vorgesehen. Sofern also der Kläger anderer Auffassung als sein Vater ist, kann eine Beschlussfassung im Pool nicht erfolgen. Mithin darf der Kläger ohne vorherige Beschlussfassung innerhalb des Pools keine Stimme in der Gesellschafterversammlung der GmbH abgeben. Eine Pattsituation im Pool führt nicht (nur) zu einer Enthaltung, sondern zu einer Stimmrückgabe. In diesem Fall kann der Kläger für ihn unangenehme Beschlüsse der GmbH nicht verhindern. Infolgedessen hat er alleine keine beherrschende Stellung oder eine entsprechende Sperrminorität. Damit ist ihm eine aus dem Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht in Verbindung mit der Poolvereinbarung nicht zugewachsen, die ihn in die Lage versetzt, unangenehme Weisungen von Seiten der weiteren Geschäftsführer bzw. der Gesellschafterverhandlung zu verhindern.

Der Kläger verfügt zwar über Gesellschaftsanteile an der GmbH, aber eine maßgebliche Einflussmöglichkeit auf den Inhalt der Gesellschafterbeschlüsse in Form einer Sperrminorität ist damit nicht verbunden. Der Kläger verfügt rechtlich nicht über die Möglichkeit, ihm nicht genehme Weisungen hinsichtlich seiner Tätigkeit abzuwehren (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 30.04.2013, Az.: B 12 KR 19/11 R). Die Stimmrechtsbindung ist letztlich nur eine schuldrechtliche Verpflichtung im Rahmen einer Poolvereinbarung außerhalb des Gesellschaftsvertrages. Gerade in einem Konfliktfall innerhalb des „Stimmrechts-Pools“ wäre es dem Kläger in der oben ausgeführten Fallkonstellation nicht möglich, seinem Vater Weisungen zu erteilen. Infolgedessen bestehen bei der vorliegenden Fallkonstellation auch Bedenken hinsichtlich der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (vgl. insoweit grundsätzlich Urteil BSG vom 11.11.2015, Az.: B 12 KR 10/14 R).

Entscheidung des SG München vom 24.10.2017

Das SG München verneinte noch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Gesellschafter-Geschäftsführer und der Steuerberatungsgesellschaft mbH, auch wenn sein Anstellungsvertrag arbeitnehmertypische Regelungen enthalte.

Der Kläger übe seine Tätigkeit hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Tätigkeit weisungsfrei aus. Er habe zudem maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Beigeladenen, indem er jede ihm nicht genehme Abstimmung verhindern könne, nachdem er eine Pattsituation von 50 zu 50 der abgegebenen Stimmen herbeiführen könne. Somit könne er jede an ihn unangenehme Weisung im Einzelfall verhindern. Anders als bei einfach vertraglich geregelten Stimmrechtsbindungen läge im vorliegenden Fall eine notarielle, in Anwesenheit aller Gesellschafter der Beigeladenen getroffene Poolvereinbarung vor. Nach dieser habe der Kläger die Möglichkeit 50% der abgegebenen Stimmen zu beherrschen. Er sei Gesellschafter-Geschäftsführer der Innengesellschaft Pool. Er könne sie damit einberufen und abhalten und sei derjenige, der die Stimme des Pools gegenüber dem nicht im Pool gebundenen Gesellschafter abgebe. Der Kläger könne somit rechtswirksam jede ihm missliebige Entscheidung der Beigeladenen durch Herbeiführung einer Pattsituation verhindern (SG München, Urteil vom 24.10.2017, S 25 R 3530/16).

Hiergegen richtete sich die Berufung der Deutschen Rentenversicherung mit der Begründung, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer keinen maßgebenden Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft im gesellschaftsrechtlichen Sinne habe. Er verfüge weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine umfassende Sperrminorität. Es fehle die Rechtsmacht im gesellschaftsrechtlichen Sinne, unangenehme Weisungen abzuwenden.


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