Seit 2012 erfolgt die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Gesellschafter-Geschäftsführer seitens der Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Sozialversicherungspflicht nahezu ausschließlich auf Basis des Gesellschaftsvertrages. Mit zwei Entscheidungen in diesem Jahr hat das Bundessozialgericht (BSG) die bis dahin geltende Rechtsprechung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern ganz entscheidend in diese Richtung fortentwickelt.
Rechtsprechung des BSG seit 2012
Mit den beiden Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.08.2012 (B 12 KR 25/10 R, B 12 R 14/10 R) hat sich die bisherige Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Sozialversicherungspflicht der GmbH-Geschäftsführer entscheidend geändert. Entscheidend ist seitdem die tatsächliche Rechtsmacht auf Basis vertraglicher Vereinbarungen, insbesondere auf Basis des notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrages. Inzwischen muss man anhand der neueren Entscheidungen der Sozialgerichte sogar feststellen, dass sich die Sozialversicherungspflicht der Gesellschafter-Geschäftsführer streng an dessen Umfang der Rechtsmacht auf Basis des Gesellschaftsrechts richtet, unabhängig vom faktischen Verhalten oder von entgegenstehenden schuldrechtlichen Vereinbarungen der Beteiligten (BSG, Urteil vom 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R; BSG, Urteil vom 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R). Dies gilt für alle mündliche oder schriftliche Vereinbarungen, die außerhalb des Gesellschaftsvertrages getroffen wurden, insbesondere Vereinbarungen zu Stimmrechtsvollmacht, Stimmbindungsvereinbarung oder Stimmrechtsvereinbarung.
In diesem Sinne beispielhaft das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 28.03.2017:
Ein rechtlich maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft auf Grund der Gesellschafterstellung schließt ein Beschäftigungsverhältnis aus, wenn der Gesellschafter damit Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern kann (BSG 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R). Eine derartige Rechtsmacht hat ein GmbH-Gesellschafter regelmäßig dann, wenn er aufgrund seiner Stellung als Geschäftsführer und seiner Beteiligung am Stammkapital einen so maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft hat, dass er jeden ihm nicht genehmen Beschluss verhindern kann (BSG 14.12.1999, B 2 U 48/98 R). Dies ist der Fall, wenn der Geschäftsführer Mehrheitsgesellschafter ist, er also über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft oder mehr verfügt (BSG 20.03.1984, 7 RAr 70/82), und zwar auch dann, wenn er von der ihm zustehenden Rechtsmacht tatsächlich keinen Gebrauch macht und die Entscheidung anderen überlässt (BSG 18.04.1991, 7 RAr 32/90).
Noch deutlicher wird das LSG Baden-Württemberg in den Entscheidungsgründen zum Urteil vom 18.10.2016 (Az. L 11 R 1032/16):
Ein Gesellschafter-Geschätsführer ohne Sperrminorität ist auch dann abhängig beschäftigt, wenn dessen Geschäftsführeranstellungsvertrag mehr für eine selbständige als für eine abhängige Beschäftigung spricht. Entscheidend ist, dass er bei seiner Tätigkeit als Geschäftsführer an die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung gebunden ist, kraft seines Gesellschaftsanteils keinen bestimmenden Einfluss auf die Willensbildung der GmbH ausüben und im Bedarfsfall etwaige ihm unangenehme Weisungen nicht jederzeit verhindern kann.
Aktuelle Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Sozialversicherungspflicht der Gesellschafter-Geschäftsführer
Folgende Leitlinien der neueren Rechtsprechung seitens der Sozialgerichte sind seitdem ergangen und von Bedeutung:
- Nur im Gesellschaftsvertrag selbst vereinbarte Minderheitenrechte können für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Gesamtbildes verlässlich bedeutsam sein, soweit daraus eine Selbstständigkeit hergeleitet werden soll (Urteil vom 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.06.2017, L 5 KR 20/15).
- Die fehlende Rechtsmacht eines Gesellschafter-Geschäftsführers zur Verhinderung unliebsamer Entscheidungen hat eine herausragende Bedeutung (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.06.2017, L 5 KR 20/15).
- Die Übernahme von Bürgschaften führt zu keiner unmittelbaren Einflussnahme auf die Gesellschaft, weil sie in der Regel nur zur Absicherung einer Verbindlichkeit dient (BSG, Urteil vom 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R; LSG Thüringen, Urteil vom 20.12.2016, L 6 KR 1417/13).
- Besondere Befugnisse als Geschäftsführer, insbesondere Einzelvertretungsbefugnis und Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB, fallen nicht ins Gewicht, weil leitende Angestellte regelmäßig über derartige Freiheiten und Befugnisse verfügen, ohne dass diese den Charakter einer abhängigen Beschäftigung berühren würde (BSG, Urteil vom 17.12.2014, B 12 R 13/13 R, LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.06.2017, L 5 KR 20/15).
- Eine Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft wird nicht bereits durch die Stellung des Geschäftsführers als Gesellschafter ausgeschlossen. Bei einem am Stammkapital der Gesellschaft beteiligten Gesellschafter verkörpert der Umfang der Beteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal (BSG, Urteil vom 04.07.2007, B 11 a AL 5/06 R). Wer kraft seiner Rechte als Gesellschafter die für das Arbeitnehmerverhältnis typische Abhängigkeit von einem Arbeitgeber zu vermeiden vermag, kann nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft sein. Der am Stammkapital der Gesellschaft beteiligte Geschäftsführer ist aber weder wegen seiner Organstellung noch deswegen von einer abhängigen Beschäftigung ausgeschlossen, weil er gegenüber (anderen) Arbeitnehmer der GmbH eine Arbeitgeberfunktion ausübt. Maßgebend ist vielmehr vor allem die Bindung des Geschäftsführers an das willensbildende Organ der Gesellschaft, was regelmäßig die Gesamtheit der Gesellschaft ist (BSG, Urteil vom 06.03.2003, B 11 AL 25/02 R, LSG München, Urteil vom 15.12.2016, L 9 AL/185/12).
- Das Theorem vom Vorrang der tatsächlichen Verhältnisse gibt es seit der Rechtsprechung des 12. SG-Senats aus dem Jahre 2012 nicht mehr. Eine „faktische Machtposition“ rechtfertigt die Annahme einer Selbständigkeit nicht mehr (BSG, Urteile vom 29.07.2015, B 12 R 1715 R und B 12 KR 23/13 R). Die frühere „Kopf-und-Seele-Rechtsprechung“ ist überholt und nicht mehr anwendbar (LSG München, Urteil vom 15.12.2016, L 9 AL/185/12).
- Ein Minderheitsgesellschafter mit lediglich 40%-Anteil am Stammkapital und ohne Sperrminorität ist mit keiner ausreichenden Rechtsmacht ausgestattet, die es ihm erlauben würde, die Geschicke des Unternehmens in wesentlicher Hinsicht – auch gegen Widerstände der anderen Gesellschafter – zu lenken. Darauf kommt es für eine selbstständige Tätigkeit in Abgrenzung zu einer abhängigen Beschäftigung eines Gesellschafters jedoch an. Unter diesen Rahmenbedingungen führt auch die vereinbarte Tantieme in Höhe von 20 % des Jahresüberschusses nicht zur Bejahung eines unternehmerischen Risikos; dem steht auch das hohe feste Monatsgehalt entgegen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.3.2017, Az. L 11 1310/16).
- Ein Gesellschafter-Geschätsführer ohne Sperrminorität ist auch dann abhängig beschäftigt, wenn dessen Geschäftsführeranstellungsvertrag mehr für eine selbständige als für eine abhängige Beschäftigung spricht. Entscheidend ist, dass er bei seiner Tätigkeit als Geschäftsführer an die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung gebunden ist, kraft seines Gesellschaftsanteils keinen bestimmenden Einfluss auf die Willensbildung der GmbH ausüben und im Bedarfsfall etwaige ihm unangenehme Weisungen nicht jederzeit verhindern kann (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.10.2016, Az. L 11 R 1032/16; Revision beim BSG anhängig unter Az. B 12 R 5/16).
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