Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
23.10.2015

Cannabis auf Kassenkosten?

© Luis Carlos Jiménez - Fotolia.comDas Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle will prüfen, ob die gesetzlichen Krankenkassen im Einzelfall Cannabis-Tropfen zur Schmerzbehandlung bezahlen müssen. Nach einem am Montag, 19.10.2015, bekanntgegebenen Eilbeschluss des ist dies dann der Fall, wenn die Auswirkung der Schmerzen dem Verlust wichtiger Körperfunktionen wertungsgemäß gleichstehen (AZ: L 4 KR 276/15 B ER).

Danach kann ein 54-jähriger Mann aus Niedersachsen vorerst die Tropfen beanspruchen. Er leidet seit seinem neunten Lebensjahr unter einem Morbus Bechterew, einer durch chronische Entzündungen verursachten Verkrümmung der Wirbelsäule. Über die Jahre hat sich die Krankheit stetig verschlimmert. Die dadurch verursachten Schmerzen haben nach Angab en des behandelnden Arztes ein inzwischen nahezu unerträgliches Ausmaß erreicht. Herkömmliche Schmerzmittel zeigten keine ausreichende Wirkung mehr.

Die Bundesopiumstelle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erteilte dem Mann eine Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu Therapiezwecken.

Bei seiner Krankenkasse beantragte der Mann daraufhin die Kostenübernahme für Cannabis-Extrakt-Tropfen. Die Krankenkasse verweigerte dies: Eine Schmerztherapie mit Cannabis gehöre nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Nach Überzeugung des LSG Celle kann dies aber zumindest in Einzelfällen anders sein. Zwar gebe es für die Cannabis-Therapie keine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten und Krankenkassen; diese ist im Regelfall Voraussetzung für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Der Schmerzpatient könne sich aber eventuell auf die gesetzliche Ausnahmeklausel für besonders schwere Krankheiten berufen.

Danach können Patienten mit einer tödlichen, lebensbedrohlichen oder „zumindest wertungsgemäß vergleichbaren Erkrankung“ auch Leistungen der Alternativmedizin beanspruchen, wenn es keine schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten mehr gibt und eine ausreichende Aussicht auf Heilung oder Linderung besteht. Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat den Verlust wichtiger Körperfunktionen als „wertungsgemäß vergleichbar“ angesehen.

Im konkreten Fall ist die schmerzlindernde Wirkung von Cannabis unumstritten. Im Hauptverfahren will das LSG Celle nun prüfen, ob die starken Schmerzen des Klägers Auswirkungen haben, die dem Verlust wichtiger Körperfunktionen „wertungsmäßig gleichzustellen“ sind. Bis dahin muss die Krankenkasse die Kosten der Cannabis-Tropfen vorläufig übernehmen. Ein Abwarten auf das Urteil in der Hauptsache sei dem Patienten angesichts seiner starken Schmerzen nicht zumutbar, so das LSG in seinem Eilbeschluss vom 22.09.2015.

Im Februar 2015 hatte das LSG Baden-Württemberg in Stuttgart eine Cannabis-Behandlung auf Kassenkosten noch abgelehnt (Urteil vom 27.02.2015, AZ: L 4 KR 3786/13). Im März 2015 hatte dann die deutsche Schmerzgesellschaft in Berlin die Kostenübernahme in Einzelfällen befürwortet. Unterdessen hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, dass Schmerzpatienten im Einzelfall Cannabis für den medizinischen Eigenbedarf anbauen dürfen (Beschluss vom 11.02.2015, AZ: 2 BvR 1694/14).

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