Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
28.07.2015

Alkoholtherapie vor Kündigung

© Dan Race - Fotolia.comAuch wiederholte unentschuldigte Fehltage berechtigen Arbeitgeber nicht immer zur Kündigung. Das gilt insbesondere für langjährige Mitarbeiter, deren Fehlzeiten auf Alkohol und aktuelle soziale Probleme zurückgehen, wie aus einem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Rheinland-Pfalz in Mainz vom 05.05.2015 hervorgeht (AZ: 7 Sa 641/14). Gerade für Alkoholkranke habe ein stabiles Arbeitsumfeld ein besonders hohes Gewicht.

Im konkreten Fall muss der Arbeitgeber einem 1969 geborenen Staplerfahrer die Chance für eine Alkoholtherapie geben. Er arbeitet bereits seit 1990 in einem Lebensmittelumschlaglager. Seine Aufgabe ist es, die von den Filialen bestellten und von anderen Lagerarbeitern auf Paletten gepackten Waren zur Verladung zu den Lastern zu transportieren. Dabei ist es wichtig, dass die Ware morgens rechtzeitig bei den Geschäften ankommt.

Nach 23 unbeanstandeten Arbeitsjahren fehlte der Staplerfahrer im Juni 2013 erstmals unentschuldigt, wodurch sich die Beladung der Laster erheblich verzögerte. Der Lagerarbeiter erhielt eine Abmahnung. In den Folgemonaten kam es zu weiteren Fehltagen und weiteren Abmahnungen. Als der Lagerarbeiter im November 2013 für mehrere Tage unentschuldigt fehlte, erhielt er eine „letztmalige Abmahnung“.

Am 02.05.2014 erschien der Staplerfahrer erneut nicht bei der Arbeit. Er gab später an, er habe sich vertan und gedacht, es handele sich um einen für Ende Mai 2014 bewilligten Urlaubstag. Dennoch wurde er nun entlassen.

Mit seiner Klage trug der Lagerarbeiter vor, er sei alkoholkrank. Bereits vor acht Jahren habe er während seines privaten Urlaubs eine Therapie gemacht. Als in dichter Folge seine Mutter und seine Schwester gestorben seien, sei es 2013 zu einem Rückfall gekommen.

Das LAG Mainz hob die Kündigung nun auf. Wenn der Staplerfahrer tatsächlich alkoholkrank sei, komme nur eine krankheits- beziehungsweise personenbedingte Kündigung in Betracht, sonst eine verhaltensbedingte Kündigung. Beides sei sozial nicht gerechtfertigt.

Der Lagerarbeiter sei bereits seit über 24 Jahren und „mithin mehr als die Hälfte seines Lebens und praktisch sein ganzes Arbeitsleben“ in seiner Firma beschäftigt. Erst ganz zum Schluss sei es zu den Fehltagen gekommen. Dem Arbeitgeber sei zwar einzuräumen, dass diese oft zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf führen. Doch die Belange des Staplerfahrers wögen hier schwerer.

„Im Rahmen der Interessenabwägung ist in besonderem Maße zu berücksichtigen, dass gerade der Süchtige in besonderem Maß ein möglichst intaktes soziales Umfeld braucht, um überhaupt eine Chance zu haben, sich von der Sucht zu befreien“, heißt es zur Begründung in dem Mainzer Urteil. Das gelte gerade hier, weil der Arbeiter durch den Tod seiner Mutter und seiner Schwester nahezu sämtliche familiären Bindungen verloren habe. Umso mehr seien die Arbeit „und das Zusammenarbeiten mit den Kollegen eine wichtige Konstante im Leben des Klägers“.

In dieser Situation sei es dem Arbeitgeber zuzumuten, dem Lagerarbeiter Gelegenheit zu einer Alkoholtherapie zu geben, urteilte das LAG Mainz.

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