Rechtsanwalt Dr. Thomas Bode

Stiftung Europa-Universität Viadrina
15230, Frankfurt Oder
19.10.2010

Vorbereitung - 2. Stunde - mit Lösungen

I. Leseaufgabe Mindestens lesen: Rolf Schmidt, AT, 6. Aufl. 2007 Rdn. 16-50. (in den neueren Auflagen dürfte insoweit alles beim alten geblieben sein). (ca. 5 Seiten)
Zippelius, juristische Methodenlehre, 9. Aufl. 2005, §§ 4, 5, 8-10. (27 Seiten)

II. Fallöseaufgabe Diese beiden Fälle sollten Sie zunächst für sich mit dem Gesetz lösen und die Entscheidungen dann nachlesen:

1. Elektrizitätsdiebstahl (RGSt. 32, 165 ff.)

P, der als Monteur bei den Elektrizitätswerken zu W tätig gewesen war, hat nach Herstellung der Elektro-Anlage in dem von ihm mietweise bei einem Mitangeklagten C bewohnten Zimmer das Fensterholz durchbohrt, durch das Loch Drähte in den Straßenleitungsdraht geschoben und das auf diesem Wege hergestellte elektrische Licht zur Beleuchtung des Zimmers genutzt.

Strafbarkeit des P aus § 242 Abs. 1 StGB?

Antwort:

Die Antwort auf die Frage hängt davon ab, ob elektrische Energie eine „Sache“ i. S. d. § 242 Abs. 1 StGB ist. „Sache“ wird als „jeder körperliche Gegenstand“ verstanden. Es kommt zwar nicht auf den Aggregatzustand an, jedoch ist stets Voraussetzung, daß das Tatobjekt abgegrenzt und faßbar ist. Strom ist als solcher nicht faßbar. Anders: Wasser, Heizdampf, Leuchtgas. Beim Diebstahl einer Batterie wird nicht Strom gestohlen, sondern der Behälter, der als solcher eine Sache ist. Der Stromdieb kann nicht aus § 242 Abs. 1 StGB bestraft werden.

Hier ist zu bemerken, daß die Vorschrift gerade nicht analog (=entsprechend) angewandt werden kann. Diese Analogie würde zur Strafbarkeit des Täters führen, eine Analogie zu Lasten des Täters ist im Strafrecht verboten.

Ebenso wenig sind Computerprogramme und Forderungen taugliche Tatobjekte eines Diebstahls.

Der damalige Gesetzgeber hat auf die Entscheidung des RG reagiert und durch Gesetz vom 9. April 1900 den Straftatbestand des § 248c StGB eingeführt.

 

2. Bespanntes Fuhrwerk(BGHSt. 10, 375 ff.)

Bauer B hat aus dem Wald seines Nachbarn mit Hilfe eines Lieferwagens Holz entwendet. Das preußische Forstdiebstahlsgesetz von 1880 sah in § 3 Abs. 1 Nr. 6 eine Strafschärfung vor „wenn zum Zwecke des Forstdiebstahls ein bespanntes Fuhrwerk, ein Kahn oder ein Lasttier mitgebracht ist“.

War diese Bestimmung anzuwenden?

 

Antwort:

Diese Bestimmung ist anzuwenden, wenn ein Lieferwagen als „bespanntes Fuhrwerk, Kahn oder Lasttier“ zu subsumieren ist. Nach der grammatikalischen Auslegung ist ein Lieferwagen keines der genannten Fahrzeuge. Jedoch hat der BGH in diesem Fall die Bestimmung teleologisch, also ihrem Zweck nach, ausgelegt. Zweck (ratio) der Bestimmung war, besonders gefährliche Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen. Ein Forstdiebstahl, der mittels eines Fuhrwerks begangen wird, birgt diese hohe Gefährlichkeit, da dadurch große Mengen von Holz auf einmal weggeschafft werden können. Zu der Zeit, als das Gesetz geschaffen wurde, gab es Lieferwagen noch nicht, der Gesetzgeber hat die technische Entwicklung nicht vorausgesehen. Jedoch ist vom Schutzzweck der Vorschrift kein Unterschied zwischen einem bespannten Fuhrwerk und einem Lieferwagen zu sehen. Diese Bestimmung wurde daher von der Rspr. in diesem Fall angewendet.

Die Entscheidung des BGH kann freilich bezweifelt werden. Es kann vertreten werden, daß die Grenzen der zulässigen Auslegung überschritten worden sind und dadurch eine unzulässige Analogie zu Lasten des Täters angewandt wurde. Insbesondere ist es dem Gesetzesanwender verwehrt, ein nach der grammatikalischen Auslegung eindeutiges Ergebnis – keine Strafbarkeit wegen des Fortschaffens des Holzes mit einem Lastwagen – durch anderen Auslegungsmethoden zu korrigieren. Dies ist nur dann möglich, wenn die Auslegung zu einem mehrdeutigen Ergebnis führt, was im vorliegenden Fall gerade nicht der Fall ist. Ein LKW ist eindeutig kein bespanntes Fuhrwerk und auch kein Tier. Sinn der Strafrechtswissenschaft ist es auch die Rechtsprechung kritisch zu begleiten. Der BGH ist weder der Papst noch unfehlbar. Die rechtliche Verbindlichkeit seiner Urteile entbindet Sie als Studenten nicht von der eigenverantwortlichen Lösungsfindung.

 

Kleine Fälle zur Wiederholung:

 

3. Meinungsterror

Die Regierung möchte, daß die Bürger stets über die Erfolge der Minister gut informiert sind. Daher wird auf Anordnung des Kanzlers in der „Tagesschau“ verkündet, dass ab sofort jeder volljährige Bürger eine Tageszeitung seiner Wahl zu abonnieren hat. Im Falle eines Verstoßes droht eine Geldstrafe bis zu 1.000 Euro.

Welche RECHTLICHEN Bedenken haben Sie dagegen?


Antwort:

Bedenken bestehen hinsichtlich der Wahrung des Grundsatzes der nulla poena sine lege – keine Strafe ohne Gesetz. Eine „Anordnung“ ist kein Gesetz. Zudem ist der Kanzler nicht befugt, Strafvorschriften zu erlassen – die Gesetzgebungskompetenz hat der Bundestag. Es liegt auch keine Ermächtigung (Art. 80 GG) zum Erlaß einer „Anordnung“ vor (selbst wenn man diese in trotz der falschen Bezeichnung in eine Rechtsverordnung umdeuten würde – falsa demonstratio non nocet).

 

4. Die Deutschen sind zu laut

Eine der Regierungsfraktionen ist über den zunehmenden Lärm in den Städten beunruhigt. Daher wird eine Ergänzung des Strafgesetzbuches vorgeschlagen:

„§ Wer in der Öffentlichkeit laut spricht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft“.

Die Opposition meint, neben der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) könnten andere Verfassungsnormen verletzt sein. Welche?

Antwort:

Es bestehen Bedenken gegen die Formulierung „laut spricht“. Der Begriff ist zu unbestimmt und verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa).

5. Variante

Zu großem Ärgernis der Opposition wird das StGB um die Bestimmung aus Fall 2 ergänzt. Das Gesetz tritt am 27.10.2009 in Kraft. Gleich an diesem Tag erstattet Maria, die Inhaberin einer Buchhandlung, eine Strafanzeige gegen Jeffrey, den Inhaber des gegenüberliegenden Musikladens, da dieser am vorangegangenen Samstag eine drastische Preissenkung mittels einer Stereo-Anlage allen Besuchern der Einkaufspassage verkündet hat.

Wird Jeffrey bestraft?
 

Antwort:

Jeffrey wird nicht bestraft – Strafgesetze entfalten gem. § 1 StGB, Art. 103 GG, keine Rückwirkung, nulla poena sine lege anteriori. Zur Zeit der Handlung, die nunmehr strafbar ist, war das Gesetz nicht in Kraft

III. Vokabeln Denken Sie über folgende Wörter nach! Falls Sie einige nicht verstehen oder unsicher sind, schlagen Sie in einem Rechtslexikon (in der Bibliothek), Wikipedia oder einem Konversationslexikon nach.

Sollen – Sein
Ursache und Wirkung
Deduktion - Induktion
Implikation – Hypothese – Wort- Begriff – Bedeutung -Ding
Tatbestand – Rechtswidrigkeit – Schuld
Struktur – Form – Inhalt
Abstrakt – Konkret
Auslegung – Definition
Obersatz – Untersatz – Subsumtion