Rechtsanwalt Dr. Thomas Bode

Stiftung Europa-Universität Viadrina
15230, Frankfurt Oder
07.11.2010

Lösung Fahrradrikscha

Leider ist der interessante Fall mit der Fahrradrikscha zu umfangreich, als dass wir ihn in der AG ausführlich behandeln könnten. Der Fall betrifft zwar nicht einmal direkt das Kriminal-Strafrecht, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit, doch ist die Methodik insofern die gleiche. Besonders lesenswert ist das betreffende Urteil des OLG Dresden, dass lehrbuchmäßig die Methoden anwendet, als hätte die Richter unsere AG besucht. Ich empfehle daher das Urteil nachdrücklich zur Lektüre. Die Entscheidung könnt Ihr in der Zeitschrift Neue Justiz, 2005 S. 226 f. oder in Juris nachlesen! Ein Kommilitone (die Namensschilder sind ja nach meiner zutreffenden Prophezeiung leider wieder weg) sprach mich noch wegen eines entsprechenden Aufsatzes zu dem Thema an. Wäre nett, wenn Du die Fundstelle als Kommentar für alle unten postest! Lösungsvorschlag, im Wesentlichen nach OLG Dresden, NJ 2005, 226 f.: Das Amtsgericht Leipzig hat A nur dann zurecht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 20 i. V. m. § 21 Abs. 3 StVO verurteilt, wenn dessen Voraussetzungen vorgelegen haben. Dann muß es sich zunächst bei der Fahrradrikscha um ein Fahrrad i. S. d. § 21 Abs. 3 StVO handelt. Wie aus § 1 StVG ersichtlich, definiert das Gesetz lediglich den Begriff des Kraftfahrzeugs, nicht den Begriff „Fahrrad“. Zunächst ist also der Begriff des Fahrrades nach seinem Wortlaut auszulegen. Ein Fahrrad ist zunächst ein Fahrzeug. In Abgrenzung zu einem Kraftfahrzeug wird es durch Muskelkraft bewegt und ist nicht an Bahngleise gebunden. Indessen trifft diese Umschreibung sowohl auf ein Fahrrad als auch auf eine Fahrradrikscha zu. Daher ist der Oberbegriff (genus) zunächst: Ein Fahrzeug, das durch Muskelkraft bewegt wird und nicht an Bahngleise gebunden ist. Zu ermitteln ist, ob es einen spezifischen Unterschied (differentia specifica) zwischen einem Fahrrad und einer Fahrradrikscha gibt und der diese beiden Begriffe unterscheidet. Zum einen kann überlegt werden, daß eine Fahrradrikscha der Beförderung von Personen dient. Indes ist dies keine taugliches Unterscheidungsmerkmal: Wie aus § 21 Abs. 3 StVO ersichtlich, können Kinder unter bestimmten Voraussetzungen auf Fahrrädern mitgenommen werden. Auch das Kriterium der Anzahl der beförderten Personen, unabhängig von ihrem Alter, ist nicht weiterführend, da es Tandem-Fahrräder gibt, auf denen zwei Personen befördert werden. Aufgrund der unterschiedlichen Bauweise der Fahrradrikschas kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Personen mit Hilfe einer konkreten Vorrichtung (etwas überdachte Sessel) befördert werden. Ebenfalls nicht ergiebig ist das Unterscheidungsmerkmal, wonach nur eine Person die Muskelkraft einsetzt, um das Fahrzeug in Bewegung zu setzen, da ein auf einem Fahrrad befördertes Kind ebenfalls keine Kraft einsetzt. Allenfalls das Kriterium, wonach ein Fahrrad einspurig und eine Fahrradrikscha mehrspurig ist, könnte als Unterscheidungsmerkmal dienen und somit ein Fahrrad von einer Fahrradrikscha abgrenzen können. Indes sind Dreiräder auch keine Fahrradrikschas. Daher bietet die grammatikalische Auslegung keine Antwort auf die Frage, ob eine Fahrradrikscha ein Fahrrad oder ein vom Fahrrad verschiedenes Fahrzeug ist. Wegen der nicht eindeutigen Auslegung hat das in der Sache erkennende OLG Dresden weitere Auslegungsmethoden angewandt. Daher sind weitere Auslegungsmethoden zu bemühen. § 21 Abs. 3 StVO ist daher systematisch auszulegen. Betrachtet man das Normengefüge der StVO wird mit Blick auf § 2 Abs. 4 und 5 ersichtlich, daß die StVO mit dem Begriff „Fahrrad“ nur das einspurige, durch Muskelkraft bewegte Fahrrad meinen kann. Bei der Nutzung der Radwege und Seitenstreifen bezieht sich die Vorschrift auf zwei Typen von Fahrzeugen, die durch Muskelkraft bewegt werden und baubedingt regelmäßig deutliche seitliche Ausschläge aufweisen, bezogen auf eine gedachte gerade Ideallinie. Eine Fahrradrikscha weist indes als dreirädriges Fahrzeug solche Ausschläge nicht. Daher wäre zu folgern, daß mit dem Begriff „Fahrrad“ in § 21 Abs. 2 StVO keine Fahrradrikscha gemeint ist. Dieses Ergebnis kann mit der historischen Auslegung des § 21 Abs. 3 StVO untermauert werden. Nach der historischen Auslegung ist nach dem Willen des Verordnungsgebers zu fragen. Ursprünglich ist die Fassung des § 21 Abs. 3 StVO damit begründet worden, daß die Beförderung von Kindern auf Fahrrädern gesondert geregelt werden muß, weil die Gefahr für das Kind bestehe, daß die Füße zwischen die Speichen des Fahrrades geraten und damit sowohl das Kind als auch der Fahrer verunglücken können. Auch die ältere Fassung des § 30 Abs. 1 StVO von 1937 nahm auf die Beförderung von Kindern auf Fahrrädern Bezug und schrieb vor, daß dies nur mit einer besonderen Sitzgelegenheit für das Kind möglich war. Daraus ist zu folgern, daß bei der Schaffung beider Vorschriften die Verordnungsgeber lediglich auf die spezifischen Gefahren einer Beförderung auf einem einspurigen Fahrrad gedacht haben. An eine Fahrradrikscha wurde damals nicht gedacht, daher wird sie vom Begriff des Fahrrades in § 21 Abs. 3 StVO nicht umfaßt. Schließlich ist zwecks Vollständigkeit auch die teleologische Auslegungsmethode anzuwenden. Zu prüfen ist also, welchen Sinn und Zweck die Regelung des § 21 Abs. 3 StVO hat. § 21 Abs. 3 StVO hatzum Ziel, die Gefahren abzuwenden, welche durch die Beförderung eines Kindes auf einem einspurigen Fahrrad entstehen (s. oben zur Begründung der Verordnung). Diese Gefahren sind zunächst die direkte Gefahr, daß das Kind durch die Speichen des Fahrrades verletzt wird, zum anderen kann die Überlastung des Fahrrads zu einer Gefährdung des Fahrers, des Kindes und auch der anderen Straßenverkehrsteilnehmer führen. Diese Gefahren entstehen aber bei der Beförderung mit (bzw. in) einer Fahrradrikscha nicht. Somit ist festzustellen, daß eine Fahrradrikscha kein Fahrrad i. S. d. § 21 Abs. 3 StVO ist. Die Vorschrift war auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden, das AG Leipzig hat A zu Unrecht verurteilt.