Fall 1 Hausaufgabe: Ernie und Bert
A. § 223 I Alt. 1 und 2 StGB
Bert hat sich wegen Körperverletzung gemäß § 223 I Alt 1 und 2 StGB zu Lasten des Ernie strafbar gemacht, wenn er Ernie durch den Tritt an die Nase (vorsätzlich)an der Gesundheit geschädigt oder körperlich misshandelt hat (und rechtswidrig und schuldhaft handelte).
I. (objektiver) Tatbestand
1.Die Gesundheitsschädigung ist ein pathologischer Zustand. Hier besteht der durch den Tritt verursachte Erfolg im Nasenbluten. Das ist ein krankhafter Zustand, der grundsätzlich einer ärztlichen Heilbehandlung zuänglich ist. Also liegt in dem Tritt eine Gesundheitsschädigung.
2. Eine körperliche Misshandlung liegt bei Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens durch eine Handlung des Täters vor, die nicht nur unerheblich sein darf.
Ernie hat nicht nur eine blutige Nase, sondern auch Schmerzen, die ihn zum weinen bringen. Sein körperliches Wohlbefinden ist daher nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Daher hat Bert den Ernie mit dem Tritt körperlich misshandelt.
(Bert wollte dies auch und handelte daher vorsätzlich nach §§ 15, 16 I StGB.)
II. Rechtswidrigkeit Bert handelte auch rechtswidrig.
III. Schuld Bert handelte auch schuldhaft.
IV.Ergebnis:
Bert hat sich also nach § 223 Alt. 1 und 2 StGB strafbar gemacht.
B. § 223 Abs. 1 Alt. 1 StGB des Ernie zu Lasten des Bert durch das Abscheren des Bartes?
Ernie hat sich nach § 223 Abs. 1 Alt. 1 StGB zu Lasten des Bert strafbar gemacht, wenn auch das Abschneiden der Haare eine körperliche Misshandlung ist (und er dabei vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft handelte) .
I. (Objetktiver) Tatbestand
1. Wortlaut: körperlich misshandelt
a) körperlich. Die entfernten Haare müssten Teil des Körpers sein. Der menschliche Körper iSd § 223 StGB ist ein lebender Organismus. Die Haare sind fest mit dem Körper verbunden. Allerdings sind sie bereits totes und nicht lebendiges Material. Das trifft aber für alle Hornschichten des Körpers wie Fingernägel und Hornhaut zu, die unstreitig Körperteile sind. Eine feste natürliche Verbindung ist daher ausreichend, um das gesetzliche Tatbestandsmerkmal „körperlich“ vom Wortlaut her zu erfüllen.
b) Misshandlung. Eine Misshandlung setzt als Erfolg der Handlung eine körperliche Beeinträchtigung voraus. Hier ist problematisch, dass der Verlust der Barthaare kaum körperlich fühlbar ist, sondern nur psychisch eine Belastung darstellen kann.
Es kommt also darauf an, ob eine Misshandlung neben der körperlichen Einwirkung auch mit einer körperlich fühlbaren (regelmäßig) negativen Emotion verbunden sein muss.
2. Systematik und Gesetzeszweck, Dient diese Auslegung dem Gesetzeszweck?
Eine Körperverletzung liegt unstreitig auch vor, wenn ein betäubtes Opfer verstümmelt wird. Daher kann es nicht vom Schmerzempfinden abhängen, ob eine Misshandlung vorliegt. Wenn also durch das Verbot einer "körperlichen Misshandlung" das Schutzgut der körperlichen Integrität in einem umfassenden Sinne und nicht nur der Schutz vor körperlichen Schmerzen geschützt werden soll, dient eine Hereinnahme des bloßen Substanzverlustes diesem Zweck. Auch im Hinblick auf die Systematik des Gesetzes- eine Gesundheitsbeschädigung ist gerade nicht erforderlich - ist dies zu bejahen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wird ein Verlust der Haare in der Regel als üble unangemessene Behandlung gesehen.
Das vollständige Abscheren des Haupthaars ist in der mitteleuropäischen Kultur im gesamten historischen Zeitraum ein krasses Symol der Verächtlichmachung schon daher ist das "Glatze-Schneiden" eine üble unangemessene Behandlung. Die Verächtlichmachung ist allerdings ein Punkt der bei der Körperverletzung nicht erfüllt sein muss, sondern bei der Beleidigung. Beim Haupthaar ist diese Wirkung zudem eher gegeben als bei einem Bart. Dennoch muss auch beim Bart dem Betroffenen überlassen bleiben selbst über seine Barttracht zu bestimmen. Dieser Schutz wird auch nicht vollständig durch § 185 StGB abgedeckt, da das "gut gemeinte" Rasieren keine Beleidigung darstellt. Im Interesse des lückenlosen Opferschutzes ist § 223 Abs. 1 Alt 1. StGB daher weit zu verstehen. Danach ist auch das Abscheren eines Bartes eine körperliche Misshandlung.
3. Erheblichkeit
Daneben muss die Beeinträchtigung erheblich sein, damit eine körperliche Misshandlung iSd § 223 I Alt. 1 StGB in Anbetracht seiner Strafdrohung und des Übermaßverbotes (Art. 20 III GG) bejaht werden kann. Das ist der Fall, wenn viele Haare und eine Haarlänge abgeschnitten wird, die lange braucht um nachzuwachsen. Daher ist auch das Abscheren eines ordentlichen Bartes eine körperliche Misshandlung.
Bert hatte nach lebensnaher Auslegung des Sachverhalts einen Bart mittlerer Länge (s.g. Räuberbart) also mehr als einen Drei-Tage-Bart, daher ist eine erhebliche Misshandlung im vollständigen Abschneiden des Bartes zu sehen. Ernie hat Bert also durch das Abschneiden körperlich misshandelt. (Ernie wollte dies auch und handelte daher vorsätzlich nach §§ 15, 16 I StGB.)
II. Rechtswidrigkeit Ernie handelte auch rechtswidrig.
III. Schuld Ernie handelte auch schuldhaft.
IV.Ergebnis:
Ernie hat sich nach alledem wegen § 223 Abs. 1 Alt. 1 StGB strafbar gemacht.
Vergleiche: RGSt. 29, 58 ff. (beim Abscheiden des Bartes verneint); BGH NJW 1953, 1440 (beim Abschneiden des Zopfes bejaht); ferner BVerwG NJW 1972, 1726.
Aus der Literatur: LK-Lilie, § 223 Rn. 7; MK-Joecks, § 223 Rn. 9; Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rn. 3; NK-Paeffgen, § 223 Rn. 8; Arzt/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, § 6 Rn. 23