Rechtsanwalt Roland Hoheisel-Gruler

Kanzlei im Konsul-Acker-Haus
72488, Sigmaringen
Rechtsgebiete
Familienrecht
30.01.2022

Verändert Technologie-Einsatz das Kommunikationsverhalten bei Mediation?

Auf den Seiten des Program on Negotiation der Harvard Law School findet sich ein interessanter Artikel, der sich mit der Verhaltensänderung in Verhandlungen durch Informationstechnologie befasst:

Quelle: Does Using Technology in Negotiation Change Our Behavior? – PON – Program on Negotiation at Harvard Law School

technik

Interessanterweise stammen die hier dargestellten Überlegungen aus: “How Technology is Changing Us and the Way We Negotiate” – einem Artikel aus dem Jahre 2017 und damit deutlich vor der Corona-Zeit, die fast alles, was an Verhandlungsformen bei kommunikationsbasierter Konfliktlösung Standard und üblich war, in Frage stellen konnte.

Soweit der Ansatz des Artikels darauf abzielt, dass Handys und Laptops die Aufmerksamkeit stehlen können und von dort von außen eingeholte Informationen während des Verhandlungsprozesses eine höhere Glaubwürdigkeit erhalten könnten als der reale Verhandlungsgegenstand und die Argumentation des Gegenüber – so ist dies den Vor-Corona-Verhältnissen geschuldet.

Weil nun also ein persönliches Treffen und damit Mediationssitzungen am runden Tisch aus Gründen der Gesundheitssorge nahezu unmöglich geworden sind, sind die Erkenntnisse, dass Mediation über Video-Konferenzsysteme nicht die Fortsetzung der Präsenzsitzungen mit anderen Mitteln darstellen kann, wichtig. Denn nur wenn darauf aufgebaut wird, können diese neuen Problemstellungen, die sich aus dem Einsatz von Kommunikationstechniken ergeben, adäquat angegangen und damit auch hinreichend im Verfahren berücksichtigt werden.

Der Fokus daher zunächst auf den Bereiche von Aufmerksamkeit und Empathie – und die gefundenen Ergebnisse sind dabei durchaus beachtlich. Es ist kein Wunder, dass beides nicht in gleicher Form wie in Präsenz zu erwarten ist, Ablenkungen und Störungen sind um ein Vielfaches wahrscheinlicher. Aber es fehlt eben auch der gemeinsam genutzte geschützte Raum, das greifbare und fühlbare Vertrauen, das sich bei einer realen und nicht nur virtuellen Begegnung einstellen kann.

Diese negativen Effekte müssen daher berücksichtigt werden, wenn online verhandelt wird. Das kann durch gezielte Ansprache, Vereinbarung von Regeln im Hinblick auf die Verwendung von Video und Ton, Zusagen und Überprüfbarkeit von Vertraulichkeit hergestellt werden. Dazu gehört auch, gegebenenfalls Kamera-Einstellungen so zu optimieren, dass ein Sich-in-die-Augen-sehen tatsächlich möglich gemacht wird. Die Distanz, die die Technik aufbaut, vermag Empathie zu hindern: Dies muss dann gezielt unterstützend hervorgeholt werden.

Wenn nun – aus der historischen Sicht begründet – die Kommunikation und damit die Konfliktlösung verbessert werden kann, wenn technische Hilfsmittel aus den Verhandlungen verbannt werden, so gilt das für eine Mediation unter Zuhilfenahme von Kommunikationstechnik nur insoweit, als dass ein Modus vivendi gefunden werden kann und muss, um diesen Störungen proaktiv entgegenzutreten.

Damit dies gelingt, bedarf es einer erhöhten Aufmerksamkeit und Sensibilität des Mediators für das, was bei den Medianten gerade geschieht – ob und wie hier tatsächlich auf den aktuellen Punkt fokussiert wird und ob entsprechende Absprachen zur Vertraulichkeit, Absgeschlossenheit, Diskretion und der Abwesenheit weiterer, für das Verfahren unnötiger IT-Geräte eingehalten wird. Dies ist im Vorgespräch logischerweise zu thematisieren und auch festzuhalten.

Ein solches vereinbartes Vorgehen hat letztlich auch den Vorteil, dass die Versuchungen, nebenbei doch in Dateien oder im Netz zu recherchieren, sich über Mobiltelefone Zurufe von der Seitenlinie zu holen oder die Vertraulichkeit zu unterlaufen, thematisiert werden. Dabei können dann auch etwaige Bedürfnisse, die hinter einem solchen andenkbaren Verhalten stehen, dann auch ausdiskutiert und quasi prä-mediiert werden, bevor das eigentliche Thema behandelt wird. Dadurch kann die Aufmerksamkeit, Empathie und auch das Vertrauen in die Mediation auch unter Zuhilfenahme von Informationstechnik insgesamt gestärkt werden.