Die bisherige Rechtsprechung erachtete die Frage nach der Schwerbehinderung bei einem Bewerbungsgespräch als zulässig. Im Hinblick auf das Verbot der Diskriminierung Behinderter in § 1 AGG könnten an diesem Befund Zweifel auftauchen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am Donnerstag entschieden, dass die Frage jendenfalls nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen zulässig ist. Im bestehenden Arbeitsverhältnis darf der Arbeitgeber jedenfalls nach sechs Monaten fragen Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen.
In dem zu entscheidenden Fall war über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der vorläufige Insolvenzverwalter bat die Mitarbeiter in einem Fragebogen zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der ihm vorliegenden Daten unter anderem um Angaben zum Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Der mit einen GdB von 60 schwerbehinderte spätere Kläger verneinte die Frage nach einer Schwerbehinderung. Später kündigte der Insolvenzverwalter den Kläger, der in seiner Kündigungsschutzklage die Schwerbehinderung mitteilte. Er rügte die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes. Während das Arbeitsgericht ihm Recht gab, hielt das Landesarbeitsgericht die Kündigung für wirksam. Der Kläger könne sich auf den Kündigungsschutz für Schwerbehinderte nicht berufen, weil er die Frage nach der Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint habe. Diese Auffassung vertrag auch das BAG: Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung stehe im Zusammenhang mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG sowie durch den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX.. Sie solle es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu zu verhalten. Die Frage diskriminiere behinderte Arbeitnehmer nicht gegenüber solchen ohne Behinderung. Infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seiner Schwerbehinderung sei es dem Kläger unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10
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17.02.2012