Rechtsanwalt Nils Wittmiss

F-200 ASG Rechtsanwälte GmbH
10117, Berlin
30.07.2012

Rechtsmissbräuchliche Kettenbefristung

Trotz Vorliegens eines Sachgrundes kann aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall Befristung eines Arbeitsvertrags rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam sein. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesarbeitsgericht in einer aktuellen Entscheidung. Insbesondere könnten eine hohe Gesamtdauer oder eine außergewöhnliche Vielzahl aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge mit demselben Arbeitgeber für einen Rechtsmissbrauch sprechen.

Gemäß dem Teilzeit- und Befristungsgesetz ist die Befristung von Arbeitsverträgen nur aus sachlichem Grund gerechtfertigt. Ein solcher sachlicher Grund ist unter anderem die zeitweise Vertretung eines anderen Arbeitnehmers (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG). Nach bisheriger Rechtsprechung stand dem auch eine größere Anzahl der mit dem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge nicht entgegen. Entscheiden war allein ein konkreter Vertretungsfall. Ein ständig vorhandener Vertretungsbedarf war unerheblich.

Da der Siebte Senat des BAG jedoch Zweifel an der EU-Rechtskonformität dieses Grundsatzes hatte, trat er mit einer entsprechenden Vorlage an den EuGH (siehe hier). Der führte in seiner daraufhin ergangenen Entscheidung aus, dass das wiederholte oder sogar dauerhafte Zurückgreifen auf befristete Vertretungen der Annahme weder eines sachlichen Grundes entgegenstünde, noch folge daraus das Vorliegen eines Missbrauchs. Jedoch müssten die nationalen Staaten alle mit der Verlängerung verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben könnten. Dabei könnten sich Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinanderfolgenden Verträge als relevant erweisen.

Auf dieser Grundlage stellte der Siebte Senat klar, dass er an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festhalte und das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrundes der Vertretung nicht entgegenstehe. Allerdings könne unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrages trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch seien aber hohe Anforderungen zu stellen. Es seien alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.

Daher hob der Siebte Senat ein Urteil des LAG Köln, welches die Befristungskontrollklage eine beim Land NRW beschäftigten Justizangestellten abgewiesen hatte, auf. Von Juli 1996 bis Dezember 2007 war die Klägerin aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen im Amtsgericht Köln tätig.

In der Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und der Anzahl von 13 Befristungen sah das BAG ein rechtsmissbräuchliches Ausnutzen der an sich eröffneten Möglichkeit der Vertretungsbefristung. Da dem beklagten Land aber noch Gelegenheit zu geben war, dem an sich indizierten Rechtsmissbrauch konkret entgegenzutreten, hat das BAG der Klage nicht stattgegeben, sondern den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen.

BAG, Urt. v. 18.07.2012

Az.: 7 AZR 443/09