Wie der Europäische Gerichtshof jetzt entschied, ist für Arbeitsverhältnisse, in denen der Arbeitnehmer in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union seine Tätigkeit ausführt, das Recht des Staates maßgeblich, in dem der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen im Wesentlichen erfüllt. Insoweit ist die freie Rechtswahl zum Schutze des Arbeitnehmers als schwächere Vertragspartei eingeschränkt.
Der folgende Sachverhalt lag der grundlegenden Entscheidung des EuGH zugrunde. Der in Deutschland wohnende Kläger ist seit 1998 bei der Beklagten, einem luxemburgischen Unternehmen, als LKW-Fahrer angestellt. Im Arbeitsvertrag des Klägers ist für Rechtsstreitigkeit ausdrücklich die Anwendung luxemburgischen Rechts vorgesehen. Die Beklagte ist spezialisiert auf den Transport von Pflanzen aus Dänemark nach Deutschland sowie in andere europäische Länder. In Deutschland verfügt die Beklagte weder über einen Gesellschaftssitz, noch über Geschäftsräume, jedoch befinden sich die Abstellplätze für die in Luxemburg zugelassenen LKW in Deutschland. Die Fahrer der Beklagten wie auch der Kläger sind in Luxemburg sozialversichert. 2001 gründeten die Beschäftigten der Beklagten einen Betriebsrat, dem der Kläger als Ersatzmitglied angehörte.
Im März 2001 kündigte die Beklagte dem Kläger ordentlich, wogegen der Kläger vor einem deutschen Arbeitsgericht vorging. Nachdem sich dies für örtlich unzuständig erklärte, klagte er vor dem Arbeitsgericht Luxemburg. Während das deutsche Recht Betriebsratsmitgliedern Sonderkündigungsschutz einräumt, sieht das luxemburgische Recht ein solches nicht vor. Er räumt zwar ein, dass auf den Arbeitsvertrag luxemburgisches Recht anwendbar sei. Nach dem Übereinkommen vom Rom dürfe ihm jedoch nicht der Schutz entzogen werden, der ihm ohne die Rechtswahl durch die Anwendung der zwingenden Vorschriften des deutschen Gesetzes gewährt würde, das die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern verbiete.
Der mit der Sache befasste Berufungsgerichtshof Luxemburg legte dem EuGH die Frage, nach welchen Kriterien in einem solchen Fall das anwendbare Recht zu bestimmen ist, zur Vorabentscheidung vor. Dieser entschied, dass das Recht des Staates anzuwenden ist, in welchem der Arbeitnehmer seine vertraglichen Verpflichtungen im Wesentlichen erfüllt.
Nach dem Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht in Zivil- und Handelssachen (Rom I-Verordnung – Rom I-VO) unterliegen Arbeitsverträge zwar grundsätzlich dem von den Parteien gewählten Recht. Diese Rechtswahl dürfe aber nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das anzuwenden wäre, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen hätten.
Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, unterliege der Arbeitsvertrag daher dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer „gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“ oder, wenn er seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet, dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung des Arbeitgebers befindet. Ausnahmsweise unterliege der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist.
Hierbei müsse das nationale Gericht aufgrund des Wesens der Arbeit im internationalen Transportsektor sämtlichen Gesichtspunkten Rechnung tragen, die die Tätigkeit des Arbeitnehmers kennzeichnen. Es müsse insbesondere ermitteln, in welchem Staat sich der Ort befindet, von dem aus der Arbeitnehmer seine Transportfahrten durchführt, Anweisungen zu diesen Fahrten erhält und seine Arbeit organisiert und an dem sich die Arbeitsmittel befinden. Es müsse auch prüfen, an welche Orte die Waren hauptsächlich transportiert werden, wo sie entladen werden und wohin der Arbeitnehmer nach seinen Fahrten zurückkehrt
EuGH, Urt. v. 15.03.2011
Az.: C-29/10