Zwar gibt es keinen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, der Diskriminierungen wegen eines eigenständigen Diskriminierungsgrunds der Adipositas verbietet, doch kann morbide Adipositas unter den Begriff „Behinderung" fallen, wenn sie so gravierend ist, dass sie ein Hindernis für die volle, mit anderen Arbeitnehmern gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben darstellt
Um den Grundsatz der Gleichbehandlung zu fördern, schafft die Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf1 einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf. Nach dieser Richtlinie sind Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung im Bereich der Beschäftigung verboten. Darüber hinaus befassen sich zahlreiche Bestimmungen in den Verträgen und der Charta der Grundrechte mit dem Thema Diskriminierung und Behinderung; so verbietet Art. 21 der Charta „Diskriminierungen insbesondere wegen … einer Behinderung". Keine dieser Vorschriften nimmt ausdrücklich auf Adipositas Bezug.
Herr Kaltoft hatte 15 Jahre lang für die Gemeinde Billund in Dänemark als Tagesvater fremde Kinder in deren Heim betreut. Am 22. November 2010 wurde seine Beschäftigung beendet. Die Kündigung wurde mit einem Rückgang der Zahl zu betreuender Kinder begründet, doch wurde kein ausdrücklicher Grund dafür genannt, dass gerade Herr Kaltoft entlassen wurde. Während der Dauer seiner Beschäftigung wog Herr Kaltoft nie weniger als 160 kg; mit einem BMI von 54 war er daher als adipös einzustufen. Seine Adipositas wurde bei seiner offiziellen Anhörung anlässlich der Kündigung erörtert; zwischen den Parteien besteht aber Uneinigkeit darüber, warum dies geschah, und die Gemeinde bestreitet, dass die Adipositas in die Entscheidungsgrundlage für die Kündigung eingegangen sei. Herr Kaltoft hingegen macht geltend, dass seine Entlassung auf einer rechtswidrigen Diskriminierung wegen seines Gewichts beruhe, und hat vor einem dänischen Bezirksgericht Klage auf Schadensersatz wegen dieser Diskriminierung erhoben.
Das mit der Klage von Herrn Kaltoft befasste Retten i Kolding (Gericht Kolding, Dänemark) hat den Gerichtshof um Klarstellung ersucht, ob das Unionsrecht, insbesondere der Vertrag und die Charta, ein eigenständiges Verbot von Diskriminierungen wegen Adipositas enthält. Ferner möchte es wissen, ob Adipositas als Behinderung eingestuft werden kann und deswegen in den Anwendungsbereich der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fällt.
In seinen heutigen Schlussanträgen weist Generalanwalt Niilo Jääskinen darauf hin, dass keine Bestimmung des Vertrags oder der Charta ausdrücklich auf Adipositas als verbotenen Diskriminierungsgrund Bezug nimmt. Ein solches Verbot könnte daher nur Teil eines allgemeinen, aus dem offenen Wortlaut des Art. 21 der Charta abgeleiteten Verbots jeder Art von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt sein. Allerdings ist die Charta für die Mitgliedstaaten nur bei der Durchführung von Unionsrecht bindend, und es gibt keinen Anhaltspunkt für eine solche Durchführung einer Vorschrift des Unionsrechts über ein allgemeines Verbot von Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt durch Dänemark. Der Generalanwalt hebt hervor, dass sich alle Rechtsakte der EU, die diskriminierendes Verhalten verbieten, auf bestimmte Diskriminierungsgründe in bestimmten Sachgebieten beziehen und keinen generellen Ausschluss jeder diskriminierenden Behandlung vorsehen. Daher kommt Generalanwalt Jääskinen zu dem Ergebnis, dass es im Unionsrecht kein allgemeines, eigenständiges Verbot von Diskriminierungen wegen Adipositas gibt.
Hinsichtlich der Frage, ob Adipositas als „Behinderung" im Sinne der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf eingestuft werden kann, weist der Generalanwalt darauf hin, dass der Gerichtshof, da der Begriff der Behinderung in der Richtlinie nicht definiert wird, festgestellt hat, dass unter einer „Behinderung" in diesem Zusammenhang Einschränkungen zu verstehen sind, die sich aus langfristigen physischen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen ergeben, die den Betroffenen in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen, mit anderen Arbeitnehmern gleichberechtigten Teilhabe am Berufsleben hindern können. Auch wenn daher nicht jede Krankheit als Behinderung anzusehen ist, können bestimmte Krankheiten, wenn sie ärztlich diagnostiziert werden und langfristige Einschränkungen nach sich ziehen, als Behinderung im Sinne der Richtlinie eingestuft werden.
Generalanwalt Jääskinen hebt hervor, dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen und wirksamen Teilhabe am Arbeitsleben hindern. Da der Zweck der Richtlinie darin besteht, jede Form der Diskriminierung wegen Behinderung zu bekämpfen, ist kein Zusammenhang zwischen der betreffenden beruflichen Tätigkeit und der in Rede stehenden Behinderung erforderlich. Auch wenn sich ein Leiden nicht auf die Fähigkeit des Betroffenen zur Ausübung der konkret in Frage stehenden Tätigkeit auswirkt, kann es dennoch ein Hindernis für die volle und wirksame, mit anderen Personen gleichberechtigte Teilhabe darstellen. Es kann langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen geben, die bestimmte Tätigkeiten nicht unmöglich machen, sondern ihre Ausführung oder die Teilhabe am Berufsleben objektiv erschweren und anspruchsvoller machen. Typische Beispiele hierfür sind Behinderungen mit schwerwiegenden Einschränkungen der Mobilität oder wesentlichen Beeinträchtigungen der Sinneswahrnehmung, wie etwa des Seh- oder Hörvermögens. Es muss Herrn Kaltoft also nicht unmöglich sein, seine Tätigkeit als Tagesvater bei der Gemeinde Billund auszuüben, damit er sich auf den durch die Richtlinie gewährten Schutz Behinderter vor Diskriminierung berufen kann.
Der Generalanwalt führt aus, dass es zwar keine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung einer Person gibt, die für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes nicht kompetent ist, doch sind angemessene Maßnahmen zugunsten des Behinderten zu ergreifen, sofern sie nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung für den Arbeitgeber führen.
Daher kann nach Ansicht von Herrn Jääskinen Adipositas dann als Behinderung angesehen werden, wenn sie ein solches Maß erreicht hat, dass sie offenkundig ein Hindernis für die Teilhabe am Berufsleben darstellt. Seiner Meinung nach kann nur eine schwere, extreme oder morbide Adipositas, d. h. ein BMI von über 40, zu Einschränkungen wie Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen, die eine „Behinderung" im Sinne der Richtlinie darstellen.
Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die Adipositas von Herrn Kaltoft unter diese Definition fällt.
Abschließend fügt der Generalanwalt hinzu, dass es auf den Ursprung der Behinderung nicht ankommt. Der Begriff der Behinderung ist objektiver Art und hängt nicht davon ab, ob der Kläger durch „selbst verursachte" übermäßige Energieaufnahme ursächlich zum Eintritt seiner Behinderung beigetragen hat. Andernfalls wären körperliche Behinderungen infolge des leichtfertigen Eingehens von Risiken im Verkehr oder im Sport vom Begriff der Behinderung ausgeschlossen.
Generalanwalt Jääskinen hebt hervor, dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen und wirksamen Teilhabe am Arbeitsleben hindern. Da der Zweck der Richtlinie darin besteht, jede Form der Diskriminierung wegen Behinderung zu bekämpfen, ist kein Zusammenhang zwischen der betreffenden beruflichen Tätigkeit und der in Rede stehenden Behinderung erforderlich. Auch wenn sich ein Leiden nicht auf die Fähigkeit des Betroffenen zur Ausübung der konkret in Frage stehenden Tätigkeit auswirkt, kann es dennoch ein Hindernis für die volle und wirksame, mit anderen Personen gleichberechtigte Teilhabe darstellen. Es kann langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen geben, die bestimmte Tätigkeiten nicht unmöglich machen, sondern ihre Ausführung oder die Teilhabe am Berufsleben objektiv erschweren und anspruchsvoller machen. Typische Beispiele hierfür sind Behinderungen mit schwerwiegenden Einschränkungen der Mobilität oder wesentlichen Beeinträchtigungen der Sinneswahrnehmung, wie etwa des Seh- oder Hörvermögens. Es muss Herrn Kaltoft also nicht unmöglich sein, seine Tätigkeit als Tagesvater bei der Gemeinde Billund auszuüben, damit er sich auf den durch die Richtlinie gewährten Schutz Behinderter vor Diskriminierung berufen kann.
Der Generalanwalt führt aus, dass es zwar keine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung einer Person gibt, die für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes nicht kompetent ist, doch sind angemessene Maßnahmen zugunsten des Behinderten zu ergreifen, sofern sie nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung für den Arbeitgeber führen.
Daher kann nach Ansicht von Herrn Jääskinen Adipositas dann als Behinderung angesehen werden, wenn sie ein solches Maß erreicht hat, dass sie offenkundig ein Hindernis für die Teilhabe am Berufsleben darstellt. Seiner Meinung nach kann nur eine schwere, extreme oder morbide Adipositas, d. h. ein BMI von über 40, zu Einschränkungen wie Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen, die eine „Behinderung" im Sinne der Richtlinie darstellen.
Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die Adipositas von Herrn Kaltoft unter diese Definition fällt.
Abschließend fügt der Generalanwalt hinzu, dass es auf den Ursprung der Behinderung nicht ankommt. Der Begriff der Behinderung ist objektiver Art und hängt nicht davon ab, ob der Kläger durch „selbst verursachte" übermäßige Energieaufnahme ursächlich zum Eintritt seiner Behinderung beigetragen hat. Andernfalls wären körperliche Behinderungen infolge des leichtfertigen Eingehens von Risiken im Verkehr oder im Sport vom Begriff der Behinderung ausgeschlossen.
PM des EuGH 112/14