Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am 15. Januar 2014 über Kommunalverfassungsbeschwerden, die von 15 Landkreisen und einer Stadt erhoben wurden. Sie betreffen die rechtliche Stellung sogenannter Optionskommunen nach der Einfügung von Art. 91e in das Grundgesetz und dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für
Arbeitsuchende vom 3. August 2010.
Arbeitsuchende vom 3. August 2010.
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs - Zweites Buch (SGB II), namentlich gegen
- § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II, soweit dieser das Erfordernis einer
Zwei-Drittel-Mehrheit in der zuständigen Vertretungskörperschaft für
die Stellung eines Antrags auf Zulassung als Optionskommune festlegt,
- § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II, soweit dieser die Anzahl der insgesamt
zuzulassenden Optionskommunen auf 25 % der möglichen Aufgabenträger
begrenzt,
- § 6b Abs. 3 SGB II, soweit dieser dem Bundesrechnungshof die
Finanzkontrolle über die Optionskommunen gestattet, und § 6b Abs. 4
SGB II, soweit dieser dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Prüfbefugnisse gegenüber den Optionskommunen einräumt.
Durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 („Hartz IV“) wurden Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für erwerbsfähige Arbeitslose zur Grundsicherung für Arbeitssuchende zusammengeführt, um sie als einheitliche Leistung „aus einer Hand“ anbieten zu können. Dies bedingte grundlegende Änderungen in der Organisation der Leistungsverwaltung. So wurden zum einen Arbeitsgemeinschaften gebildet, in denen die Bundesagentur für Arbeit und die Kommunen zur gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung zusammenwirkten. Zum anderen wurden sogenannte Optionskommunen zugelassen, die zusätzlich zu den kommunalen Aufgaben im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende auch sämtliche Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit wahrnehmen und die Leistungen der Grundsicherung somit alleinverantwortlich erbringen.
Mit Urteil vom 20. Dezember 2007 (BVerfGE 119, 331) entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die Pflicht zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften und die Aufgabenwahrnehmung durch diese mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Art. 83 GG unvereinbar sei, da es keine grundgesetzliche Regelung gebe, die diese Form der Mischverwaltung erlaube. In der Folge verständigten sich die politisch Verantwortlichen auf eine Änderung des Grundgesetzes, die das weitere Zusammenwirken der Bundesagentur für Arbeit und der kommunalen Träger sowie die Beibehaltung und Ausweitung des Optionsmodells ermöglichen und eine einheitliche Bundesaufsicht über die Optionskommunen begründen sollte, soweit diese anstelle der Bundesagentur für Arbeit tätig werden. Mit Gesetz vom 21. Juli 2010 (BGBl. I S. 944) wurde ein neuer Art. 91e in das Grundgesetz eingefügt. Parallel hierzu beschloss der Bundestag das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 3. August 2010 (BGBl. I S. 1112). Durch dieses Gesetz erhielt das SGB II die für das vorliegende Verfahren maßgebliche Fassung.
Bundesweit bewarben sich 77 Gemeinden und Gemeindeverbände um die neu zu verteilenden 41 Plätze als Optionskommunen (25 % von 439 möglichen Aufgabenerbringern, abzüglich der bereits im Jahr 2005 zugelassenen 69 Optionskommunen). Zu ihnen gehörte auch der Beschwerdeführer zu 1., der in der entscheidenden Kreistagssitzung die für die Antragstellung erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln jedoch verfehlte. Die Beschwerdeführer zu 1. bis 15. wurden nicht zugelassen; der Beschwerdeführer zu 16. ist bereits seit dem 1. Januar 2005 zugelassener kommunaler Träger.
Der Beschwerdeführer zu 1. rügt, § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II greife in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG) ein. Der Eingriff sei verfassungswidrig, weil der Bund über keine Gesetzgebungszuständigkeit verfüge. Die Kommunen seien nach dem Grundgesetz Teil der Länder; die Gesetzgebungszuständigkeit für das Kommunalrecht liege gemäß Art. 70 GG in deren ausschließlicher Zuständigkeit. Zwar sei der Bund zu kommunalrelevanten, nicht jedoch zu kommunalspezifischen Regelungen befugt. § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II betreffe nach seinem Gehalt allein die behördeninterne Willensbildung und könne deshalb nicht auf die Kompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) gestützt werden. Art. 91e Abs. 2 GG verschaffe dem Bund insoweit keine Gesetzgebungsbefugnisse.
Die Beschwerdeführer zu 2. bis 15. legen dar, § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II sei verfassungswidrig, da Art. 91e GG nur ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vorsehe, während die angegriffene Vorschrift die Zahl der neu zuzulassenden Optionskommunen auf 25 % der Aufgabenerbringer beschränke.
Dabei handele es sich um einen in den Entschließungsanträgen niedergelegten politischen Kompromiss, den der Gesetzgeber umgesetzt habe, ohne abweichende Erwägungen anzustellen oder ein Regelwerk für eine nachvollziehbare Zulassungsreihenfolge zu normieren. Für den Fall eines Überhangs an Antragstellern müsse der Gesetzgeber zudem ein Verteilungsverfahren normieren, das die Auswahl der besten Antragsteller gewährleiste. Das bislang vorgesehene Verfahren genüge dem Grundsatz der kommunalen Gleichbehandlung nicht.
Der Beschwerdeführer zu 16. wendet sich gegen § 6b Abs. 3 und § 6b Abs. 4 SGB II. Diese Vorschriften sähen eine Finanzkontrolle der Kommunen durch den Bundesrechnungshof bzw. Prüfbefugnisse des zuständigen Bundesministeriums vor, obwohl die Aufgaben der Grundsicherung von den Kommunen als Selbstverwaltungsaufgaben wahrgenommen würden, die Länder die Aufsicht führten und keinerlei Verwaltungsbefugnisse des Bundes bestünden. Die Prüfbefugnisse griffen daher in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ein und seien nicht von Art. 91e Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG gedeckt.
PM 64/13 des BVerfG