In Deutschland sind Ausländer, die einreisen, um Sozialhilfe zu erhalten, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, von den Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen, die insbesondere zur Sicherung des Lebensunterhalts ihrer Empfänger dienen (§ 7 Abs. 1 SGB II; § 23 Abs. 3 SGB XII).
Das Sozialgericht Leipzig ist mit einem Rechtsstreit zwischen zwei rumänischen Staatsangehörigen, Frau Dano und ihrem Sohn Florin, auf der einen Seite und dem Jobcenter Leipzig, das ihnen Leistungen der Grundsicherung verweigert hat, auf der anderen Seite befasst. Frau Dano ist nicht nach Deutschland eingereist, um dort Arbeit zu suchen. Sie beantragt Leistungen der Grundsicherung, die Arbeitsuchenden vorbehalten sind, obwohl sie sich, wie aus den Akten hervorgeht, nicht auf Arbeitsuche begeben hat. Sie hat keinen erlernten oder angelernten Beruf und war bislang weder in Deutschland noch in Rumänien erwerbstätig. Sie und ihr Sohn leben mindestens seit November 2010 in Deutschland, wo sie bei einer Schwester von Frau Dano wohnen, die sie mit Naturalien versorgt. Frau Dano bezieht für ihren Sohn Florin Kindergeld in Höhe von monatlich 184 Euro und einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von monatlich 133 Euro. Um diese Leistungen geht es im vorliegenden Fall nicht.
In Beantwortung der Fragen des Sozialgerichts Leipzig entscheidet der Gerichtshof in seinem Urteil, dass Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu bestimmten Sozialleistungen (wie den deutschen Leistungen der Grundsicherung) nur verlangen können, wenn ihr Aufenthalt die Voraussetzungen der „Unionsbürgerrichtlinie" (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77) erfüllt.
Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Aufnahmemitgliedstaat nach der Richtlinie nicht verpflichtet ist, während der ersten drei Monate des Aufenthalts Sozialhilfe zu gewähren.
Bei einer Aufenthaltsdauer von mehr als drei Monaten, aber weniger als fünf Jahren (wie im vorliegenden Fall), macht die Richtlinie das Aufenthaltsrecht u. a. davon abhängig, dass nicht erwerbstätige Personen über ausreichende eigene Existenzmittel verfügen. Damit soll verhindert werden, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch nehmen. Ein Mitgliedstaat muss daher die Möglichkeit haben, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines
Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen, Sozialleistungen zu versagen; insoweit ist jeder Einzelfall zu prüfen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen. Unter diesen Umständen entscheidet der Gerichtshof, dass die Unionsbürgerrichtlinie und die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit4 einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen"5 ausschließt, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie zusteht.
Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen regelt. Da hierfür der nationale Gesetzgeber zuständig ist, hat er auch den Umfang der mit derartigen Leistungen sichergestellten sozialen Absicherung zu definieren. Die Mitgliedstaaten führen somit nicht das Recht der Union durch, wenn sie die Voraussetzungen und den Umfang der Gewährung besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen festlegen, so dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht anwendbar ist.
In Bezug auf Frau Dano und ihren Sohn führt der Gerichtshof aus, dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen und daher kein Recht auf Aufenthalt in Deutschland nach der Unionsbürgerrichtlinie geltend machen können. Folglich können sie sich nicht auf das in der Richtlinie und der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit verankerte Diskriminierungsverbot berufen.
EuGH, 11.11.2014, Az. C 333/13 ("Dano") - PM 146/14