Ich werde es nie verstehen, warum in Bußgeldsachen die Akteneinsicht nicht ordnungsgemäß gewährt wird und man da immer so ein Rennen mitmacht. Der Kollege Burhoff berichtet (gefühlt) täglich über neue Vorfälle zum Akteneinsichtsrecht. (und zwar über die nicht gewährte!). Der Innenminister des Landes NRW hat einen glasklaren Erlaß erteilt (auch hierzu der Kollege Burhoff hier). In so gut wie keiner Sache bekommt man gleichwohl die “üblichen” bzw. erforderlichen Unterlagen wie Messprotokoll und Eichschein. In der Praxis wird dem Betroffenen gerade nicht in einem Umfang Akteneinsicht gewährt, wie ihn der gerichtliche Sachverständige erhalten würde.
Der Betroffene hat dann entweder nur die Möglichkeit, sich die vollständige Akteneinsicht bei der Behörde zu erstreiten, wenn die nicht mitmacht, mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor dem Amtsgericht oder eben im Rahmen der Hauptverhandlung über den Einspruch. Klassiker sind z.B. die mit vielfältigen Schattierungen verweigerte Einsicht in die Bedienungsanleitung. Entweder wird diese aus “urheberrechtlichen Gründen” nicht gewährt. Oder nur in den Räumen der Ordnungsbehörde. Oder oder oder….
Hierfür muss man kein Verständnis aufbringen. Ich halte das sogar für ausgemachte Anstellerei. Ich stelle mir auch die Frage, wie ein Beamter vor Erlass des Bussgeldbescheids dessen Rechtmäßigkeit prüfen will, wenn er nicht diejenigen Unterlagen in der Akte hat, die die Messung zu einem “standardisierten Messverfahren” machen. Oder muss sich die Behörde dann den Vorwurf gefallen lassen, den Bussgeld wie einen automatisierten Mahnbescheid ohne nähere Prüfung der Begründetheit zu erlassen, in der Hoffnung, der Betroffene werde sich schon nicht wehren ?
Besonders krass sind die Fälle, in denen mittels “Provida” ein Video aufgezeichnet wird. Was spricht dagegen, dem Anwalt gleich auf sein Akteneinsichtsgesuch hin auch das Video mitzuschicken ? Ich habe das noch nicht ein einziges Mal erlebt. Es geht dann so weiter, dass man von der Bussgeldbehörde auf die Polizei verwiesen wird, wo man das Video anfordern kann. Dann wird die Übersendung eines Datenträgers verlangt. Wenn man besonderes Glück hat, wird um die Übersendung eines VHS-Bands gebeten. Die Älteren unter Ihnen werden noch diese Videorecorder kennen…..
So erging es mir auch in einem Verfahren, das vom Kreis Mettmann geführt wird. Dem Betroffenen wurde eine Geschwindigkeitsübertretung und mehr vorgeworfen; er war dummerweise einem “Provida”-Fahrzeug geradezu vor die Kamera gefahren. Bei meinem ersten Akteneinsichtsgesuch waren in der Akte nur ein “Einsatzprotokoll” und der Eichschein vorhanden. Ich habe die Akte mit der Bitte um Gewährung vollständiger Akteneinsicht zurückgeschickt; vorsorglich habe ich auf darauf hingewiesen, dass ich die 12,00 € Akteneinsichtspauschale kein 2. Mal zahlen werde. Man hätte mir ja auch alles gleich schicken können/müssen. Dann erfolgte eine Rückfrage, was ich denn konkret meine mit “vollständiger” Akteneinsicht. Ich habe auf den Erlaß des Innenministeriums vom 31.1.2012 verwiesen und dass eine Bussgeldbehörde doch wissen müsse, was alles in die Akte gehöre; man möge mir mindestens die im Bussgeldbescheid genannten Beweismittel zur Verfügung stellen. Nach Zusendung einer CD wurde mir dann wenigstens das Video des angeblichen Verstoßes zur Verfügung gestellt. Bereits zuvor hatte ich für den Fall, dass man mir nicht vollständige Akteneinsicht gewährt, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 OWiG gestellt. Nach Abgabe an das Amtsgericht habe ich den Antrag auf Übersendung von Bedienungsanleitung, Beschilderungsplan, Schulungsbescheinigung der eingesetzten Beamten und der “Lebensakte”/fahrzeugbezogenen Unterlagen eingehend begründet.
Und was macht das AG Langenfeld daraus ? Man glaubt es kaum. Der Amtsrichter schreibt:
“16 OWi 89/12 [b]
Amtsgericht Langenfeld
Beschluss
ln dem Verfahren
…
betreffend den Antrag auf gerichtliche Entscheidung
Verteidiger: Rechtsanwalt Jürgen Frese, Schafhausener Str. 38, 52525 Heinsberg
hat das Amtsgericht Langenfeld
durch den Richter am Amtsgericht Bösen
am 30. August 2012
beschlossen:Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 18.07.2012
wird als unzulässig verworfen.
Gründe
Im Rahmen eines Bußgeldverfahrens hat der Antragsteller mit anwaltlichem
Schriftsatz vom 18.07.2012 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäߧ 62 OWiG
gestellt und zwar “für den Fall, dass dem Betroffenen immer noch nicht vollständige
Akteneinsicht gewährt wird” .Der Antrag aüf gerichtliche Entscheidung ist bereits unzulässig.
Rechtsmittel sind bedingungsfeindlich. Der Antragsteller hat hier jedoch die
Einlegung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung von einer Bedingung abhängig
gemacht, nämlich dem Umstand, dass ihm immer noch nicht vollständig Akteneinsicht gewährt wird.Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist im Übrigen auch unbegründet.
Erstmals mit seinem anwaltliehen Schriftsatz vom 29.08.2012 hat der Betroffene
dargelegt, was seiner Ansicht nach alles zur Akte gehört. Indes ist festzustellen, dass
die vom Verteidiger aufgelisteten Unterlagen nicht standardmäßig in jede Akte
gehören. Vielmehr ist es Sache des Verteidigers bereits bei der ersten Beantragung
einer Akteneinsicht klarzustellen, was er alles im Einzelnen einzusehen wünscht. So
dann ist es Pflicht eines Verteidigers als Organ der Rechtspflege nach einer aus
seiner Sicht unvollständigen Akteneinsicht die Objekte exakt zu benennen, die er bei
seiner Akteneinsicht vermisst hat. Alles andere ist nicht praktikabel.Bösen”
Man liest selten so viel Falsches auf 2 Seiten. Was meint denn der Richter, der offensichtlich so auf “Praktikabilität” Wert legt, wie es weitergeht? Der Antrag auf vollständige Akteneinsicht wird in der Hauptverhandlung mit Aussetzungsantrag erneut gestellt, der Termin platzt, die Unterlagen werden entweder beigezogen oder die Sache läuft von selbst zum OLG Düsseldorf mit dem Vorwurf der Versagung rechtlichen Gehörs, wenn dem Antrag nicht entsprochen wird.
Noch ein Hinweis zum “bösen” Anwalt als Organ der Rechtspflege, für den sich ein solch untunliches Verhalten nicht schickt: Nicht dieser verhält sich hier falsch, sondern Bussgeldbehörde und Richter, die dem Betroffenen das rechtliche Gehör versagen. Oder anders ausgedrückt: den Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren mit den Füssen treten. Der Anwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege ist dafür da, auf diese Füsse zu treten.
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(C) RA FRESE, http://www.ra-frese.deÜber die Plattform "schadenfix.de" der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV können Sie mir unkompliziert einen Unfallschaden melden.
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Falls Sie Betroffener in einem Bußgeld- oder Strafverfahren sind, können Sie mich unter diesem Link kontaktieren:
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