Artikel
14.09.2010
Zeugungsunfähigkeit kann Behinderung i.S.d. Schwerbehindertenrechts sein
Nach Teil B Nr. 13.2 VG führt der Eintritt von Zeugungsunfähigkeit grundsätzlich nicht zur Feststellung einer Behinderung im Sinne des Schwerbehindertenrechts (GdB 0). Eine Ausnahme besteht bei Patienten im jüngeren Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch. Dabei ist auf den Zeitraum abzustellen, in dem Männer üblicherweise eine Vaterschaft anstreben. Das Gericht hält hier einen Spielraum bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres für vertretbar, solange die Partnerin, mit der der Kinderwunsch verwirklicht werden soll, das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Parallele zu § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB V). Zudem ist es erforderlich, dass bestimmte Indizien vorliegen, die das Fortbestehen des Kinderwunsches belegen. Dabei kann es sich etwa um entsprechende Dispositionen im persönlichen Lebensbereich oder um einschlägige ärztliche Beratungen und Behandlungen handeln. Dies hat das SG Marburg in seinem Urteil vom 28.06.2010 in dem Verfahren S 1 SB 54/08 festgestellt und dies u.a. wie folgt begründet: Nach den dementsprechenden Vorgaben in Teil B Nr. 13.2 VG führt der Eintritt von Zeugungsunfähigkeit indes grundsätzlich nicht zur Feststellung einer Behinderung im Sinne des Schwerbehindertenrechts (GdB 0). Eine Ausnahme besteht bei Patienten im jüngeren Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch. Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung durch die Verwaltung vom Gericht in vollem Umfang überprüfbar ist. Dem Beklagten steht insoweit auch kein Beurteilungsspielraum zu. Was das so bezeichnete Lebensalter angeht, ist nach Auffassung der Kammer auf den Zeitraum abzustellen, in dem Männer üblicherweise eine Vaterschaft anstreben. Das Gericht hält hier einen Spielraum bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres für vertretbar, solange die Partnerin, mit der der Kinderwunsch verwirklicht werden soll, das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Bezüglich dieser Altersgrenzen orientiert sich das Gericht an der Regelung des § 27a Abs. 3 Satz 1, Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Diese Regelung beschränkt die Sachleistungen der Krankenkassen für künstliche Befruchtungen auf Versicherte, die die genannten Altersgrenzen noch nicht überschritten haben. Dem liegt die Einschätzung des Gesetzgebers zugrunde, dass die Verwirklichung eines unerfüllten Kinderwunsches in dieser Altersgruppe besonders schützenswert ist. Diese Wertung lässt sich auf das Schwerbehindertenrecht übertragen, da der Verordnungsgeber in Teil B Nr. 13.2 VG ebenfalls davon ausgegangen ist, die körperlich identische Symptomatik einer Zeugungsunfähigkeit führe nur bis zu einem gewissen Lebensalter zu einer Beeinträchtigung bei der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Die Entscheidung kann hier auf den Seiten des Hessenrechts im Volltext abgerufen werden. Copyright © 2010 by Anwalt bloggt J. Sokolowski