Der Bundesgerichthof hat in seinem Beschluss vom 7.10.2010 in dem Verfahren 1 StR 424/10 zum Umfang der erforderlichen Feststellungen bei der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt i.S.v. § 266a I StGB in Fällen der Nicht-Zahlung ordnungsgemäß angemeldeter Sozialversicherungsbeiträge u.a. wie folgt Stellung genommen:
Für Fälle der vorliegenden Art [...] ist typisch, dass der Arbeitgeber die Beitragsnachweise für die ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmer bei der zuständigen Krankenkasse einreicht und lediglich in der Folge die auf der Grundlage der Beitragsnachweise geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlt. Tathandlung ist insoweit – anders in Fällen illegaler Beschäftigung, bei denen der Arbeitgeber die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht oder nicht in richtigem Umfang meldet – die schlichte Nicht-
Zahlung der geschuldeten Beiträge; weitere Unrechtselemente enthält das Tatbestandsmerkmal des Vorenthaltens in diesen Fällen nicht (Fischer StGB 57. Aufl. § 266a Rn. 10).Für Fälle dieser Art besteht – soweit die Taten nach dem 1. April 2003 datieren – nach Auffassung des Senats entgegen früherer Rechtsprechung [...] grundsätzlich kein Anlass dafür, im Urteil umfangreiche Feststellungen über die Anzahl der Beschäftigten, deren Beschäftigungszeiten, das zu zahlende Arbeitsentgelt und zur Höhe des Beitragssatzes der zuständigen Krankenkasse zu treffen. Vielmehr bedarf es in solchen Fällen – anders als in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse [...] – neben den Feststellungen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung des Täters und – daraus folgend – die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergeben, in der Regel lediglich der Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkasse sowie der Beitragsmonate, in denen die Arbeitnehmeranteile vorenthalten wurden.
Weitergehende Feststellungen waren nach der bis zum 31. März 2003 geltenden Rechtslage insbesondere deshalb erforderlich, um ausschließen zu können, dass zu den Arbeitnehmern geringfügig Beschäftigte i.S.v. § 8 SGB IV zählten [...], für die allein Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung anfallen, deren Nichtabführen nicht gemäß § 266a Abs. 1 StGB strafbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1996 – 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543 mwN). Durch Art. 2 Nr. 14 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, 4621, 4625) wurde indes § 28i SGB IV mit Wirkung vom 1. April 2003 (vgl. Art. 17 Abs. 1a des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt)
dahingehend erweitert, dass bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen i.S.v. § 8 SGB IV ausschließlich die Bundesknappschaft (nunmehr Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See) als Träger der Rentenversiche-rung zuständige Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge ist (§ 28i
Satz 5 SGB IV nF). Vor diesem Hintergrund kann bei Sozialversicherungsbeiträgen, die zum Nachteil einer Krankenkasse vorenthalten wurden, ohne weitere Feststellungen ausgeschlossen werden, dass sich darunter Beiträge für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse befinden.Auch zur Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmeranteile – und somit zur Bestimmung des Schuldumfangs – sind in der Regel weitergehende Feststellungen als die vorgenannten nicht erforderlich. Denn nach § 28f Abs. 3 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber grundsätzlich die Höhe der geschuldeten Beiträge zur Sozialversicherung selbst zu berechnen und der Einzugsstelle nachzuweisen [...]. Dieser sog. Beitragsnachweis gilt nach § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Er belegt somit die geschuldeten und demnach auch in der Regel die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge. Die Feststellung des im Beitragsnachweis vom Arbeitgeber nachgewiesenen Gesamtsozialversicherungsbetrags ermöglicht dem Revisionsgericht daher in hinreichendem Maße die Überprüfung des Urteils. Mit Feststellung des im Beitragsnachweis vom Arbeitgeber nachgewiesenen Gesamtsozialversicherungsbetrags geht einher, dass die nachgewiesenen Beiträge auf Grundlage der im jeweiligen Beitragsmonat tatsächlich geschuldeten Bruttogehälter unter Anwendung des maßgeblichen Beitragssatzes berechnet wurden. Lediglich dann, wenn mangels rechtzeitiger Einreichung der Beitragsnachweise das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt nach § 28f Abs. 3 Satz 2 SGB IV geschätzt wurde, oder wenn sich im konkreten Fall aus anderen Gründen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die im Beitragsnachweis ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge mit dem den Arbeitnehmern im jeweiligen Beitragsmonat geschuldeten Bruttoarbeitsentgelt nicht in Einklang zu bringen sind, besteht Anlass zu weitergehenden Feststellungen.
In Fällen der vorliegenden Art kann sich aufgrund der vorgenannten Umstände regelmäßig auch die Beweiswürdigung darauf beschränken, darzulegen, dass seitens des Arbeitgebers Beitragsnachweise eingereicht wurden, in denen die Sozialversicherungsbeiträge in der festgestellten Höhe ausgewiesen sind.
Lediglich dann, wenn aufgrund der Einlassung des Angeklagten oder anderweitiger besonderer Umstände Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Beitragsnachweis ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge nicht den tatsäch-lich geschuldeten entsprechen, wird das Tatgericht gehalten sein, die getroffenen Feststellungen eingehender, z.B. unter Berücksichtigung der kaufmännischen Erfahrung des Arbeitgebers oder der Ergebnisse durchgeführter Betriebsprüfungen nach § 28p Abs. 1 SGB IV, zu belegen. Denn weder im Hinblick
Die Entscheidung kann hier auf den Seiten des Bundesgerichtshofes im Volltext abgerufen werden.
Copyright © 2010 by Anwalt bloggt J. Sokolowski