Rechtsanwalt Joachim Sokolowski

Fachanwaltskanzlei Sokolowski
63263, Neu-Isenburg
Rechtsgebiete
Strafrecht Sozialrecht
24.03.2012

Strafantragsrecht des Betreuers

Ein nach § 77 Abs. 3 StGB grundsätzlich strafantragsberechtigter Betreuer ist von diesem Recht ausgeschlossen, wenn er selbst der Beteiligung an der Tat verdächtig ist. Dies gilt auch für die Stellung von Strafanträgen gegen Mitbeteiligte.

Der Betreuer eines volljährigen Strafantragsberechtigten kann einen wirksamen Strafantrag für den Betreuten stellen, wenn das Betreuungsgericht seinen Aufgabenkreis ausdrücklich auf die Stellung von Strafanträgen erweitert hat. Weder der allgemeine Aufgabenkreis der Vermögenssorge noch der der Vertretung gegenüber Behörden enthalten dieses höchstpersönliche Recht.

Dies hat das OLG Celle in seinem Beschluss vom 21.02.2012 ( 32 Ss 8/12 ) festgestelt und in der Begründung u.a. Folgendes ausgeführt:

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Kammer hat der Angeklagte in der Zeit vom 18.01.2006 bis zum 05.01.2007 in 61 Fällen die ec-Karte seines unter Betreuung stehenden Schwagers an sich genommen und ohne dessen Wissen und Wollen unter Verwendung der PIN Bargeldabhebungen in einer Gesamthöhe von ca. 16 600,- Euro vom Konto des Geschädigten getätigt. Der Angeklagte hat damit zum Nachteil eines Angehörigen i. S. des § 11 Abs. 1 Ziff. 1 a) StGB gehandelt, so dass ein wirksamer Strafantrag gemäß § 263 a Abs. 2, § 263 Abs. 4 und § 247 StGB Verfahrensvoraussetzung war, deren Vorliegen der Senat von Amts wegen zu prüfen hatte. Die Kammer ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Strafantrag des Betreuers S. vom 25.06.2008 wirksam war.

Rechtsanwalt S. war als Betreuer zu dieser Antragstellung berechtigt und hat auch die Antragsfrist eingehalten.

Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil hatte zunächst die Zeugin T. M. als damalige Betreuerin des Geschädigten P. Kenntnis von den unrechtmäßigen Abhebungen durch ihren Ehemann, den Angeklagten. Wie sich aus den Ermittlungsakten ergibt, war diese Zeugin zunächst Mitbeschuldigte. Ist aber der gesetzliche Vertreter i. S. des § 77 Abs. 3 StGB selbst der Beteiligung an der Tat verdächtig, ist er von der Vertretung im Rahmen der Strafantragsstellung ausgeschlossen (vgl. BGHSt 6, 155, 157; Schönke-Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 28. Aufl. § 77 Rdnr. 21). Dies gilt auch für die Stellung eines Strafantrags gegen Mitbeteiligte, hier also gegen den Ehemann (vgl. Leipziger Kommentar-Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 77 Rdnr. 48). Dieses rechtliche Hindernis folgt sowohl aus dem „nemo tenetur“-Grundsatz als auch aus dem hinter § 181 BGB stehenden Rechtsgedanken, dass einem Vertreter keine Vertretungsbefugnis zukommt, wenn er als Gegner des Vertretenen auftritt (vgl. BGH a. a. O.). Somit war die zunächst Beschuldigte und spätere Zeugin T. M. rechtlich an der Strafantragsstellung gehindert.

Aus dem Sonderheft mit Auszügen aus der Betreuungsakte ergibt sich ferner, dass das Amtsgericht Lehrte am 12.02.2008 die bisherige Betreuerin T. M. entlassen und stattdessen den Rechtsanwalt S. zum neuen Betreuer bestellt hat (Sonderheft Bl. 122). Als Aufgabenkreis hat das Amtsgericht für den Betreuer die Vermögenssorge, die Sorge für die Gesundheit, die Aufenthaltsbestimmung sowie die Vertretung gegenüber Körperschaften, Behörden und Rechtsanwälten bestimmt. Beim Wechsel des gesetzlichen Vertreters tritt der Nachfolger in die Antragsbefugnis seines Vorgängers ein. Daher muss er sich grundsätzlich die bereits für den Vorgänger abgelaufene Strafantragsfrist anrechnen lassen (Schönke-Schröder a. a. O. § 77 b Rdnr. 18). Hier war jedoch die zuvor eingesetzte Betreuerin T. M. aus den oben dargelegten Gründen an der Strafantragsstellung rechtlich gehindert. In derartigen Fällen wird die Strafantragsfrist des § 77 b StGB nicht in Gang gesetzt (vgl. Schönke-Schröder a. a. O., Rdnr. 19 m. w. N.). Daher lief für den neuen Betreuer eine eigene Strafantragsfrist. Da der Betreuer erst mit seiner Bestellung grundsätzlich zur Stellung von Anträgen im Namen des Betreuten berechtigt ist, läuft die Strafantragsfrist für ihn erst mit seiner Bestellung, auch wenn er schon vorher von der Tat wusste (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 77 b Rdnr. 7).

a) Die Entscheidung zur Stellung eines Strafantrags gemäß § 247 StGB, auf den auch § 263 a Abs. 2 StGB verweist, berührt allerdings vorrangig familienrechtliche und nicht vermögensrechtliche Interessen. Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber dem Interesse von Angehörigen auf Wahrung des Familienfriedens Vorrang vor dem unbedingten Strafverfolgungsrecht des Staates eingeräumt. Als höchstpersönliches Recht betrifft es daher die Angelegenheit der Personenfürsorge und nicht der Vermögenssorge (so bereits OLG Hamm, NJW 1960, 834, 835). Daraus folgt, dass der Aufgabenkreis der Vermögenssorge, für den der Betreuer S. am 12.02.2008 bestellt wurde, ihn nicht zur Strafantragsstellung gegen Angehörige des Betreuten berechtigt (so auch LG Hamburg, NStZ 2002, 39, Rdnr. 18; OLG Köln, wistra 2005, 392 Rdnr. 11 nach juris). Soweit in der zivilrechtlichen Kommentarliteratur eine andere Auffassung vertreten wird und dabei eine Entscheidung des Landgerichts Ravensburg aus dem Jahr 2000 zitiert wird (vgl. Münchener Kommentar BGB Schwab, 6. Aufl., § 1896 Rdnr. 100), so betrifft die genannte Entscheidung eine andere Konstellation. In dem vom Landgericht Ravensburg entschiedenen Fall war der Betreuer nämlich nicht nur für den Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten bestellt, sondern auch Personensorgeberechtigter (vgl. LG Ravensburg, FamRZ 2001, 937).

b) Auch der gleichzeitig übertragene Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Körperschaften, Behörden und Rechtsanwälten“ berechtigte den Betreuer nicht zur Strafantragsstellung.

Die Aufgabe, den Betreuten gegenüber Behörden zu vertreten, erschöpft sich inhaltlich in der Wiederholung der bereits in § 1902 BGB geregelten Befugnis zur außergerichtlichen Vertretung des Betreuten. Die Vorschrift räumt dem Betreuer generell die Rechtsmacht ein, den Betroffenen außergerichtlich zu vertreten, und zwar sowohl in Privatangelegenheiten als auch gegenüber öffentlichen Behörden (vgl. Staudinger-Bienwald, BGB, Neubearbeitung 2006, § 1896 Rdnr. 76; Bienwald BtPrax 2003, 71). Entsprechend sagt diese Aufgabenbezeichnung nichts darüber aus, in welchen materiell-rechtlichen Angelegenheiten die Vertretungsbefugnis gelten soll. Im Betreuungsrecht gilt das sogenannte Erforderlichkeitsprinzip. Das bedeutet, dass die Betreuung im Sinne des Betreuten inhaltlich auf genaue Aufgabenkreise zu beschränken ist, in denen eine Betreuung erforderlich ist. Dadurch soll dem Betreuten möglichst viel Autonomie erhalten bleiben und seinen Wünschen Rechnung getragen werden (Palandt-Diederichsen, BGB, 71. Aufl., Einführung vor § 1896, Rdnr. 2). Daher entspricht auch die allgemeine Anordnung der Vertretungsbefugnis gegenüber Behörden nicht dem Erforderlichkeitsgrundsatz, weil sie zu weit gefasst und damit zu unbestimmt ist (vgl. Staudinger-Bienwald a. a. O.). Deshalb hat das Betreuungsgericht regelmäßig bei der Bestimmung des Aufgabenkreises einen Bezug zu konkret bezeichneten Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren herzustellen (vgl. KG Berlin, BeckRS 2008, 00234; Jürgens, Betreuungsrecht, 4. Aufl., § 1896 BGB Rn. 26). Im Übrigen ist die allgemeine Vertretungsbefugnis gegenüber Behörden auf sonstige Geschäfte des täglichen Lebens, wie z. B. die Passbeschaffung oder die Beantragung von Sozialhilfe, beschränkt.

Aus diesem Grundsatz folgt, dass der Aufgabenkreis des Betreuers zur Vertretung des Betreuten auf bestimmte Verfahrensarten einzugrenzen ist, bei denen eine entsprechende Erforderlichkeit der Vertretung besteht. Daher haben mehrere Oberlandesgerichte den Fall, dass ein Betreuer für seinen Betreuten als Strafverteidiger tätig wird, nicht mehr von dem allgemeinen Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden als gedeckt angesehen (vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 2008, 91, Rdnr. 4; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 1166, Rdnr. 4; OLG Hamm, NJW 2006, 1144, Rdnr. 11; alles nach juris).

c) Nichts Anderes gilt für die Vertretung des Betreuten als Geschädigten einer Straftat im Strafverfahren. Das höchstpersönliche Antragsrecht eines verletzten Angehörigen i. S. des § 247 StGB kann nur bei Erforderlichkeit einer Vertretung auf einen Betreuer übertragen werden. Deshalb ist die Befugnis, den Strafantrag bei einer Straftat zu stellen, dem Betreuer gesondert im Wege der Aufgabenkreiserweiterung zu übertragen (vgl. Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann, Betreuungsrecht, 5. Aufl., § 1896 BGB, S. 138). Die allgemeine Vertretungsbefugnis gegenüber Behörden umfasst jedenfalls nicht die Berechtigung des Betreuers, Strafantrag gegen einen Angehörigen des Betreuten zu stellen (vgl. OLG Köln a. a. O., Rdnr. 11 nach juris).

Diesen Aufgabenkreis – Stellung von Strafanträgen – hat das Betreuungsgericht, das Amtsgericht Lehrte, mit Beschluss vom 16.06.2008 auf den Betreuer S. übertragen (Sonderheft Bl. 152). Erst damit ist das rechtliche Hindernis zur Strafantragsstellung für den neuen Betreuer entfallen und die Antragsfrist nach § 77 b StGB hat für begonnen. Sein Strafantrag vom 25.06.2008 ist damit rechtzeitig.

Copyright © 2012 by Rechtsanwalt Strafrecht Joachim Sokolowski, Fachanwalt für Sozialrecht J. Sokolowski