Rechtsanwalt Joachim Sokolowski

Fachanwaltskanzlei Sokolowski
63263, Neu-Isenburg
Rechtsgebiete
Strafrecht Sozialrecht
15.02.2011

Sichere Erinnerung der Urkundsperson?

Entscheidung des Bundesgerichtshofes

In seiner Entscheidung vom 22.12.2010 in dem Verfahren 2 StR 386/10 hat der BGH über die Rechtmäßigkeit einer Protokollberichtigung befunden und hierzu u.a. folgendes ausgeführt:

Die vorliegend durch die Vorsitzende und die Protokollführerin erfolgte Berichtigung des Protokolls hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, denn die Berichtigungsentscheidung wird nicht durch die in Bezug genommenen dienstlichen Erklärungen der beiden Urkundspersonen getragen. Grundlage einer jeden Protokollberichtigung ist die sichere Erinnerung der Urkundspersonen.
Fehlt es hieran, kann ein Protokoll nicht mehr berichtigt werden (BGHSt 51, 298, 314, 316). Die vorliegenden dienstlichen Erklärungen der beiden Urkundspersonen enthalten keinen Hinweis darauf, dass hinsichtlich der in den Anlagen 3 und 4 aufgeführten Urkunden gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO durch die Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine Feststellung der Kenntnisnahme getroffen und diese von der Protokollführerin lediglich nicht protokolliert wurde. Die in den dienstlichen Erklärungen enthaltene Behauptung, das Selbstleseverfahren sei durchgeführt worden, ist demgegenüber unbeachtlich.

Eine Rücksendung der Akten zum Zwecke der Wiederholung des Berichgungsverfahrens verbietet das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren (vgl. BGH StV 2010, 575; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl., § 271 Rn. 26a). Die Akten waren der Kammer bereits durch den Generalbundesanwalt unter Hinweis auf die Rüge des fehlerhaft durchgeführten Selbstleseverfahrens und mit der Anregung zurückgesandt worden, ein Berichtigungsverfahren durchzuführen, falls insoweit lediglich ein Protokollierungsmangel vorliege. Beide Urkundspersonen haben in Kenntnis dessen lediglich behauptet, das Selbstleseverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden, ohne sich zu der im Protokoll fehlenden Feststellung zu verhalten. Sie haben ihre dienstlichen Erklärungen auch nach dem erfolgten Widerspruch der Beschwerdeführer nicht ergänzt bzw. unter Angabe der ihre Erinnerung stützenden tatsächlichen Umstände erneuert und den übrigen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht.

Neben einer ordnungsgemäßen Protokollberichtigung kommt eine freibeweisliche Aufklärung des tatgerichtlichen Verfahrensablaufs und damit unter
geringeren Anforderungen als in dem die Verfahrenswahrheit sichernden Protokollberichtigungsverfahren nach erhobener Verfahrensrüge und zum Nachteil des Angeklagten nicht in Betracht (BGHSt 51, 316 f.; vgl. BGH NStZ 2005, 281, 282; StV 2004, 297; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8, 11 und 13 jeweils mwN).
Ob hiervon in Fällen krasser Widersprüchlichkeit oder offenkundiger Fehler- oder Lückenhaftigkeit Ausnahmen zu machen sind (vgl. BGH, NJW 2010, 2068, 2069), kann offen bleiben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor und ergibt sich auch nicht daraus, dass die Anordnung des Selbstleseverfahrens, nicht aber die nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO notwendige Feststellung über dessen erfolgreiche Durchführung vermerkt ist. Denn die Anordnung des Selbstleseverfahrens ässt keinen Schluss auf die weitere Beachtung des Verfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO zu (BGH StraFo 2010, 27, 28).

Die Entscheidung kann hier auf den Seiten des Bundesgerichtshofes im Volltext abgerufen werden.

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