Das LG Limburg hat in seinem Beschluss vom 6.08.2012 (1 Qs 124/12) entschieden, dass allein das Schweigen des Amtsgerichts in einer späteren Entscheidung zu einer gesamtstrafenfähigen, früheren Verurteilung nicht den Schluss rechtfertigt, dass das bloße Unterlassen einer Gesamtstrafenbildung bei Erlass des Strafbefehls als Absehen nach § 53 Abs. 2 S. 2 StGB zu behandeln wäre.
In den Entscheidungsgründen führt das Landgericht u.a. folgendes aus:
Copyright © 2012 by Rechtsanwalt Strafrecht Joachim Sokolowski, Fachanwalt für Sozialrecht J. SokolowskiZum Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls am 10. Dezember 2010 lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB vor. Danach ist nachträglich eine Gesamtstrafe in Anwendung der Regelungen der §§ 53, 54 StGB zu bilden, wenn der Verurteilte wegen einer anderen, zeitlich vor der früheren Verurteilung begangenen Straftat später verurteilt wird und die gegen ihn mit der zeitlich früheren Verurteilung erkannte Strafe noch nicht erledigt, also vollstreckt, verjährt oder erlassen ist. Dabei ist auf den für § 55 StGB maßgeblichen Zeitpunkt, also den Zeitpunkt der letzten Verurteilung, abzustellen. War die mit der früheren Verurteilung verhängte Strafe zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig erledigt, lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe bereits nach § 55 StGB vor und der Anwendungsbereich des § 460 StPO ist eröffnet.
Dies war der Fall, denn bei Erlass des Strafbefehls am 10. Dezember 2010, war das Urteil vom 14.10.2010 rechtskräftig und die darin verhängte Freiheitsstrafe nicht vollständig erledigt.
Die spätere, vollständige Zahlung der zeitlich später verhängten Geldstrafe, die er erst nach dem Beschluss des Amtsgerichts vom 26. Juli 2012 mit Zahlungseingang am 09. Juli 2012 erfolgt ist, steht der nachträglichen Gesamtstrafenbildung daher nicht entgegen. Denn eine spätere Erledigung der verhängten Strafe wäre lediglich dahingehend zu berücksichtigen, dass die nachträglich zu bildende Gesamtstrafe anteilsmäßig um die erledigte Einzelstrafe zu kürzen wäre. Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung hindert aber bereits dies nicht (vgl. BGH vom 17.07.2007, Az. 4 StR 266/07 <5> – zitiert nach juris; Meyer-Goßner, StPO, § 460 Rn 13). Erst recht bleibt die nachträgliche Gesamtstrafebildung nach § 460 StPO aber möglich, wenn sich nicht die frühere, sondern die zeitlich spätere Strafe später erledigt, wie es vorliegend der Fall ist.
Die Gesamtstrafenbildung war bisher auch im Sinne des § 460 StPO außer Betracht geblieben. Allein der Umstand, dass der Verurteilte bereits zwei Monate vor Erlass des Strafbefehls durch das Amtsgericht zu einer gesamtstrafenfähigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, rechtfertigt nicht den Schluss, dass bereits das bloße Unterlassen einer Gesamtstrafenbildung bei Erlass des Strafbefehls als Absehen nach § 53 Abs. 2 S. 2 StGB zu behandeln wäre. Denn selbst die bloße Kenntnis des erstinstanzlichen Tatrichters von einer gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung bietet gerade keinen ausreichenden Anlass für die nach §§ 53, 55 StGB zu treffende Entscheidung. Es fehlt an der erforderlichen Prüfung, ob die einzubeziehende Strafe nicht bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist. Auch fehlt es an der für das Absehen der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine grundsätzlich gemäß § 53 Abs. 1 StGB zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe erforderlichen, besonderen Begründung (vgl. Fischer, StGB, 55. Auflage, § 53 Rn 6 mwN). Daher kann ohne einen ausdrücklichen Ausspruch des Gerichts und bei Fehlen von Anhaltspunkten für eine besondere Begründung trotz Kenntnis der Vorverurteilung nicht von einer konkludent getroffenen Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung bei Erlass des Strafbefehls ausgegangen werden.
Das Schweigen des Amtsgerichts in dem Strafbefehl vom 10.12.2010 zu dieser Frage eröffnet vielmehr gerade die Möglichkeit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO (vgl. OLG Hamm vom 06.03.2008, Az. 3 Ss 68/08 <13> – zitiert nach juris).
Bei der Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe hat das Amtsgericht das ihm nach § 53 Abs. 2 StGB eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.
Die Ausübung des Ermessens nach § 53 Abs. 2 S. 2 StGB hat sich an Strafzumessungsgründen zu orientieren. Dabei sind spezialpräventiven Gesichtspunkte ebenso berücksichtigungsfähig wie die finanzielle Leistungsfähigkeit des Verurteilten und die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung oder deren Wegfall.
Das Amtsgericht hat sich in Rahmen der Anhörung ein umfassendes Bild von dem Verurteilten verschafft und sich mit diesen Umständen auseinandergesetzt und auch die persönliche und wirtschaftliche Lage des Verurteilten berücksichtigt. Zu Recht kommt es – auch unter Berücksichtigung des Verhaltens des Verurteilten in der Bewährungszeit gegenüber der Geschädigten, wie es in dem Bewährungsheft dokumentiert ist – zu dem Ergebnis, dass die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung von Gesetzes wegen nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, unter Berücksichtigung der Umstände keine unbillige Härte darstellt. Seine familiäre Situation entspricht der bei Begehung der Taten und hatte bereits damals keine stabilisierende Wirkung auf ihn und die möglichen Konsequenzen seines Handelns für seine Angehörigen waren ihm bereits aufgrund frührer Verurteilungen, u.a. auch zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung, vor Augen geführt.
Da die Geldstrafe zwischenzeitlich nach dem Beschluss des Amtsgerichts vom 05. Juli 2012 vollständig gezahlt wurde, wird dies aber entsprechend § 51 Abs. 2 StGB im Rahmen der Vollstreckung anzurechnen sein, ohne dass es hierzu eines Ausspruches der Kammer bedarf (vgl. OLG Frankfurt vom 23.11.1995, Az. 3 Ws 711/95, in NStZ-RR 1996, 177).