“Herr (…)! Auch dieses Schreiben wird Ihnen irgendwie am A… vorbeigehen. Vorab: Sie brauchen sich nicht wieder ‘hilfesuchend’ an Ihren ‘Spannmann’ in Aachen [gemeint: der Verteidiger des hiesigen Verfahrens] zu wenden. Was zu regeln gilt, werden wir in Belgien ‘unter Männern klären’. 1.797,06 € stehen zur Zahlung an (…) Kooperation oder Konfrontation; Sie haben die ‘Wahl der Waffen’. Ich erwarte binnen Wochenfrist die Zahlung (…).” So lautet ein Schreiben eines Schöffen, der beruflich als gewerblicher Inkassounterner tätig ist.
Der in einem Strafverfahren vor dem Landgericht Aachen tätige Verteidiger erhält von diesem Schreiben kenntnis, da er zufällig auch den Schuldner vertritt, der im Übrigen nichts mit der Starfsache zu tuen hat. Mit seinem Befangenheitsantrag machte der Angeklagte geltend, in dem zitierten Schreiben komme eine feindselige Einstellung des Schöffen gegen den Verteidiger zum Ausdruck, der herabsetzend als “Spannmann” bezeichnet werde. Der Schöffe neige zum Rechtsbruch und zu rabiaten Drohungen. Dies begründe die Besorgnis des Angeklagten, der Richter werde ihm nicht unbefangen gegenüberstehen und sein Amt nicht rechtstreu ausüben. Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 StPO als unbegründet zurückgewiesen, weil eine Verbindung der beiden Verfahren nicht bestehe und das Schreiben eine rechtsfeindliche Gesinnung des abgelehnten Richters nicht dokumentiere. Auf die Revision des Angeklagten hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts auf (2 StR 595/09, Urteil vom 28. April 2010) und führte u.a. folgendes aus: Das Ehrenamt des Schöffen in Strafgerichten stellt an die rechtliche Gesinnung und die Rechtstreue des Schöffen hohe
Anforderungen. Dem Schöffen kommen in seiner Eigenschaft als zur Entscheidung berufenen Richter grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten zu wie den Berufsrichtern; insbesondere hat seine Stimme bei der Abstimmung in Schuld- und Straffragen dasselbe Gewicht. Das Gesetz stellt daher an ehrenamtliche Richter dieselben Anforderungen der Unbefangenheit und Rechts-
treue, wie sie für Berufsrichter gelten, und lässt konsequent die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unter denselben Voraussetzungen wie bei jenen zu (§ 31 Abs. 1 StPO).
Vorliegend hat das Verhalten des Schöffen ohne Zweifel die Besorgnis der Befangenheit begründet. Dabei kam es nicht darauf an, dass zwischen dem von dem Schöffen betriebenen Zivilverfahren und dem vorliegenden Strafverfahren keine unmittelbare Verbindung bestand. Zu den Mindestanforderungen an die Rechtstreue und charakterliche Eignung eines Schöffen gehört es, dass er sich – namentlich in rechtlich geregelten Verfahren – dem Recht verpflichtet fühlt. Ein Schöffe, der sich offen zur Selbstjustiz und zur Durchsetzung von (angeblichen) Forderungen mittels rechtswidriger Drohungen oder Gewalt bekennt,
begründet regelmäßig Zweifel an seiner Rechtstreue.
Vorliegend kam hinzu, dass eine immerhin mittelbare Verbindung beider Verfahren über die Person des Verteidigers bestand. Dass der Schöffe diesen möglicherweise gar nicht persönlich kannte, ist unerheblich. Denn Wortlaut und
Tonfall des Schreibens an den Schuldner ergeben unzweifelhaft, dass der Schöffe der Tätigkeit des – abschätzig als “Spannmann” titulierten – Prozessvertreters des Schuldners von vornherein geringschätzig und abwertend gegenüberstand. Darüber hinaus sah sich der BGH veranlasst, folgenden Leitsatz aufzustellen: Ein offenes Bekenntnis eines Schöffen zu Methoden der Selbstjustiz und zur Eintreibung von Forderungen mit Hilfe rechtswidriger Drohungen in seiner beruflichen Tätigkeit als Inkassounternehmer begründet jedenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn eine – wenn auch nur mittelbare – Verbindung eines solchen Verhaltens zu dem Strafverfahren besteht, in dem der ehrenamtliche Richter tätig ist. Die Entscheidung kann hier auf den Seiten des BGH im Volltext abgerufen werden. Copyright © 2010 by Anwalt bloggt J. Sokolowski
Artikel
02.06.2010