Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom 14.11.2013 (III ZR 376/12) ausführlich mit der Frage befasst, wann eine unangemessene Verfahrensdauer (eines Strafverfahrens) im Sinne von § 198 GVG gegeben ist und folgende Leitsätze aufgestellt:
Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.
Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensfühung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.
Bei der Beurteilung des Verhaltens des Gerichts darf der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht unberücksichtigt bleiben.
Dem Gericht muss in jedem Fall eine angemessene Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen. Es benötigt einen Gestaltungsspielraum, er es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind.
In den Entscheidungsgründen hat der BGH u.a. Folgendes ausgeführt:
Bei der Beurteilung des Verhaltens des Gerichts darf der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht unberücksichtigt bleiben. Da die zügige Erledigung eines Rechtsstreits kein Selbstzweck ist und das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht verlangt [...], muss dem Gericht in jedem Fall eine angemessene Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen. Es benötigt einen Gestaltungsspielraum, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtss achen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor [...].
Die Überprüfung der Verfahrensführung im Ausgangsprozess obliegt grundsätzlich dem Tatrichter, der über die Entschädigungsklage entscheidet.
Bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Verfahrensdauer hat das Revisionsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und ist in seiner Prüfung darauf beschränkt, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind [...].
Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs und der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich die Auffassung des Oberlandesgerichts, das gerichtliche Verfahren sei seit Juni 2010 um sechs Monate unangemessen verzögert worden, als rechtsfehlerhaft, da das Gericht, wie die Revision zu Recht b eanstandet, nicht alle für die Abwägungsentscheidung nach § 198 Abs. 1 GVG maßgeblichen Umstände gewürdigt hat.
Das Oberlandesgericht beschränkt sich auf die Feststellung, dass seit Juni 2010 eine nennenswerte Verfahrensförderung nicht mehr stattgefunden habe und der Verfahrensinhalt im Wesentlichen aus zwei Anfragen des Klägers vom 27. September und 31. Oktober 2010 sowie einem (richterlichen) Vermerk aus dem Februar 2011 bestehe, der nahelege, dass eine Einlassung des Klägers nicht mehr erfolgen werde. In die an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls hätte das Oberlandesgericht jedoch – unter Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – noch weitere Gesichtspunkte einbeziehen müssen.
Es fehlt eine nähere Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit des Verfahrens, die sich insbesondere daraus ergab, dass es für ein amtsgerichtliches Verfahren einen überdurchschnittlichen Umfang hatte (fünf Aktenbände und vier zum Teil sehr umfangreiche Sonderhefte), ein ebenso umfangreiches Parallelverfahren gegen Dritte (Az.: 5524 Js 46572/07) auszuwerten war und die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine komplexe Beweiswürdigung zahlreicher Indizien erforderlich machte.
Was das Verhalten des Klägers betrifft, hätte das Gericht in seine Abwägung einbeziehen müssen, dass dieser mit Schreiben vom 2. Februar 2011 den (unzutreffenden) Eindruck erweckte, sein Verteidiger verfüge über zusätzliche Informationen, die in einer (weiteren) schriftlichen Stellungnahme aufbereitet würden. Dass das Strafverfahren den Kläger insbesondere in persönlicher und beruflicher Hinsicht unverhältnismäßig belastet hat, ist nicht ersichtlich. Wie das Amtsgericht in dem die Eröffnung ablehnenden Beschluss ausgeführt hat, bestand der Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung zu Recht; das Gericht hatte lediglich Zweifel hinsichtlich der Verurteilungswahrscheinlichkeit im Sinne von § 203 StPO. Soweit der Kläger unter Hinweis auf die Berufsordnung für Ärzte den drohenden Verlust der ärztlichen Approbation geltend machte, beschränkten sich seine Ausführungen auf formelhafte und nichtssagende Wendungen.
Schließlich bleibt unerörtert, dass das Amtsgericht ausweislich des vom Oberlandesgericht zitierten Vermerks den Ausgang des vorerwähnten Parallelverfahrens 5524 Js 46572/07 in nicht zu beanstandender Weise abgewartet hat, um die schriftlichen Gründe des Urteils des Landgerichts vom 15. Februar 2011, aus denen sich wesentliche Gesichtspunkte zu Gunsten des Kläger ergaben, in die eigene Beweiswürdigung einbeziehen zu können.
Die Revision des Beklagten führt demnach zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist.
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