Das Gericht verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, wenn es über einen zeitgleich mit der Einlegung der Revision gestellten Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist entscheidet.
Diesen Leitsatz hat das OLG Braunschweig in seinem Beschluss vom 20.11.2013 (1 Ws 366/13) aufgestellt und in seinen Urteilsgründen u.a. folgendes ausgeführt:
Die Angeklagte hat die Revision zwar nicht innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 S. 2 StPO begründet. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist aber – jedenfalls derzeit – dennoch nicht unbegründet, weil die Kammer den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat und die Angeklagte deshalb über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu belehren ist [...].
Eine Verletzung der Verfahrensfairness liegt vor, weil die Kammer den nach dem Wortlaut auf Bewilligung von Prozesskosten gerichtete Antrag vom 7. August 2013 als solchen auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hätte ansehen (vgl. KG, Beschluss vom 14.01.1997, 1 AR 9/97, 5 Ws 19/97, juris, 1 AR 9/97, Rn. 2) und rechtzeitig vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hierüber hätte entscheiden müssen. Durch die zeitgleiche Entscheidung wurde der Angeklagten die Möglichkeit genommen, die Revisionsbegründung mit Hilfe eines Pflichtverteidigers, dessen Beiordnung geboten war (dazu sogleich), zu fertigen.Nachdem die Kammer den – als Beiordnungsgesuch anzusehenden – Antrag vom 7. August 2013 durch den angefochtenen Beschluss nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist abgelehnt hat, ist der Senat im hiergegen gerichteten Beschwerdeverfahren – erstinstanzlich bleibt weiterhin der Kammervorsitzende zuständig (BGH, Beschluss vom 26.08.2008, 4 StR 373/08, juris, Rn. 7; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 141 Rn. 6) – gemäß § 140 Abs. 2 StPO zur Beiordnung berufen. Denn die Angeklagte greift mit ihrem „Antrag auf Überprüfung des Verwerfungsbeschlusses“ auch die im Beschluss vom 30. September 2013 getroffene Prozesskostenhilfeentscheidung und damit die Ablehnung des Beiordnungsantrags vom 7. August 2013 an.
Die Kammer hätte der Angeklagten einen Pflichtverteidiger beiordnen müssen. Zwar rechtfertigt allein die besondere Schwierigkeit des Revisionsverfahrens keine Beiordnung, weil ein Angeklagter die Revisionsbegründung zu Protokoll des Urkundsbeamten erklären kann (OLG Hamm, Beschluss vom 13.09.2012, III-3 Ws 249/12, Rn. 2; KG, Beschluss vom 08.08.2006, 2 AR 76/06, 5 Ws 284/06, 5 Ws 348 – 355/06, juris, Rn. 8) und auf diese Weise die erforderliche Unterstützung bei der Erfüllung der Darlegungsanforderungen erfährt (hierzu: BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 9). Anders ist jedoch zu entscheiden, wenn besonders schwierige Revisionsrügen im Raum stehen, die den Urkundsbeamten erkennbar überfordern (KG, a.a.O., Rn. 9; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 2). Ob die Angeklagte im konkreten Fall schon deshalb nicht mehr an die Urkundsbeamtin verwiesen werden kann, nachdem sie von dieser nicht darüber belehrt worden ist, dass der Strafprozessordnung für Angeklagte das Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe fremd ist, kann dahin stehen. Die Beiordnung ist hier jedenfalls geboten, weil – neben der allgemeinen Sachrüge – die Rüge der Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 5 StPO) in der Form des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (zu den Anforderungen: OLG Hamm, Urteil vom 12.02.2008, 3 Ss 541/07, juris, Rn. 12), also eine schwierige Verfahrensrüge, in Betracht kommt. Die Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers im tatrichterlichen Verfahren könnte hier gemäß § 140 Abs. 2 StPO wegen der Unfähigkeit der Angeklagten zur Selbstverteidigung geboten gewesen sein, weil die Angeklagte als Folge eines Verkehrsunfalls eine bleibende Schädigung des Gehirns erlitten hat, die mit wahnhaften Störungen, einer Enthemmung, Kritikminderung, einer gesteigerten Impulsivität sowie periodischen depressiven Verstimmungen einhergeht, weshalb sich die Kammer auf der Grundlage eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. D. mit der Schuldfähigkeit der Angeklagten auseinandergesetzt hat. In solchen Fällen ist regelmäßig schon deshalb ein Pflichtverteidiger beizuordnen, weil nur ein Verteidiger das Recht auf umfassende Akteneinsicht hat (vgl. hierzu: OLG Hamm, Beschluss vom 12.12.1986, 4 Ss 1434/86, juris; BayObLG, Beschluss vom 21.07.1993, 4 StRR 109/93, juris; Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 140 Rn. 76 m.w.N.). Hinzu kommt die weitere Schwierigkeit, dass der Sachverständige Dr. D. die Schuldfähigkeit im vorliegenden Fall anders bewertet hat als im Sicherungsverfahren 9 KLs 49/11, was – mag die Begründung für die abweichende Bewertung auch nachvollziehbar sein – ebenfalls die notwendige Mitwirkung eines Verteidigers rechtfertigen könnte.
Im Gegensatz zur Auffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (NStZ 2012, 51) ist die Angeklagte lediglich über die Wiedereinsetzungsmöglichkeit zu belehren (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 5). Wiedereinsetzung kann noch nicht gewährt werden, weil hierfür die Nachholung der versäumten Handlung notwendig ist, § 45 Abs. 2 S. 2 u. 3 StPO (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 6). Dafür steht der Angeklagten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Frist von lediglich einer Woche zur Verfügung (BGH, Beschluss vom 27.05.2008, 3 StR 173/08, juris, Rn. 5; BGH, Beschluss vom 12.03.1996, 1 StR 710/95, juris, Rn. 5). Ein Fall, der ausnahmsweise zur Monatsfrist führt (dazu: BGH St 26, 335, 338 [Verstoß gegen § 146 StPO]) liegt nicht vor. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt mit Zustellung dieses Beschlusses (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 10). [...]