Rechtsanwalt Joachim Sokolowski

Fachanwaltskanzlei Sokolowski
63263, Neu-Isenburg
Rechtsgebiete
Strafrecht Sozialrecht
20.04.2012

Fiktive Terminsgebühr im sozialgerichtlichen Eilverfahren

Das SG Fulda hat in seinem Beschluß vom 28.03.2012 – S 4 SF 1/11 E – festgestellt, dass auch im sozialgerichtlichen Eilverfahren eine fiktive Terminsgebühr entsteht, wenn das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis endet.

In den Entscheidungsgründen führt das Gericht hierzu u.a. Folgendes aus:

2. Die Erinnerungsführerin hat allerdings Anspruch auf Festsetzung der (fiktiven) Verfahrensgebühr gem. Anmerkung 3 zu Nr. 3106 VV RVG, nachdem das zugrunde liegende (Eil-)Verfahren durch angenommenes Anerkenntnis beendet worden ist. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass für Eilrechtsschutzverfahren keine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (§§ 86b Abs. 4, 124 Abs. 3 SGG).

Allerdings ist diese Rechtsfrage in Literatur und Rechtsprechung umstritten (für die Möglichkeit einer fiktiven Terminsgebühr auch im Eilrechtsschutzverfahren etwa BayLSG, Beschl. v. 26.8.2009 – L 15 B 950/06 AS KO –, ThürLSG, Beschl. v. 26.11.2008 – L 6 B 130/08 SF – jeweils juris, Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, VV 3106 Rn. 6; AnwK-RVG/Wahlen, 5. Aufl. 2010, VV 3106 Rn. 6; dagegen etwa LSG NW, Beschl. v. 6.9.2011 – L 7 B 194/08 AS – u. v. 20.7.2011 – L 16 AL 103/10 B –, LSG Schleswig Holstein, Beschl. v. 10.9.2009 – L 1 B 158/09 SK E –, SG Berlin, Beschl. v. 18.3.2011 – S 165 SF 1563/09 E –, jeweils veröffentlicht in juris). Die Argumente gegen den Anfall der fiktiven Terminsgebühr im Eilrechtsschutzverfahren überzeugen im Ergebnis jedoch nicht.

a) Ausgehend vom Wortlaut der Anmerkung 3 zu Nr. 3106 VV RVG entsteht „[D]ie Gebühr auch, (…) wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.“ Das hier zugrunde liegende Verfahren S 11 KR 5/09 ER endete auf diese Weise. Dass der Begriff des Verfahrens sich nur auf Klageverfahren bezieht, ist bisher nicht vertreten worden, wäre auch mit Satz 1 von Nr. 3106 VV RVG nicht vereinbar, in dem allgemein von „Verfahren vor den Sozialgerichten“ die Rede ist. Im Übrigen wird der Begriff „Verfahren“ etwa in Nr. 3102 VV RVG ebenfalls ohne Weiteres auch auf Eilrechtsschutzverfahren angewandt.

Soll vor diesem Hintergrund die Terminsgebühr nicht gewährt werden, folgt dies somit nicht aus dem Verfahrensbegriff als solchem, sondern muss sich aus anderen Umständen, die bei der Gesetzesauslegung zu beachten sind, ergeben. Dies ist jedoch nicht der Fall: Weder ergibt sich unter Beachtung des weiteren Anmerkungstextes zu Nr. 3106 VV RVG eine andere Wortlautinterpretation, noch ist aus systematischen, teleologischen oder historischen Gründen ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen.

aa) Zu dem Text der Anmerkung 3 zu Nr. 3106 VV RVG ist nicht der Relativsatz „für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist“, wie er in Anmerkung 1 enthalten ist, „hinzuzulesen“; denn er findet sich eben nur in Nr. 1, nicht in Nr. 3. Er ist auch nicht mit Bezug auf alle drei Nummern der Anmerkung, gleichsam mit generalisierender Wirkung, „vor die Klammer“ gezogen, denn dies wäre nur dann der Fall, wenn er vor Nr. 1 platziert worden wäre.

Soweit hierzu vertreten wird, die Verknüpfung der Nummern mit „oder“ weise darauf hin, dass in allen Fällen eine vorgeschriebene mündliche Verhandlung erforderlich sei, geht dies fehl. Die „oder“-Verknüpfung belegt nichts Anderes als die alternative Gleichwertigkeit der so verbundenen Anwendungsfälle. Eine Übertragung von Inhalten der somit gleichgewichtigen Alternativen untereinander ergibt sich daraus gerade nicht.

Soweit das SG Berlin (Beschl. v. 18. März 2011 – S 165 SF 1563/09 E – Rn. 48 unter Bezugnahme auf Entscheidungen der 127. Kammer des Gerichts) höchst feinsinnig aus der Verwendung des unbestimmten Artikels in Anmerkung Nr. 1 und des bestimmten Artikels in Nr. 3 Schlussfolgerungen ziehen will, überzeugt dies nicht. Es verkennt dabei schon den Bezugsbegriff des „das“ in Nr. 3, der sich auf den Text Nr. 3106 VV RVG selbst bezieht, in dem es (allgemein) um das „Verfahren vor den Sozialgerichten“ geht. Wegen der bereits erwähnten „oder“-Verknüpfung stehen die Anmerkungen gleichrangig nebeneinander, was dazu führt, dass eine Bezugnahme untereinander und damit die Durchbrechung der Gleichrangigkeit und Selbstständigkeit deutlicher zum Ausdruck kommen müsste. Andernfalls bleibt nur der Bezug zur sprachlich-inhaltlich „höheren“ Ebene, also dem Text zu Nr. 3106 VV RVG selbst. Dass der Gesetzgeber zur Anwendbarkeit der fiktiven Terminsgebühr auch auf Eilverfahren „auch hier den unbestimmten Artikel (»ein Verfahren«)“ hätte verwenden „müssen“, ist in keiner Weise zwingend. Es dürfte auch die Sprachgenauigkeit des Gesetzgebers bzw. der Entwurfsverfasser des RVG überschätzen.

Diese Auslegung ist auch unvereinbar mit Nr. 3104 VV RVG. Denn hier findet sich in Absatz 1 der Anmerkung ebenfalls die parallele Verwendung von unbestimmtem und bestimmtem Artikel in Nr. 1 und 3. Der Artikel „das“ in Nr. 3 hat hier keinerlei Bezug zu Nr. 1, vielmehr wird hier sogar ausdrücklich „vor dem Sozialgericht“ ergänzt und damit eine selbstständige Kategorie gegenüber den vorhergehenden Nummern gebildet – und gleichwohl findet sich der bestimmte, nicht aber der unbestimmte Artikel. Dabei wäre hier der unbestimmte Artikel umso naheliegender gewesen, weil im tatbestandlichen Text von Nr. 3104 VV RVG der Begriff des „Verfahrens“ (im Gegensatz zu Nr. 3106 VV RVG) gar nicht auftaucht, auf den sich „das“ beziehen könnte.

bb) Letzterer Umstand führt dazu, dass sich auch aus systematischer Auslegung kein Gegenteiliges Ergebnis rechtfertigen lässt. Der Vergleich mit Nr. 3104 VV RVG belegt vielmehr, dass der Gesetzgeber jeweils drei separate Fälle mit eigenständigen Regelungen normiert hat.

Soweit in diesem Zusammenhang angeführt wird, dass der Vergleich mit den Anmerkungen 1 und 2 zu Nr. 3106 VV RVG ergebe, dass die fiktive Terminsgebühr nur dann anfallen solle, wenn ein Rechtsanwalt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erzwingen könne, bleibt unerfindlich, warum dann für den Gerichtsbescheid, dessen Erlass unter Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ebenfalls nicht von einem Einverständnis der Beteiligten abhängt und bei dem im Falle der Rechtsmittelfähigkeit ebenfalls keine mündliche Verhandlung erzwungen werden kann, die fiktive Terminsgebühr gleichwohl ausdrücklich anfallen soll. Den Anmerkungen zu Nr. 3106 VV RVG ist also keineswegs gemeinsam, dass sie nur Fälle regeln, in denen ein Bevollmächtigter eine mündliche Verhandlung erzwingen könnte.

Letztlich bleibt systematisch die Fixierung auf eine mündliche Verhandlung auch deshalb äußerst fraglich, weil gemäß Absatz 3 der Vorbemerkung 3 VV RVG die Terminsgebühr auch für die Teilnahme an Erörterungsterminen gewährt wird. Dass dann eine Norm wie Anmerkung 3 zu Nr. 3106 VV RVG, die nicht einmal den Begriff der mündlichen Verhandlung enthält, systematisch in einen Bezug zu einer mündlichen Verhandlung gesetzt wird, überzeugt im Ergebnis nicht.

cc) Der Wille des historischen Gesetzgebers ist im Ergebnis nicht aussagekräftig. Zu Nr. 3106 VV RVG-E findet sich in der Gesetzesbegründung nur der Verweis auf die Begründung zu Nr. 3102 VV RVG-E. Darin ist aber das hier relevante Problem nicht angesprochen (BT-Drs. 15/1971, S. 213, 212).

Auch in der Begründung zu der wenigstens teilweise parallelen Vorschrift Nr. 3104 VV RVG-E fehlen jegliche Ausführungen zu Nr. 3 der Anmerkung des Absatzes 1 und damit zur Frage des angenommenen Anerkenntnisses. Allerdings wird hier zu einer Änderung gegenüber der BRAGO betreffen das Berufungsverfahren formuliert:

„Der in § 116 Abs. 2 Satz 2 BRAGO genannte Fall des § 153 Abs. 4 SGG soll nicht in die neue Vorschrift aufgenommen werden. Nach dieser Vorschrift kann das Landessozialgericht die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet erachtet. Da weder ein besonderer Aufwand des Anwalts ersichtlich ist, noch die Parteien eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung verhindern können, ist die Notwendigkeit einer besonderen Terminsgebühr nicht ersichtlich.“

Hier findet sich der historisch einzige nachweisbare Konnex zwischen der Kompetenz der Beteiligten, eine mündliche Verhandlung zu erzwingen, und der Gewährung einer fiktiven Terminsgebühr, wenn auch bezogen auf das Berufungsverfahren. Allerdings ist die Argumentation nicht schlüssig, da der fiktiven Terminsgebühr regelmäßig kein terminsbezogener Aufwand des Anwalts zugrunde liegt, woraus sich ja ihr fiktiver Charakter erst ergibt. Dies ist somit kein Argument, sie auszuschließen. Die entsprechende Problematik des Anerkenntnisses in Nr. 3 der Anmerkung wird jedoch nicht thematisiert. Dies kann Viererlei bedeuten: Entweder der Gesetzgeber wollte hier gerade eine andere Regelung und hat deshalb das Anerkenntnis allgemein auch für Eilverfahren als Tatbestand für die fiktive Terminsgebühr angenommen und insoweit nichts Begründendes ausgeführt. Oder er ging wie selbstverständlich davon aus, dass die Regel auf Eilverfahren keine Anwendung findet – insoweit liegen aber keine Hinweise vor.

Oder ihm war – drittens – die Problematik nicht bewusst; dafür könnte die plausible Erwägung von Röhl (jurisPR-SozR 19/2010 Anm. 6) sprechen, dass die Autoren des vor dem 1. Januar 2005 in Kraft getretenen RVG die quantitative Relevanz sozialgerichtlicher Eilverfahren infolge der Zuständigkeitsänderung für Streitigkeiten nach dem SGB II und XII nicht kennen konnten und daher der kostenrechtlichen Eilverfahrensproblematik im Sozialprozess keine Aufmerksamkeit gewidmet haben. Ist dies so, lässt sich nur spekulieren, was der Gesetzgeber gewollt hätte, wenn es ihm bewusst gewesen wäre. Daraus lässt sich aber keine Erkenntnis für die Rechtsauslegung gewinnen. Denkbar wäre dann letztendlich auch, dass die RVG-Entwurfsverfasser angesichts der aus ihrer Sicht geringen Zahl sozialgerichtlicher Eilverfahren keine Sonderregelung für nötig hielten; dann spräche dies allerdings für die fiktive Terminsgebühr auch in Eilrechtsschutzverfahren.

Im unlängst vorgelegten Referentenentwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Stand: 13.12.2011) wird die Thematik nunmehr aufgegriffen. In Nr. 3104 VV RVG-E soll parallel zu Nr. 3106 VV RVG-E die fiktive Terminsgebühr im Falle des angenommenen Anerkenntnisses davon abhängig gemacht werden, dass mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die Begründung (S. 419 des Entwurfs) hierzu führt aus:

„Im Verfahren vor den Sozialgerichten entsteht die fiktive Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Mit dieser Gebühr soll dem Anwalt das Interesse genommen werden, das Anerkenntnis nur deshalb nicht anzuerkennen, um einen Termin zu erzwingen. Daher hat die überwiegende Rechtsprechung die fiktive Terminsgebühr in diesen Fällen davon abhängig gemacht, dass grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sein muss (z. B. LSG Schleswig-Holstein, AGS 2010, 23 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen v. 1.3.2011, L 7 B 247/09 AS, zitiert bei juris. m. w. N.). Die Vorschrift soll im Sinne dieser Rechtsprechung klargestellt werden.“

Soll dies also eine Klarstellung bedeuten, ist davon auszugehen, dass es bisher schon so gemeint war, aber nicht deutlich genug zum Ausdruck kam. Hiernach wäre ein Wille des Gesetzgebers zu unterstellen, dass auch bisher keine Terminsgebühr in Eilverfahren anfallen soll. Allerdings vermag aus Sicht der Kammer die bloße Formulierung eines Referentenentwurfs, zukünftig etwas „klarstellen“ zu wollen, nicht, um einen Willen des historischen Gesetzgebers zu belegen.

Allerdings wird dann im Referentenentwurf betreffend die Bestimmung der Höhe der künftigen fiktiven Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG-E in prozentualer Abhängigkeit von der Verfahrensgebühr ausgeführt (S. 420 des Entwurfs):

„Bei der fiktiven Terminsgebühr kommt es darauf an, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins zu nehmen.“

Diese eindeutige Zweckdefinition des Referentenentwurfs für eine Regelung de lege ferenda dürfte aber ebenfalls nicht zur eindeutigen Bestimmung der Rechtslage de lege lata herangezogen werden können.

Insgesamt muss vor diesem Hintergrund somit festgestellt werden, dass sich bei historischer Auslegung keine durchgreifenden Gründe erkennen lassen, die gegen den Anfall einer fiktiven Terminsgebühr auch im Eilverfahren sprechen.

dd) Auch aus teleologischer Sicht ergeben sich keine durchgreifenden Argumente gegen die Anwendung der Anmerkung 3 zu Nr. 3106 VV RVG im Eilverfahren. Dabei ist zunächst schon das grundsätzliche methodische und demokratietheoretische Problem zu beachten, dass es äußerst begründungsbedürftig ist, einem Gesetz einen Zweck zu zuzuschreiben, wenn dieser sich nicht auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt. Denn dann gelangt der Auslegende nur zu einem telos, wenn er diesen als solchen selbst bestimmt. Damit dies nicht willkürlich subjektiv geschieht, müssen ausreichende Anhaltspunkte im Gesetz selbst zu finden sein. Hieran fehlt es im Ergebnis. Ausweislich der vorstehenden Erwägungen ergibt sich kein klares Bild aus den übrigen Auslegungsmethoden.

Allgemein wird hierbei jedoch – angesichts der Ausführungen unter cc) durchaus nicht ohne Anknüpfungspunkte – angenommen, dass die fiktive Terminsgebühr im Eilverfahren ausgeschlossen sein soll, weil hierfür eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben sei. Daher bedürfe es auch keines finanziellen Anreizes für einen Anwalt, um ihm das (bloße) Vergütungsinteresse an der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu nehmen und auf diesem Weg zu einer Arbeitserleichterung zu gelangen. Dieses Argument greift jedoch nicht durch, weil dann eben nicht erklärbar ist, warum der Gesetzgeber dieses Kriterium in Nr. 1 der Anmerkung ausdrücklich erwähnt hat, in Nr. 3 aber nicht. Wäre es der Sinn der fiktiven Terminsgebühr, einen Anreiz zu schaffen für einen Anwalt, auf einen Termin zu verzichten, den er ansonsten erzwingen könnte, wäre dies doch leicht „vor die Klammer“ zu ziehen gewesen. Da dies der Gesetzgeber nicht getan hat, kann dies auch nicht als genereller Zweck der fiktiven Terminsgebühr angesehen werden. Anders könnte man nur entscheiden, wenn man meint, der Gesetzgeber habe dies versehentlich nur in Nr. 1 statt übergeordnet normiert. Hierfür fehlt es aber an Anhaltspunkten (so auch Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, Nr. 3106 VV Rn. 6).

Zudem greift dieser Zweck auch bereits in Nr. 2 der Anmerkung nicht (mehr), da auch eine Entscheidung mittels Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung durch Beteiligte nicht verhindert werden kann – jedenfalls bei Rechtsmittelfähigkeit der Entscheidung. Entsprechend konsequent wird nun de lege ferenda im Referentenentwurf für das Zweite Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Stand: 13.12.2011) die fiktive Terminsgebühr bei Erlass eines Gerichtsbescheids davon abhängig gemacht, dass „eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“. Aktuell findet sich dies aber gerade nicht im Gesetzeswortlaut.

Röhl (jurisPR-SozR 19/2010 Anm. 6) zieht als zweiten telos einer fiktiven Terminsgebühr den gebührenrechtlichen Schutz der gerechtfertigten Erwartung eines Anwalts einer mündlichen Verhandlung heran, die im Fall des Gerichtsbescheids ohne Einflussmöglichkeit des Anwalts entfalle. Dies ist nicht von der Hand zu weisen, denn bei der wirtschaftlichen Bewertung der Übernahme eines sozialgerichtlichen Mandats wird ein Rechtsanwalt in der Tat erwägen, dass er jedenfalls Verfahrens- und Terminsgebühr wird erhalten können. Einer solchen Kalkulation wird die Grundlage entzogen, wenn das Gericht mittels eines Gerichtsbescheides faktisch die Terminsgebühr „streichen“ könnte. Hier könnte dann betreffend Eilrechtsschutzmandate eine andere Sichtweise angezeigt sein, weil hier regelmäßig eine mündliche Verhandlung nicht stattfindet. Dies überzeugt jedoch nicht; denn nach der Vorbemerkung 3 zum VV RVG entsteht die Terminsgebühr auch bei Teilnahme an Erörterungsterminen. Und im typisch eilrechtsschutzgeprägten Rechtsgebiet des SGB II dürfte die Durchführung eines Erörterungstermins die Regel, zumindest aber in der Mehrzahl der Verfahren üblich sein. Daher kann nicht per se davon ausgegangen werden, dass die Erwartung eines Rechtsanwalts, eine Terminsgebühr zu verdienen, sich auf Hauptsacheverfahren beschränkt.

b) Nach alledem ergibt sich ein sehr uneindeutiges Bild; wie Röhl jüngst (jurisPR-SozR 6/2012 Anm. 6) in anderem Zusammenhang treffend ausgeführt hat, kann sich auch hier der Rechtsanwender „aus dem Argumentebaukasten der juristischen Methodenlehre weitgehend frei bedienen, um das von ihm gewünschte Ergebnis zu begründen“. Das Ergebnis dürfte daher, wenn nicht „rein“ vom gewünschten Ergebnis, so doch jedenfalls davon abhängen, welche Methode bevorzugt wird bzw. welchem Argument in der subjektiven Gewichtung des Rechtsanwenders der Vorzug gebührt.

Ausgehend von der eingangs dargestellten Prämisse, dass durch den Wortlaut der Anmerkung Nr. 3 zu Nr. 3106 VV RVG die fiktive Terminsgebühr im Falle eines angenommenen Anerkenntnisses ohne Einschränkung auf das Vorgeschriebensein einer mündlichen Verhandlung für beendete „Verfahren“ gewährt wird und die übrigen Auslegungsmethoden ein gegenteiliges Ergebnis letztlich nicht zwingend begründen, fällt auch in Eilverfahren eine Terminsgebühr an, wenn diese – wie hier – durch angenommenes Anerkenntnis enden.

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