Rechtsanwalt Joachim Sokolowski

Fachanwaltskanzlei Sokolowski
63263, Neu-Isenburg
Rechtsgebiete
Strafrecht Sozialrecht
24.03.2012

Bordell ist keine Vergnügungsstätte…

Der VGH Baden-Württemberg hat mit Beschluß vom 5.3.2012 (5 S 3239/11) festgestellt, dass ein Bordell nach der BauNVO 1990 den in einem Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässigen “Gewerbebetrieben aller Art” und nicht den nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO nur ausnahmsweise zulässigen “Vergnügungsstätten” zuzuordnen.

Seine Entscheidung begründet das Gericht u.a. wie folgt:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur BauNVO 1968 und BauNVO 1977 fällt ein Bordell, in dem die Prostituierten – wie im vorliegenden Fall – nicht wohnen, unter den Begriff der „Gewerbebetriebe aller Art“, die in Gewerbegebieten nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig sind (BVerwG, Urt. v. 25.11.1983 – 4 C 21.83 -, BVerwGE 68, 213). Unter der Geltung der BauNVO 1990, mit der erstmals Vergnügungsstätten als selbständige Nutzungsart eingeführt und ihre Zulässigkeit in den einzelnen Baugebieten abschließend geregelt wurde, hat es das Bundesverwaltungsgericht offen gelassen, ob Bordellbetriebe als Vergnügungsstätten i.S. der BauNVO einzustufen sind (vgl. Beschl. v. 29.10.1997 – 4 B 8.97 -, juris). Auch der Senat hat bisher diese Frage offen gelassen (Senatsurt. v. 19.10.1990 – 5 S 3103/89 -, VBlBW 1991, 220). Er entscheidet sie nunmehr dahin, dass Bordellbetriebe auch unter der Geltung der BauNVO 1990 den „Gewerbebetrieben aller Art“ und nicht den Vergnügungsstätten zuzuordnen sind (ebenso die wohl herrschende Meinung: OVG Hamburg, Beschl. v. 13.08.2009 – 2 Bs 102/09 -, juris; Bay.VGH, Beschl. v. 13.02.2008 – 15 ZB 08.2200 -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.05.2005 – 8 C 10053/05 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.11.2005 – 1053.05 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 27.10.2009 – 5 K 3864/08 -, juris; VG Hamburg, Urt. v. 22.11.2011 – 11 K 1237/09 -, juris; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl., § 8 RdNr. 5; Soefker, Lfg. 88, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 8 RdNr. 24; Roesner, in: König/Roesner/Stock, BauNVO, 2. Aufl., § 7 RdNr. 16; a.A.: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.10.1996 – 8 S 2136/96 -; Hess.VGH, Beschl. v. 30.04.2009 – 3 A 1284/08.Z -, UPR 2010, 104; OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.06.2009 – 2 P 367/09 -, juris; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, 67. Lfg. § 4a RdNr. 74; zum Meinungsstand insgesamt vgl. Stühler, Prostitution und öffentliches Baurecht, BauR 2010, 1013, 1020 f.).

Maßgebend für die Zuordnung zu den „Gewerbebetrieben aller Art“ sind folgende Erwägungen:

Im Baurecht ist der Begriff der Vergnügungsstätte gesetzlich nicht definiert. Üblicherweise werden darunter gewerbliche Nutzungsarten verstanden, die sich in unterschiedlicher Ausprägung (wie Amüsierbetriebe, Diskotheken, Spielhallen) unter Ansprache (oder Ausnutzung) des Sexual-, Spiel- und/oder Geselligkeitstriebes einer bestimmten gewinnbringenden „Freizeit“-Unterhal-tung widmen (vgl. Fickert/Fieseler a.a.O. § 4a RdNr. 22; ähnlich Roesner a.a.O. § 7 RdNr. 15; zusammenfassend Stühler a.a.O., S. 1020). Es handelt sich um einen städtebaulichen Sammelbegriff; im Vordergrund steht nicht die Frage nach der kommerziellen Unterhaltung, sondern in welcher Weise sich die unter diesen Begriff zusammengefassten Nutzungsarten innerhalb der einzelnen Baugebiete auswirken können (Fickert/Fieseler a.a.O. § 4a RdNr. 22.1; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.11.2006 – 3 S 2377/06 -, VBlBW 2007, 189). Die im jeweiligen Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung zulässigen Nutzungen ergeben eine gebietstypische Nutzungsstruktur, in der miteinander verträgliche Arten von Nutzungen zusammengefasst und von anderen Nutzungsarten abgegrenzt werden (BVerwG, Urt. v. 24.09.1992 – 7 C 7.92 -, NVwZ 1993, 987). Die Zulässigkeit von Nutzungen hängt dabei nicht nur von deren Immissionsträchtigkeit oder Immissionsverträglichkeit ab, sondern wird auch von anderen Maßstäben der städtebaulichen Ordnung bestimmt (BVerwG, Urt. v. 25.11.1983 a.a.O.).

[...]

Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene „sozialethische“ Bewertung der Prostitution ist auch nicht aufgrund des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3983) zu ändern. Dieses Gesetz hat keine bauplanungsrechtlichen Folgewirkungen (so bereits Senatsurt. v. 24.07.2002 – 5 S 149/01 -, ESVGH 53, 30; ebenso die wohl einhellige obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. die Nachweise bei Stühler a.a.O. S. 1032 Fn. 157).

Schließlich ist dem Bundesverwaltungsgericht weiterhin darin zu folgen, dass ein Bordell auch keine so erheblichen Belästigungen i.S. von § 8 Abs. 1 BauNVO mit sich bringt, dass es – von dem nach § 15 Abs. 1 BauNVO zu behandelnden Einzelfall abgesehen – schlechthin nicht in einem Gewerbegebiet zugelassen werden könnte. Die von einem Bordell ausgehenden Nachteile und Belästigungen, nämlich vor allem der Lärm des Zu- und Abgangsverkehrs und sonstige „milieubedingte“ Unruhe erreichen die Schwelle der Erheblichkeit nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1983 a.a.O.).

[...]

Das vom Beigeladenen betriebene Bordell widerspricht der sich so darstellenden Eigenart des Gewerbegebiets auch nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung.

Ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets setzt mehr voraus, als dass die bauliche Anlage dem Baugebiet lediglich nicht entspricht. Auch genügt es für die Unzulässigkeit nicht, wenn ein Vorhaben die vorhandene Gebietsstruktur nur geringfügig verschlechtert und damit eine gewisse Beeinträchtigung darstellt. Die bauliche oder sonstige Anlage muss bei der beabsichtigten Ausführung dem konkreten Gebietscharakter vielmehr eindeutig entgegenstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.11.1984 – 4 B 244.84 -, UPR 1985, 136; Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 RdNr. 9.1; Soefker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 15 RdNr. 13). Davon kann beim Vorhaben des Antragstellers nicht ausgegangen werden.

„Nach Anzahl“ kann ein Bordell der Eigenart eines Gewerbegebiets widersprechen, wenn in dem Gebiet bereits ein solcher Betrieb oder gar eine Mehrzahl vorhanden ist. Hierfür ist indes weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Auch nach Lage, Umfang oder Zweckbestimmung widerspricht das Bordell aller Voraussicht nach nicht der Eigenart des Gewerbegebiets.

Nach seinem Umfang handelt es sich eher um ein kleineres Bordell mit 11 „Arbeitsräumen“, einer Sauna sowie 2 „VIP-Bereichen“. Es ist im Ober- und Dachgeschoss eines bestehenden Betriebsgebäudes untergebracht, das sich ausweislich des bei den Akten befindlichen Lageplans und der von den Beteiligten vorgelegten Fotos nach seiner Größe und Nutzfläche ebenfalls ohne Weiteres in die Eigenart der Umgebungsbebauung einfügt. Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf die Internetwerbung des Beigeladenen geltend macht, dass es sich nicht „nur“ um ein Bordell, sondern in Wirklichkeit um ein Bordell und zusätzlich einen „FKK-Sauna-Club“ mit zahlreichen „Zusatzleistungen“ handele, ist darauf hinzuweisen, dass es im vorliegenden Verfahren allein auf die durch die Antragsgegnerin genehmigte Nutzung ankommt. Der Antragsteller hatte zwar zunächst neben dem „Einbau eines Bordellbetriebes“ auch den „Einbau“ eines „FKK-Sauna-Clubs“ beantragt. Baurechtlich genehmigt wurde indes – nach einer entsprechenden Planänderung – allein der „Einbau eines Bordellbetriebes“ (vgl. die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 15.03.2011). Falls die tatsächliche Nutzung von der genehmigten abweichen sollte, käme – nach entsprechender Überprüfung – ein baurechtliches Einschreiten durch die Antragsgegnerin in Betracht, worauf diese in ihrer Antragserwiderung auch bereits hingewiesen hat.

Auch im Hinblick auf die Lage des Bordellbetriebes lässt sich kein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets, wie sie in den Festsetzungen des Bebauungsplans zum Ausdruck kommt, feststellen. Insoweit macht der Antragsteller unter Vorlage einer Kopie aus dem Adressbuch geltend, dass gerade die „…straße“ durch Wohnnutzung geprägt sei. Soweit es sich indes nicht um eine nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in Gewerbegebieten zugelassene Wohnnutzung handelt, hätte sie indes nach den oben dargestellten Grundsätzen außer Betracht zu bleiben. Im Übrigen kann der Behauptung des Antragstellers aber schon in tatsächlicher Hinsicht nicht gefolgt werden. Nach den bei den Akten befindlichen Lageplänen und dem (den baulichen Bestand darstellenden) Bebauungsplan sowie den von den Beteiligten vorgelegten Lichtbildern ist nicht nachvollziehbar, dass die …straße – jedenfalls in dem Abschnitt, in dem das Bordell sich befindet – dadurch geprägt sein soll, dass „überwiegend“ Wohnnutzung stattfinde und die gewerbliche Nutzung „eher“ untergeordnet sei und sich „im Wesentlichen“ auf kleine Handwerksbetriebe „im Hinterhof“ beschränke. Vielmehr sind gerade in der Umgebung des Vorhabens auch großflächige Gewerbebetriebe und ein großer Einkaufsmarkt zu finden. Eine „Prägung“ durch eine im Gewerbegebiet zugelassene Wohnnutzung ist nicht substantiiert vorgetragen; der Senat vermag eine solche mit den Erkenntnismöglichkeiten eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auch nicht zu erkennen. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass die Zulassung des Vorhabens zu einer faktischen Gebietsumwandlung („Umkippen“) – auch nicht im fraglichen Teilbereich der …straße – führen würde (vgl. hierzu Senatsurt. v. 27.07.2001 – 5 S 1093/00 -, BauR 2002, 359). Soweit der Antragsteller geltend machen will, dass das Vorhaben nach seinem gewählten Standort für die in unmittelbarer Nachbarschaft bereits vorhandenen Anlagen bzw. Nutzungen unzumutbar sei, macht er eine Verletzung des Rücksicht-nahmegebots geltend (hierzu sogleich unter 2.).

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