Rechtsanwalt Joachim Sokolowski

Fachanwaltskanzlei Sokolowski
63263, Neu-Isenburg
Rechtsgebiete
Strafrecht Sozialrecht
14.08.2011

Bedingter Tötungsvorsatz des Schönheitschirurgen?

In dem vom BGH mit Urteil vom 7.07.2011 entschiedenen Verfahren (5 StR 561/10) hatte das Schwurgericht den angeklagten Schönheitschirurgen wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Der BGH stellte fest, dass die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes des Schönheitschirurgen durch das Landgericht der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand halte. Das Landgericht habe das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes nur mit lückenhaften, die Festtellungen zum Handlungsablauf und zur Interessenlage nicht erschöpfenden Erwägungen belegt.

Diesbezüglich führte der BGH in seiner Entscheidung u.a. aus:

Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten nur gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet.
Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10). Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGH aaO). Diese hat das Landgericht nicht in dem gebotenen Umfang vorgenommen.
Zwar hat es – im Einklang mit einen ähnlichen Ausgangssachver-halt würdigenden Urteilen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, und vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 391/05) – zutreffend angenommen, dass eine ausdrückliche Erörte-rung der Frage, ob ein Arzt einen Patienten vorsätzlich am Leben oder an der Gesundheit geschädigt hat, geboten ist, falls nach Eintritt von Komplikationen der Arzt aus sachfremden Motiven keinen Rettungswagen angefordert hat. Das Vorliegen solcher Motive beschreibt indes keinen Erfahrungssatz, aus dem auf das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes zu schließen wäre, sondern diese bedürfen ihrerseits wertender Betrachtung im Rahmen der gebotenen Gesamtschau.
Die Schwurgerichtskammer hat – im Gegensatz zu den argumentativ herangezogenen Umständen aus dem vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs gewürdigten Fall – nicht auf Äußerungen des Angeklagten selbst und offensichtliche, absehbar dramatisch verlaufende lebensbedrohende Verletzungen abstellen können, aus denen weitergehend auf sachfremde Beweggründe seines Handelns zu schließen war. Sie hat allein den Vertuschungshandlungen des Angeklagten das Motiv entnommen, zum Schutz seiner eigenen Interessen eine Aufdeckung seines ärztlichen Fehlverhaltens zu verhindern; dieserhalb habe er sich mit dem Tod der Patientin abgefunden. Diese Schlussfolgerung entbehrt indes der argumentativen Auseinandersetzung mit gegenläufigen, im Urteil festgestellten Umständen, die vielmehr die Annahme bewusster Fahrlässigkeit rechtfertigen könnten.
Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass ein rational verankerter Zusammenhang zwischen dem angenommenen Handlungsmotiv – Vertuschung von Fehlern zur Schonung eigener Interessen – und dem Tod der Patientin wenigstens bei zu erwartendem Todeseintritt in der Tagesklinik des Angeklagten schwerlich bestehen kann: Dass die Operation ohne Anästhesist, aber mit Komplikationen vorgenommen worden war, konnte keinesfalls – schon gar nicht gegenüber dem ständig auf Aufklärung dringenden Ehemann der Patientin – längere Zeit verborgen werden. Ein Todeseintritt in der Tagesklinik hätte bei der zur Wahrung zivilrechtlicher Ansprüche des Nebenklägers sicher zu erwartenden Obduktion die Erkenntnis der wahren Todesursache, der ärztlichen Fehler des Angeklagten, ergeben. Zudem erwägt das Landgericht im Rahmen von Überlegungen zu einem Rücktritt vom Totschlagsversuch, dass der Angeklagte „es für möglich hielt, dass Sch. ohne Verlegung auf eine Intensivstation sterben würde“ (UA S. 58); hiernach hielt er sogar zu einem relativ späten Zeitpunkt noch eine Rettung der Patientin im Krankenhaus für möglich. Einer starken Skepsis am Überleben der Patientin und einer damit einhergehenden Billigung ihres Todes wenigstens bis zum Transport ins Krankenhaus widerstreiten namentlich die – erst im Rahmen der Erörterung des Mordmerkmals der anderen niedrigen Beweggründe erörterten – festgestellten Antriebe für das pflichtwidrige Handeln des Angeklagten, nämlich “Eigenüberschätzung und Verbohrtheit“ (UA S. 59).

Die Entscheidung kann hier auf den Seiten des BGH im Volltext abgerufen werden.

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