Rechtsanwalt Joachim Sokolowski

Fachanwaltskanzlei Sokolowski
63263, Neu-Isenburg
Rechtsgebiete
Strafrecht Sozialrecht
22.04.2012

Auch bei Verständigung muss das Gericht den Sachverhalt aufklären

Entscheidung des Bundesgerichtshofes
Die Möglichkeit des Gerichts, sich mit den Verfahrensbeteiligten über das Ergebnis des Verfahrens zu verständigen (§ 257c Abs. 1 Satz 1 StPO), berührt die gerichtliche Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Ermittlung der Wahrheit nicht (§ 257c Abs. 1 Satz 2 StPO).
Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht. Nur ein Sachverhalt, der auf einer Überzeugungsbildung des Gerichts unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht, kann die Grundlage einer Verurteilung bilden (BGH, Beschluss vom 22. September 2011 – 2 StR 383/11, NStZ-RR 2012, 52 mwN).
Dies gilt auch für die Darlegung der der Überzeugungsbildung zugrundeliegenden Beweiswürdigung in den Urteilsgründen. Es gibt angesichts des klaren Wortlauts des Gesetzes und der Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 16/12310 S.13) keinen Anlass, die diesbezüglichen Maßstäbe für den Fall einer Verständigung zu relativieren.

Dies hat der Beundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 31. Januar 2012 – 3 StR 285/11 – festgestellt und insofern die vom Landgericht ausgesprochen Verurteilung wegen Betruges aufgehoben und das Verfahren an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Der BGH hat in den Entscheidungsgründen bezüglich der Feststellung zu den Täüuschungshandlungen i.S.d. § 263 StGB u.a. Folgendes ausgeführt:

Nach § 267 Abs. 1 StPO müssen die Urteilsgründe zwar lediglich die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und ggf. die beweiserheblichen Indiztatsachen benennen; der Tatrichter hat indes aus sachlichrechtlichen Gründen auch die seiner Überzeugung zugrundeliegende Beweiswürdigung in den Urteilsgründen darzustellen, um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf Rechtsfehler zu ermöglichen (vgl. KK/Engelhardt, StPO, 6. Aufl., § 267 Rn. 12 mwN). Hieran fehlt es vorliegend.

Das Landgericht hat in einer 103seitigen Tabelle die 662 Geschädigten sowie die Daten und Summen der jeweiligen Aktienkäufe (einzelne Geschädigte erwarben mehrfach Aktien) aufgeführt. Seine Überzeugung hat es auf das “glaubhafte Geständnis” des Angeklagten gestützt (UA S. 149), das es durch die weitere Beweisaufnahme als “bestätigt und ergänzt” angesehen hat (UA S. 151). Diese weitere Beweisaufnahme hat sich zum einen auf die dominante Stellung des Angeklagten in der Firmengruppe, deren desolate finanzielle Situation ab Anfang 2006 und die Vorgaben des Angeklagten zum Aktienvertrieb erstreckt; zum anderen hat die ermittelnde Polizeibeamtin bekundet, sie habe die “Zahl der Anleger und die Summe der von ihnen geleisteten Zahlungen”, die Gegenstand der Anklage geworden und vom Angeklagten glaubhaft gestanden waren, zusammengestellt.

Damit bleibt offen, auf welche Weise sich das Landgericht die Überzeugung davon verschafft hat, dass die 662 Geschädigten zu ihren Aktienkäufen jeweils durch einen dem Angeklagten zuzurechnenden, täuschungsbedingten Irrtum über Tatsachen veranlasst worden sind. Der Angeklagte konnte nur seine Intention gestehen, die Anleger durch seine Telefonverkäufer mittels falscher Angaben über die wirtschaftliche Situation und Entwicklung der Firmengruppe zum Kauf von Aktien verleiten zu lassen. Wie sich die einzelnen Verkaufsgespräche abgespielt und aufgrund welcher (Fehl)Vorstellungen die Anle-
ger, die schon mehrere Jahre zuvor in entsprechende Aktien investiert hatten, ohne dass es zwischenzeitlich zum Börsengang gekommen war, letztlich ihren neuerlichen Kaufentschluss gefasst haben, hätte der Angeklagte nur bekunden können, wenn ihm die unmittelbar Beteiligten darüber etwas berichtet hätten.
Hierzu ist indes nichts festgestellt, solches liegt auch nicht nahe. Nach den Urteilsgründen hat das Landgericht weder einen Telefonverkäufer noch einen der Geschädigten über die Anbahnung und den Abschluss eines Aktienkaufs vernommen. Es erscheint angesichts der festgestellten Bemühungen des Angeklagten zwar durchaus naheliegend, dass Anleger den Kaufentschluss täuschungsbedingt gefasst haben; indes sind auch andere Motivationen denkbar.
Die Annahme, es habe sich jeweils um Aktienkäufe aufgrund einer vom Angeklagten initiierten Täuschung der Anleger gehandelt, erweist sich damit letztlich als unbelegte Vermutung.

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