Aus einer informellen Vereinbarung über mögliche Rechtsfolgen entsteht weder eine Bindung gemäß § 257c StPO noch ein durch das fair-trial-Gebot geschützter Vertrauenstatbestand.
In dem vom BGH in dem Verfahren 2 StR 354/10 mit Beschluss vom 06.10.2010 entschiedenen Verfahren hatte die Strafkammer zu Beginn der Hauptverhandlung als Gegenleistung für Geständnisse der Angeklagten milde Strafobergrenzen angeboten. Dieses Angebot hatten die Angeklagten nicht angenommen, jedoch später – nach mehreren Verhandlungstagen – Geständnisse abgelegt.
Das Gericht verurteilte zu Strafen, die das ursprüngliche “Angebot” überstiegn. Hiergegen wandte sich die Revision, die die Auffassung vertrat, dass das ursprüngliche Angebot der Strafkammer Bindungswirkung entfaltet habe.
Dem erteilte der Bundesgerichtshof eine Absage und begründete dies u.a. wie folgt:
Eine Verletzung von § 257c StPO ist schon deshalb nicht gegeben, weil eine Verständigung nach dieser Vorschrift ausdrücklich nicht zustande gekommen ist.
Auch ein Vertrauenstatbestand ist nicht geschaffen worden. Nach Sachlage war das “Angebot”, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung feststellen und durch Vollstreckungserklärung in Höhe von sechs Monaten “kompensieren” zu wollen, erkennbar fern liegend und von § 257c Abs. 2 StPO nicht gedeckt; es lag auf der Hand, dass eine Art. 6 Abs. 1 MRK widersprechende Menschenrechtsverletzung nicht vorlag (59 Bandentaten mit unterschiedlicher Beteiligung bis August 2008: Anklage Dezember 2008; Eröffnungsbeschluss März 2009; Hauptverhandlung mit vier Angeklagten und acht Verteidigern ab 4. August 2009; Urteil nach 16 Hauptverhandlungstagen am 12. Januar 2010).
Es ist schon zweifelhaft, ob durch die Beteiligung an einer solchen, § 257c StPO widersprechenden Absprache überhaupt ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden könnte. Das gilt erst recht für “Angebote” und Absprachen, welche sich auf Zusagen beziehen, die nach § 257c Abs. 2 schon ihrer Art nach gar nicht Gegenstand von Absprachen sein dürfen, hier also eine “Halbstrafen-Aussetzung” gemäß § 57 Abs. 2 StGB oder deren Befürwortung oder Beantragung.
Hierauf kam es vorliegend im Ergebnis allerdings nicht an, weil schon die Bedingung des (rechtswidrigen) “Angebots” des Landgerichts offenkundig nicht eingetreten war: Die Angeklagten “traten dem Angebot nicht näher”; daher ist es fern liegend, dass sich aus diesem gleichwohl Ansprüche auf bestimmte Rechtsfolgen ableiten lassen sollten. Soweit zwischen Tatgericht und Verfahrensbeteiligten darüber gesprochen wurde, ob und warum man dem Gericht “vertrauen” solle, waren Gegenstand dieses Hinweises schon nach dem Revisionsvorbringen nicht etwa die früheren “Angebote”, sondern ein allgemeines Vertrauen in Fairness und Unvoreingenommenheit des Gerichts, die selbstverständliche Pflichten sind und daher weder einer “Zusage” bedürfen noch Ansprüche auf Einhaltung rechtswidriger Absprachen begründen.
Im Übrigen erscheint der Hinweis angezeigt, dass die Vorlage (gegebenenfalls mehrfach) “nachgebesserter Angebote” von Seiten des Gerichts zur
Erlangung von verfahrensabkürzenden Geständnissen regelmäßig nicht tunlich ist. Erfolgen solche Angebote, wie hier, in der Weise, dass ein immer günstigerer Verfahrensausgang angeboten wird, je länger Beschuldigte früheren Angeboten “nicht näher treten”, so führt dies sowohl in der Darstellung gegenüber den Verfahrensbeteiligten als auch in der öffentlichen Wahrnehmung leicht zu einem Eindruck eines “Aushandelns” des staatlichen Strafausspruchs, das mit der Würde des Gerichts kaum vereinbar ist.
Die Entscheidung kann hier auf den Seiten des BGH im Volltext abgerufen werden.
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