Rechtsanwalt Joachim Sokolowski

Fachanwaltskanzlei Sokolowski
63263, Neu-Isenburg
Rechtsgebiete
Strafrecht Sozialrecht
22.03.2013

Abschleppen am Taxenstand frühestens nach 30 Minuten

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Verbotswidrig an einem Taxenstand (Zeichen 229 zu § 41 StVO) parkende Kraftfahrzeuge können auf Kosten der Halter nur dann abgeschleppt werden, wenn nach den Umständen nicht zu erwarten ist, dass Fahrer oder Halter alsbald zum Fahrzeug zurückkehren und selbst wegfahren werden. Diese Erwartung ist im Allgemeinen erst dann nicht (mehr) begründet, wenn seit Feststellung des ordnungswidrigen Parkens eine Wartezeit von mindestens 30 Minuten vergangen ist.

Diesen Leitsatz hat der Hessischer Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 31.01.2013 (8 A 1667/12) aufgestellt und in den Entscheidungsgründen unter anderem folgendes ausgeführt:

Der vorliegende Fall ist insofern zwischen diesen beiden Fallgruppen einzuordnen, als der Taxenstand nicht – wie beim absoluten Haltverbot – nur dem fließenden Verkehr bzw. Rettungsfahrzeugen vorbehalten war und für diese jederzeit freigehalten werden musste, andererseits aber nur zum Halten und Parken bestimmter öffentlicher Verkehrsmittel, zu denen der Reisebus des Klägers nicht gehörte, zugelassen war. Wie sich aus der Verhandlungsniederschrift über eine Abschleppmaßnahme vom 2. Juli 2011 (Bl. 1 der Behördenakten) ergibt, war zwar vor dem Standort des vom Kläger abgestellten Busses neben Zeichen 229 (Taxenstand) zu § 41 StVO (Erläuterungen: Ge- oder Verbot; Fahrzeugführer dürfen an Taxenständen nicht halten, ausgenommen sind betriebsbereite Taxen) auch das Zeichen 283 (Absolutes Haltverbot) zu § 41 StVO (Erläuterungen: Ge- oder Verbot; Fahrzeugführer dürfen auf der Fahrbahn nicht halten) aufgestellt. Jedoch bezog sich, wie den Erläuterungen zu beiden Zeichen zu entnehmen ist, das absolute Haltverbot nur auf den an den Taxenstand angrenzenden Teil der Fahrbahn, während das speziellere Zeichen 229 für den Taxenstand selbst ein relatives Haltverbot mit einer privilegierenden Ausnahmeregelung für betriebsbereite Taxen aussprach.

Mit dem verbotswidrigen Abstellen seines nicht privilegierten Reisebusses in dieser relativen Haltverbotszone hat der Kläger eine Ordnungswidrigkeit begangen (§ 49 Abs.3 Nr. 4 StVO i.V.m. § 41 Abs. 1 StVO und Anl. 2 Zeichen 229 zu § 41 StVO) und zugleich das mit dem Haltverbot verbundene Wegfahrgebot verletzt (vgl. Hess.VGH, Urteil vom 22. Mai 1990, a.a.O., juris Rn. 17 zu Zeichen 233 zu § 41 StVO, und Urteil vom 11. November 1997, a.a.O., juris Rn. 20 zum Abschleppen eines ohne vorgeschriebenen Parkschein abgestellten Kraftfahrzeugs, jeweils m.w.N.). Diese Ordnungsverstöße wiegen jedoch hinsichtlich ihrer Sozialschädlichkeit weitaus geringer als das verbotswidrige Parken von Kraftfahrzeugen in absoluten Haltverbotszonen oder auf ausgewiesenen Rettungswegen. Im Unterschied zur Zweckentfremdung dieser durch absolute Haltverbote gekennzeichneten Verkehrsflächen bewirkt die ordnungswidrige zeitweilige Zweckentfremdung von Taxiständen durch das Parken nicht privilegierter Fahrzeuge keine akute Gefährdung der Sicherheit oder Leichtigkeit des fließenden Straßenverkehrs, von Leben und Gesundheit hilfebedürftiger Personen oder des Schutzes bedeutender Sachwerte im Brand- oder Katastrophenfall. Beeinträchtigt werden durch verbotswidriges Parken an Taxiständen nur die Möglichkeiten anfahrender Taxen bzw. Taxifahrer, transportierte Fahrgäste direkt am Taxenstand aussteigen zu lassen und dort anschließend auf neue Fahrgäste zu warten. Ersteres ist aber auch dann möglich und erlaubt, wenn der Taxenstand durch andere Fahrzeuge blockiert ist, weil Taxen, wenn die Verkehrslage es zulässt, auch neben anderen auf einem Seitenstreifen oder am rechten Fahrbahnrand stehenden Fahrzeugen Fahrgäste ein- oder aussteigen lassen dürfen (§ 12 Abs. 4 S. 3 StVO). Dadurch werden die Folgen auch der kompletten Fehlbelegung eines Taxenstandes durch nicht privilegierte Fahrzeuge deutlich relativiert. Denn das Vorhandensein eines Taxenstands bietet weder den Taxiunternehmern eine Gewähr dafür, diesen Stand – etwa bei Belegung sämtlicher Standplätze durch andere Taxen – jederzeit zweckentsprechend nutzen zu können, noch können potentielle Fahrgäste damit rechnen, am Taxenstand – auch in betriebsschwachen Zeiten – jederzeit wartende Taxen vorzufinden.

Deshalb muss bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer sofortigen Abschleppmaßnahme bei zeitweiliger Zweckentfremdung vorhandener Standflächen an Taxenständen ein deutlicher Unterschied gemacht werden zu den dargestellten Folgen einer Fehlbelegung von Verkehrsflächen in absoluten Haltverbotszonen, die jederzeit von nicht privilegiertem ruhenden Verkehr freigehalten werden müssen und bei denen nach der bisherigen Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs für die Anordnung von Abschleppmaßnahmen keine Wartefristen einzuhalten sind. Zwar besteht an der Wiederherstellung der zweckentsprechenden Nutzbarkeit von Halteplätzen an Taxiständen zweifellos ein größeres öffentliches Interesse als an der Entfernung verbotswidrig geparkter Fahrzeuge von Standplätzen in relativen Verbotszonen, in denen das Halten und für bestimmte Zwecke oder bei Erfüllung bestimmter Anforderungen das Parken zeitweilig erlaubt ist (eingeschränktes Haltverbot, Zeichen 286 zu § 41 StVO, und § 13 StVO). Denn in diesen Fällen tritt eine Störung der öffentlichen Sicherheit nicht schon mit dem Anhalten des Fahrzeugs ein, sondern erst nach Ablauf bestimmter Standzeiten oder Nichterfüllung bestimmter Zahlungs- oder sonstiger Leistungspflichten.

Umgekehrt sind bei Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung von Abschleppmaßnahmen ohne Wartezeit bei Zweckentfremdung von Taxenständen durch das Abstellen nicht privilegierter Fahrzeuge auch die nachteiligen Folgen für den betroffenen Fahrzeughalter zu berücksichtigen, der neben einem wegen der Ordnungswidrigkeit verhängten Bußgeld auch die horrenden Abschleppkosten, deren Verhältnismäßigkeit vor allem bei – wie hier – durch vorzeitige Anordnung einer Abschleppmaßnahme verursachten Leerfahrtkosten sehr fragwürdig ist.

Es ist deshalb durch die einschreitenden Bediensteten eine Ermessensentscheidung zu treffen, nach welcher Wartezeit das Abschleppen angeordnet werden soll, weil nicht mehr damit zu rechnen ist, dass der Fahrer eines verbotswidrig an einem Taxenstand abgestellten Fahrzeugs wieder dort erscheinen wird, um das Fahrzeug selbst wegzufahren. An einer solchen Ermessensentscheidung fehlt es hier gänzlich, weil aus der von dem Hilfspolizeibeamten angefertigten Niederschrift, der Rechnung des Abschleppunternehmens vom 4. Juli 2011 (Bl. 3 der Behördenakten) und der dienstlichen Erklärung des Bediensteten vom 6. Januar 2012 (Bl. 20 der Behördenakten) ersichtlich ist, dass er nach Feststellung der Ordnungswidrigkeit um 19:30 Uhr und nur einem erfolglosen Anrufversuch mit der im Bus von außen sichtbar angebrachten Handynummer des Klägers um 19:38 Uhr oder davor die fehlgeschlagene Abschleppmaßnahme veranlasst hat, die nach Eintreffen des Klägers am Bus „gegen 19:40 Uhr“ abgebrochen wurde. Da die eingehaltene Wartezeit von maximal acht Minuten keinesfalls ausreichend war, bietet der vorliegende Fall an sich keine Veranlassung, zur Mindestdauer der in solchen Fällen einzuhaltenden Wartefrist konkret Stellung zu nehmen. Um der Beklagten jedoch einen Anhaltspunkt für künftige Fälle gleicher Art zu geben, hält es der Senat für angebracht, die einzuhaltende Mindestwartezeit konkret zu benennen. Sie liegt in der Mitte zwischen der vom früheren 11. Senat veranschlagten Wartezeit von mindestens einer Stunde bei Zweckentfremdung von Parkplätzen in eingeschränkten Haltverbotszonen oder in den Fällen des § 13 StVO und keiner Wartezeit bei der Missachtung absoluter Haltverbotszonen, also bei einer halben Stunde, gerechnet von der Feststellung der Ordnungswidrigkeit durch die einschreitenden Bediensteten.

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