Teil I mit dem Sachverhalt des Manfredi Urteils ist hier zu finden.
Teil II – Die materiell-rechtlichen Grundlagen eines Anspruchs auf Schadensersatz aufgrund eines Verstoßes gegen die EU-Wettbewerbsregeln
a) materiell-rechtliche Grundlagen des Gemeinschaftsrechts und des deutschen Rechts
Die Manfredi Entscheidung macht, wie auch die Courage1 Entscheidung aus dem Jahre 20011, deutlich, dass jedermann den Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV – vormals Art. 81 EG – entstanden ist.
Hierbei umfasst der Begriff „jedermann“ sowohl natürliche Personen als auch Unternehmen.
Wie der EuGH ausführt2 ,richtet sich die Geltendmachung des Anspruchs grundsätzlich nach den jeweiligen nationalen Vorschriften. Damit wird die sog. Verfahrensautonomie der Mitgliedsstaaten gewahrt, denn in materiell-rechtlicher Hinsicht hat das Unionsrecht zwar Anwendungsvorrang, jedoch ist in organisations- und verfahrensrechtlicher Hinsicht der Grundsatz der institutionellen und prozedualen Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedsstaaten zu bewahren3. Zumindest bei Kartellen mit EU-weiten Auswirkungen ist der individuelle Anspruch auf Schadensersatz im EU-Recht verankert gem. Art.6 Abs. 3 lit.a Rom II-VO4. Dies wird deutlich durch die Formulierung des EuGH im Manfredi Urteil, in welcher der Gerichtshof zunächst auf die Auslegung des Art. 81 EG eingeht, um sodann in Rn. 64 auszuführen:
„In Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung ist die Bestimmung der Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts, einschließlich derjenigen für die Anwendung des Begriffes „ursächlicher Zusammenhang“, Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedsstaats.“
In Deutschland dient der Durchsetzung des deutschen und des europäischen Kartellrechts5 § 33 GWB. Es ist zu beachten, dass die Anwendung des Art. 6 Abs. 3 lit.a Rom II-VO als vorrangig geltendes Gemeinschaftsrecht die Regelung des § 130 Abs. 2 GWB ersetzt6. Hiervon werden nur zivilrechtliche Ansprüche – der Schadensersatz an sich – und nicht die administrative Durchsetzung des Kartellrechts durch die nationalen Behörden, umfasst. Grundlage hierfür ist der Gegenstand der Rom II-VO. Sie umfasst nur außervertragliche Schuldverhältnisse, nicht aber die behördlichen Verfahren innerhalb des Kartellrechts als solches7.
Dem Erwägungsgrund 22 der Rom II-VO nach, erstreckt sich die Regelung sowohl auf Verstöße gegen nationale als auch gegen gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsvorschriften. Daraus ergibt sich, wenn sowohl nationale als auch gemeinschaftsrechtliche kartellrechtliche Regelungen verletzt sind, ein Vorrang der Rom II-VO gilt. Ist – dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 lit.a Rom II-VO nach – durch ein den Wettbewerb einschränkendes Verhalten ein Schaden entstanden, so ist das Recht des Staates anzuwenden, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Bei einem Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln, der den deutschen Markt beeinträchtigt, würde dieses Verhalten zur Anwendung des deutschen Rechts und damit zu § 33 GWB führen. Im weiteren Verlauf wird auf das anwendbare materielle Recht bei Kartellrechtsverstößen eingegangen.
b) Die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches
Für die Geltendmachung des Anspruches auf Schadensersatz sind drei Vorgaben zu erfüllen: das Vorliegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV- vormals Art. 81 EG a.F., sowie das Vorliegen eines Schadens, als auch ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Schaden.
Als Anspruchsgrundlage kommt Art. 101 AEUV in Verbindung mit den nationalen Regelungen in Betracht.
aa) Das Vorliegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV
Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 101 AEUV (vormals Art. 81 EG).
Art. 101 Abs. 1 AEUV sieht Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind, als verboten an.
Unter einem Unternehmen versteht der EuGH jede wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von Rechtsform und Finanzierung8.
Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorliegen, so dass auch gemeinnützige Unternehmen hiervon erfasst sind9.
Weiterhin muss eine einheitliche Organisation personeller, materieller und immaterieller Güter bestehen, die dauerhaft einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt. Dieser weite Begriff des Unternehmens erfasst damit auch Einzelkaufleute, Freiberufler und Künstler10.
Vereinbarungen liegen dann vor, wenn Unternehmen einen gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Binnenmarkt in einer bestimmten Weise zu verhalten11.
Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen liegen dann vor, wenn zwischen Unternehmen eine derartige Koordinierung vorliegt, dass eine bewusste praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs tritt12.
Sinn dieses Verbots ist der Grundgedanke, dass jedes Unternehmen seine Marktpolitik selbstständig bestimmen soll und auch die Risiken des Wettbewerbs tragen muss. Fehlt diese autonome Selbstbestimmung der Unternehmen, so liegt eine Wettbewerbsbeschränkung vor. Ebenso liegt eine Wettbewerbseinschränkung vor, wenn die Handelsfreiheit eingeschränkt ist. Hierbei ist nicht nur die Handlungsfreiheit der am Kartell beteiligten Unternehmen ausschlaggebend sondern auch die anderer Marktteilnehmer13.
In Art. 101 Abs. 1 lit. a) bis e) AEUV sind fünf Regelbeispiele für Kartellabsprachen genannt. Der Tatbestand der Regelbeispiele ist jedoch nur dann erfüllt, wenn auch die in Abs. 1 genannten Voraussetzungen (s.o.) vorliegen.
Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV nennt die Festsetzung der Preise und der Geschäftsbedingungen. Preisabsprachen sind in jeder Hinsicht untersagt, es ist hierbei auch nicht zwischen Höchst – oder Niedrigstpreisen zu unterscheiden. Ebenso ist die Absprache für bestimmte Leistungen Preise zu verlangen und die Absprache von Öffnungszeiten in Geschäftsbedingungen untersagt. Im Manfredi Urteil war der Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 lit. a) durch die Absprache der Höhe der Versicherungsprämien erfüllt.
Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV nennt die Einschränkung oder Kontrolle des Absatzes, der Erzeugung, der technischen Entwicklung oder Investition als Tatbestand. Eine Beschränkung der Erzeugung liegt vor, wenn Quotenabsprachen getroffen werden, Absprachen bezüglich der Spezialisierung der beteiligten Unternehmen oder aber die Zusammenarbeit von Wettbewerbern in der Entwicklung neuer Produkte. Der Absatz wird z.B. beschränkt durch Verabredungen der Unternehmen bezüglich des Verkaufes der Produkte. Investitionen sind dann eingeschränkt, wenn über ihre Verwendung Absprachen getroffen werden14.
Art. 101 Abs. 1 lit. c) AEUV nennt die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen als Tatbestandsmerkmal. Eine Marktaufteilung ist dann vorhanden, wenn die beteiligten Unternehmen untereinander Absprachen getroffen haben in welchem Gebiet sie sich platzieren. Hierbei ist nicht nur der geographische Punkt umfasst, sondern auch die Einteilung nach Art des Produktes oder der Kunden. Eine Aufteilung von Versorgungsquellen liegt vor, wenn die beteiligten Unternehmen in der Wahl ihrer Bezugsquellen eingeschränkt sind.
Art. 101 Abs. 1 lit. d) AEUV nennt unterschiedliche Bedingungen gegenüber Handelspartnern. Diese Norm kann auch als Diskriminierungsverbot verstanden werden, allerdings nur dann, wenn die beteiligten Unternehmen als solches einen Handelspartner vom Handel ausschließen, z.B. durch Leistungsverweigerung oder Abnahmeabsprachen. Nicht aber, wenn nur ein Unternehmer ein solches Verhalten gegenüber einem Handelspartner zeigt15.
Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV nennt Koppelungsgeschäfte ohne sachlichen Grund. Eine Koppelung ist nur dann kartellrechtswidrig, wenn sie weder sachlich noch durch Handelsbrauch gerechtfertigt ist16.
Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV
Die in Art. 101 Abs. 2 AEUV genannte Nichtigkeit besteht ex tunc – von Anfang an – und mit absoluter Wirkung. Allerdings führen die o.g. Verstöße zur Teilnichtigkeit der rechtswidrigen Absprachen, es sei denn, diese sind so unmittelbar mit dem übrigen Inhalt verbunden, dass eine Trennung nicht möglich ist. Dann liegt eine Nichtigkeit im Ganzen vor.
Eine weitere Rechtsfolge ist der Schadensersatz- und Unterlassungsanspruch. Diesen kann jedermann geltend machen, der durch die kartellrechtswidrigen Absprachen einen Schaden erlitten hat. Die Geltendmachung erfolgt – unter Berücksichtigung des Äquivalenz- und Effektivitätsgebotes.
bb) Das vorliegen eines Schadens
Ein Schaden liegt dann vor, wenn der Betroffene aufgrund von Preisabsprachen erhöhte Prämien oder Preise gezahlt hat. Die Differenz zwischen dem normalen Marktpreisniveau und dem durch die Absprache festgesetzten Preis ist der Schaden im eigentlichen Sinne. Hierfür gibt es in Europa noch keine einheitliche Praxis bzgl. der Ermittlung des Schadens. Der BGH hat zur Schadensermittlung auf das Vergleichsmarktkonzept17 abgestellt.
Bei Anwendung des deutschen Rechts ist darüber hinaus auch § 287 ZPO zu beachten. Hiernach hat das Gericht die Möglichkeit die Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruches zu schätzen. Zudem kann es bei dieser Schätzung insbesondere den Schädigergewinn gem. § 33 Abs. 3 S.3 GWB berücksichtigen.
Der Gerichtshof geht in seiner Rechtsprechung von einem vollständigen Ersatz des Schadens aus, dieser umfasst daher nicht nur den Vermögensschaden, sondern auch etwaige entgangene Gewinn18. Ebenso besteht ein Anspruch auf Zahlung der Zinsen ab Eintritt des Schadens, also ab Beginn der wettbewerbswidrigen Absprachen.
cc) Der Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Schaden
Die Wettbewerbsverletzung muss zu einem Vermögensschaden oder einem Schaden in Form von entgangenem Gewinn geführt haben. Sie muss dementsprechend der Grund für den entstandenen Schaden sein. Anspruchsberechtigt ist demnach nur jeder, der durch das wettbewerbseinschränkende Verhalten auf nachgelagerten Wirtschaftsstufen berührt worden ist19. In diesem Fall kann dies sowohl eine natürliche Person sein, z.B. ein Verbraucher, wie auch eine juristische Person.
Prozessual sind zur Frage der Kausalität des Schadenseintritts Anscheinsbeweise heranzuziehen. Wie der EuGH bereits im sog. Zement Urteil20 feststellte, haben Kartellabsprachen für Abnehmer in der Regel unmittelbar einen Preisanstieg und eine geringere Angebotsvielfalt zur Folge21.
Diese Anspruchsvoraussetzung schränkt die Formulierung des EuGH „jedermann“ könne Schadensersatz geltend machen, insofern ein, als dass nur diejenigen tatsächlich anspruchsberechtigt sind, die durch das wettbewerbseinschränkende Verhalten auch berührt wurden.
c) Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz
Nach dem Äquivalenzgrundsatz muss sichergestellt sein, dass bei Anwendung des mitgliedsstaatlichen Rechts die Verfahrensmodalitäten mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht nicht ungünstiger gestaltet sind, als für entsprechende rein innerstaatliche Klage22.
Nach dem Effektivitätsgrundsatz darf das nationale Recht die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder erschweren23.
d) Das anwendbare materielle Recht bei Kartellrechtsverstößen
Hat ein Verstoß gegen das Kartellrecht Bezug zu mehreren Mitgliedsstaaten ist die Frage des anwendbaren Rechts zu beantworten. Da das Manfredi Urteil im Jahre 2006 gefallen ist, soll hier sowohl das anwendbare Recht vor Inkrafttreten der Rom II-VO dargestellt werden, als auch die Rechtslage nach Inkrafttreten der Rom II-VO.
aa) Rechtslage vor Inkrafttreten der Rom II-VO
Für Kartellverstöße vor dem 11. Januar 2009 musste das Internationale Privatrecht des Forumstaates zur Anwendung kommen. Im Kartelldeliktsrecht kommt das Deliktsstatut aus Art. 40 EGBGB zur Anwendung.
In Art. 40 Abs. 1 EGBGB wird auf das Recht des Handlungsortes (lex loci deliciti commissi) verwiesen, sofern nicht der Geschädigte das Recht des Erfolgsortes wählt. Diese Regelung wird auch als Tatortregel bezeichnet und kann durch das in S.2 normierte Bestimmungsrecht des Geschädigten ausgestaltet werden.
Handlungsort ist hierbei der Ort, an dem der Schädiger die unerlaubte Handlung selbst oder durch andere, für die er haftet, ganz oder teilweise ausführt24. Orte an denen lediglich Vorbereitungshandlungen durchgeführt werden sind keine Handlungsorte i.S.d. Art. 40 Abs. 1 EGBGB. Der Ort, an dem der Schaden eintritt, ist der Erfolgsort. Fallen sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort zusammen spricht man von einem Platzdelikt.
Tritt der Schaden in einem anderen Staat ein, so liegt zunächst ein Distanzdelikt vor. Der Geschädigte kann von seinem Wahlrecht in Art. 40 Abs. 1 S.2 EGBGB Gebrauch machen und das Recht des Erfolgsortes wählen.
Bei Kartellrechtsverstößen, die europaweit getroffene Absprachen zum Inhalt haben, führt dies zu einer Mehrheit von Handlungsorten und damit auch zu einer Mehrheit von anwendbaren Rechtsordnungen. Hierbei kann der Geschädigte nicht das Recht des Handlungsorten wählen, denn diese Bestimmung würde ins Leere laufen, wenn er von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch macht. Liegen mehrere potentielle Handlungsorte vor, muss unter Berücksichtigung der räumlich-persönlichen Verknüpfungen der Handlung ihr Schwerpunkt ermittelt werden25. Bei Kartellrechtsverstößen kommen als Handlungsorte drei alternativen in Betracht:
Der Ort, an dem die Absprachen durch das Kartell umgesetzt wurden. Demnach also der Sitz seiner Mitglieder und der entsprechend betroffene Markt bzw. die Märkte.
Der Ort, an dem die Absprachen durch das Kartell getroffen wurden.
Der Ort, an dem die Absprachen ihre wettbewerbseinschränkende Wirkung entfaltet haben.
Eine sachgerechte Lösung erscheint hierbei die Wahl des Ortes, an dem die Absprachen getroffen wurden als Handlungsort anzuerkennen. Denn hier waren alle Kartellmitglieder anwesend und haben durch Übereinstimmung die Absprachen getroffen.
Der Erfolgsort ist der Ort, an dem der Schadenserfolg eingetreten ist. Bei Kartellrechtsverstößen kommt hierbei regelmäßig der Ort in Betracht, an dem der Markt beeinträchtigt wurde. Ausschlaggebend für diese Betrachtung sind nur die Primärschäden, nicht aber mögliche Folgeschäden. Im Falle des sog. Vitamin Kartells hat das LG Dortmund seine Zuständigkeit am Sitz der Klägerin mit § 32 ZPO begründet unter dem Hinweis, dass Erfolgsort der Ort sei, an dem sich die behauptete Wettbewerbseinschränkung auswirkt26.
bb) Rechtslage nach Inkrafttreten der Rom II-VO
Mit Wirkung vom 11.Januar 2009 trat die Rom II-VO in Kraft, die Kollisionsregeln für außervertragliche Schuldverhältnisse vereinheitlicht. Für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche findet sich in Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO eine Sonderkollisionsnorm für kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Hiernach ist grundsätzlich das Recht des Staates anzuwenden, dessen Markt beeinträchtigt ist. Sind mehrere Märkte der Mitgliedsstaaten betroffen, so findet grundsätzlich das Recht des angerufenen Gerichts Anwendung, sofern dessen Markt zu den Märkten gehört, die unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt sind. Diese sog. lex fori Regel hat den Vorteil, dass das angerufene Gericht nach dem ihm bekannten Recht sowohl prozessual als auch materiell-rechtlich entscheiden kann.
In Teil III wird auf die prozessualen Aspekte der Schadensersatzgeltendmachung eingegangen.