Rechtsanwältin Jessica Große-Wortmann

Uni Potsdam
Potsdam
Rechtsgebiete
Internationales Wirtschaftsrecht Europarecht Recht allgemein
09.06.2011

Die EuGVVO in der Anwendung – Ein Schema

Internationale Zuständigkeit

Die Zuständigkeit deutscher Gerichte könnte sich aus der EuGVVO ( Brüssel I- VO) ergeben.

I. Anwendbarkeit der EuGVVO

Voraussetzung ist, dass der sachliche, der räumlich-persönliche und der zeitliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist.

a) sachlich findet die EuGVVO ihrem Art.1 Abs. 1 EuGVVO Anwendung auf Zivil- und Handelssachen.

Der Begriff der Zivilsache ist autonom auszulegen. Ausgeschlossen aus dem Bereich der Zivilsache ist ein Anspruch einer Person gegen eine hoheitlich handelnde Behörde.

Eine Ausnahme aus Art.1 Abs.2 lit. a-d EuGVVO darf nicht bestehen. Die EuGVVO gilt demnach nicht für Sachen die den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die gesetzliche Vertretung, das Ehegüterrecht, das Erbrecht (auch das Testamentsrecht), Insolvenz-und Konkurzverfahren, soziale Sicherheit und Schiedsgerichtsbarkeit betreffen. Erfasst werden hingegen Unterhaltssachen.

b) Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz gem. Art.2 EuGVVO und Art.3 EuGGVO (für Privatpersonen) oder Art.60 EuGVVO (für juristische Personen) hat.

Art.60 EuGVVO bestimmt drei – alternative- Kriterien. Den satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung um den Sitz einer Gesellschaft oder juristischen Person zu bestimmen. Der satzungsmäßige Sitz ergibt sich aus der Satzung der Gesellschaft. Die Hauptverwaltung ist die Zentrale der Gesellschaft. Eine Niederlassung definiert sich durch die Möglichkeit auch unabhängig von der Hauptverwaltung/ dem Hauptsitz Geschäfte mit Dritten abschliessen zu können.

c) Der zeitliche Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn die Klageerhebung nach dem 1. März 2002 erfolgte, gem. Art. 66 EuGVVo, Art. 76 EuGVVO.

II. Entscheidungszuständigkeit

1. Allgemeiner Gerichtsstand

Der allgemeine Gerichtsstand ergibt sich aus Art. 2 EuGVVO und richtet sich nach dem Beklagtenwohnsitz.

2. Besondere Gerichtsstände

Die besonderen Gerichtsstände ergeben sich aus Art. 5 EuGVVO. Mit Ausnahme der Nr.6 sind hier neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeiten geregelt. Dies ergibt sich aus der Formulierung “dem Gericht des Ortes … “.

a) Gerichtsstand des Erfüllungsortes
Nach Art. 5 Nr.1 EuGVVO kommt bei vertraglichen Ansprüchen die Zuständigkeit des Gerichtes am Erfüllungsort in Betracht.

Der Begriff des Vertrages i.S.v. Art.5 Nr. 1 EuGVVO ist autonom auszulegen. Es genügt hierfür jede freiwillig eingegangene Verpflichtung einer Person gegenüber einer anderen.
Erfüllungsort ist der Ort an dem die Leistung erbracht wurde, oder hätte erbracht werden müssen.

b) Gerichtsstand für Unterhaltssachen
Handelt es sich um eine Unterhaltssache kann die Klage auch vor dem Gericht erhoben werden, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Regelung stellt eine Privilegierung des Unterhaltsberechtigten dar.
c) Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

Bei Deliktklagen ist nach Wahl des Klägers das Gericht des Ortes zuständig, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Im Falle von Distanzdelikten ist das Ubiquitätsprinzip zu beachten: Zuständig ist sowohl das Gericht in dessen Bezirk das schädigende Ereignis eingetreten ist, als auch das wo die schädigende Handlung vorgenommen wurde. Der Kläger hat hierbei die Wahl.

d) Gerichtsstand für Versicherungssachen
Für Versicherungssachen richtet sich der Gerichtsstand nach Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO. Damit ist das Gericht am Wohnsitz des klagenden Versicherungsnehmers zuständig.
d) Gerichtsstand für Verbrauchersachen
Die in den Art. 15-17 EuGVVO geregelten Zuständigkeiten für Verbrauchersachen sind lex specialis zu Art. 5 EuGVVO. Allerdings sind die Art.15 – 17 EuGVVO nur anwendbar, wenn es sich um eine Verbrauchersache handelt. Das heisst wenn es um eine Ansprüche aus einem Vertrag geht, den eine Person zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann. Ebenfalls fallen hierunter der Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung, Darlehensgeschäfte und eine vom Verkäufer auf den Wohnsitzstaaat des Käufers ausgerichtete Tätigkeit.

3. Ausschliessliche Gerichtsstände

In Art. 22 EuGVVO sind die ausschliesslichen Gerichtsstände geregelt. Hierunter fallen Dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen und Zwangsvollstreckungssachen.

4. Rügelose Einlassung

Kommt eine Ausschliessliche Zuständigkeit nicht in Betracht, kann eine Zuständigkeit auch durch rügelose Einlassung nach Art. 24 EuGVVO entstehen. Der Beklagte muss entweder die Zuständigkeikt rügen bevor er sich hilfsweise auf das Verfahren einlässt oder aber er lässt sich garnicht auf das Verfahren ein. Dies hätte eine Prüfung des Gerichts der Zuständigkeit nach Art. 25 EuGVVO und Art. 26 EuGVVO zur Folge.

5. Gerichtsstandsvereinbarung

Die Parteien haben die Möglichkeit eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 EuGVVO zu schliessen. Die prozessualen Wirkungen einer wirksam (Formerfordernisse in Art. 23 EuGVVO beachten!) zustande gekommenen Gerichtsstandsvereinbarung richten sich sodann nach der lex fori des angerufenen Gerichts.

III. Ergebnis

Weiterführende Literatur/ Vertiefung:
Kienle – Internationales Privatrecht, 2. Auflage, Rn. 73-114.
Albrecht/Müglich – Internationales Privatrecht, 3. Auflage, S. 33- 57.
Linke/Hau,, Internationales Zivilverfahrensrecht, Grundriss, 5. Aufl.,
Brödermann/Rosengarten, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht
(IPR/IZVR), Anleitung zur systematischen Fallbearbeitung, 5. Aufl.


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