Immer wieder stellt sich bei Streitigkeiten um die Löschung von Einträgen auf Bewertungsportalen wie zum Beispiel jameda oder kununu die Frage, ob nicht nur der rechtswidrige Eintrag selbst, sondern auch die zugehörige Bewertung bzw. Benotung gelöscht werden muss. Diese Frage hat das OLG München in einem interessanten Urteil zugunsten des in seinen Rechten verletzten Arztes entschieden. Außerdem hat sich das Gericht mit der Frage beschäftigt, ob eine Äußerung eines bewertenden Patienten auch deshalb unwahr sein kann, weil sie für den Leser wichtige Informationen einfach weg lässt. Auch hier entschied das OLG München zugunsten des Arztes. Auch wenn es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, lassen sich daraus m.E. brauchbare Rückschlüsse für ähnliche Verfahren ziehen.
Das Urteil im Volltext
Im Folgenden finden Sie das Urteil des OLG München im Volltext:
OLG München 18. Zivilsenat, Beschluss vom 17.10.2014, 18 W 1933/14
§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 GG, § 91a ZPO
Tenor
- I. Auf die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 8.8.2014 dahingehend abgeändert, dass die Verfügungsbeklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
- II. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- III. Der Wert der Beschwerde beträgt 2.400 €.
Gründe
- I.
- Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte Unterlassungsansprüche wegen Äußerungen eines Dritten auf dem von ihr betriebenen Ärztebewertungsportal geltend gemacht. Er hat beantragt, ihr zu untersagen,
- a. Im Hinblick auf den Antragsteller zu veröffentlichen und/oder sonst zu verbreiten und/oder diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen,
- der Antragsteller habe sich während eines Hörtests mit seiner Sprechstundenhilfe unterhalten, wie nachstehend wiedergegeben:
- „Dann hat er einen Hörtest gemacht bei dem er sich mit seiner Sprechstundenhilfe unterhalten hat.“
- wenn dies geschieht wie in der am 12. Juni 2014 auf der Webseite j… .de veröffentlichten Bewertung mit der Überschrift „kein guter Arzt“;
- b. Im Hinblick auf den Antragsteller zu veröffentlichen und/oder sonst zu verbreiten und/oder diese Handlungen durch Dritte vornahmen zu lassen,
- der Antragsteller habe einen Patienten wie folgt behandelt und aufgeklärt:
- Weil ich Druck auf den Ohren hatte wurde der Blutdruck gemessen, der untere Wert war etwas hoch worauf er meinte … haben sie noch Fragen? Dann hat er einen Hörtest gemacht … und dann gemeint hat das könnte auch besser sein.
- wenn dies geschieht wie in der am 12. Juni 2014 auf der Webseite j… .de veröffentlichten Bewertung mit der Überschrift „kein guter Arzt“;
- c. Im Hinblick auf den Antragsteller im Zusammenhang mit der nachstehenden Patientenbewertung
- „kein guter Arzt
- es war eine recht kurze Untersuchung. Weil ich Druck auf den Ohren hatte wurde der Blutdruck gemessen, der untere Wert war etwas hoch worauf er meinte … haben sie noch Fragen? Dann hat er einen Hörtest gemacht bei dem er sich mit seiner Sprechstundenhilfe unterhalten hat und dann gemeint hat das könnte auch besser sein. Zum Schluss hat er mir dann empfohlen mein Halszäpfchen operieren zu lassen weil ich schnarche.“
- eine Benotung des Antragstellers durch den Patienten in den Kategorien „Behandlung“, „Vertrauensverhältnis“ und „Betreuung“ mit der Note 6 und den Kategorien „Aufklärung“ und „Genommene Zeit“ mit der Note 5 zu veröffentlichen und/oder sonst zu verbreiten und/oder diese Handlungen durch Dritte vornahmen zu lassen,
- wenn dies geschieht wie in der am 12. Juni 2014 auf der Webseite j… .de veröffentlichten Bewertung mit der Überschrift „kein guter Arzt“.
- Nach Zustellung des Verfügungsantrags verpflichtete sich die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 28.7.2014 bei Meidung einer Vertragsstrafe, es zu unterlassen, den in den obigen Anträgen wiedergegebenen Kommentartext auf der Plattform www.j… .de öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen. Daraufhin erklärten die Parteien den Rechtsstreit zunächst nur hinsichtlich der Anträge a) und b) und im Termin vom 6.8.2014 schließlich auch hinsichtlich Antrag c) in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt.
- Mit Beschluss der Einzelrichterin nach § 91 a ZPO vom 8.8.2014 wurden die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben. Gegen diesen ihm am 25.8.2014 zugestellten Beschluss hat der Verfügungskläger am 27.8.2014 sofortige Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die Kosten des Rechtsstreits der Verfügungsbeklagten aufzuerlegen. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29.9.2014 nicht abgeholfen.
- II.
- Die Beschwerde ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 91 a Abs. 2 ZPO, § 569 ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg.
- Nachdem die Parteien das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war über dessen Kosten nach § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei war in erster Linie auf den ohne die Erledigung zu erwartenden Verfahrensausgang abzustellen (Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. § 91 a Rnr. 24).
- Dieser Grundsatz führt im vorliegenden Fall dazu, dass die Verfügungsbeklagte die Kosten zu tragen hat, da der Verfügungsantrag jedenfalls bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen war.
- 1. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass es sich bei der Äußerung, der Verfügungskläger habe sich während eines Hörtests mit seiner Sprechstundenhilfe unterhalten, um eine unwahre Tatsachenbehauptung handelt, die den Kläger rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, und deren Unterlassung dieser deshalb nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG verlangen kann.
- 2. Dasselbe gilt entgegen der Ansicht des Landgerichts für die Äußerungen, die Gegenstand des Antrags b) waren.
- 2.1 Für die Beurteilung, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung einzustufen ist, bedarf es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts.
- a) Maßgeblich für die Deutung ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden, noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut auszugehen. Die Äußerung darf jedoch nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteile vom 22.09.2009 – VI ZR 19/08; vom 03.02.2009 – VI ZR 36 /07; vom 16.11.2004 – VI ZR 298/03; vom 30.01.1996 – VI ZR 386, 94; vom 28.06.1994 – VI ZR 252/93). Fern liegende Deutungen sind auszuscheiden. Ist der Sinn unter Zugrundelegung dieses Maßstabs eindeutig, ist er der weiteren Prüfung zugrunde zu legen. Zeigt sich aber, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 Rn. 31; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.05.1987 – VI ZR 195/86).
- Von einer Tatsachenbehauptung ist nach herrschender Meinung auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung entsprechend dem Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offen steht. Es kommt darauf an, ob der Durchschnittsempfänger dem Beitrag, mag er auch wertend eingekleidet sein, einen dem Beweis zugänglichen Sachverhalt entnehmen kann (Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., 2. Teil, 4. Kap. Rn. 43 m.w.N.).
- b) Im vorliegenden Fall schildert der bewertende Patient in dem streitgegenständlichen Kommentar, dass der Verfügungskläger ihm auf seine Klage über „Druck auf den Ohren“ hin den Blutdruck maß und einen Hörtest durchführte, sowie die jeweils an die Untersuchungsmaßnahme anschließenden Äußerungen des Verfügungsklägers. Dabei handelt es sich um die Schilderung eines objektiven, dem Beweis zugänglichen Geschehensablaufs. Bei der Auslegung ist weiter zu berücksichtigen, dass der Kommentar eingeleitet wird von dem Satz: „Es war eine recht kurze Untersuchung“, und die „Genommene Zeit“ mit der Note 5 bewertet wird.
- c) Der maßgebliche Leser versteht die Schilderung daher so, dass außer den beschriebenen Vorgängen keine Untersuchungen durchgeführt oder Therapieempfehlungen gegeben wurden, da gerade die Kürze der Untersuchung beanstandet und die zusammenhanglos nach dem Ergebnis des Hörtests wiedergegebene Empfehlung, das „Halszäpfchen operieren zu lassen“, als „Schluss“ des Arztbesuchs bezeichnet wird.
- Demgegenüber erscheint die von der Verfügungsbeklagten vertretene Auslegung, der Kommentator habe „nur die von ihm als relevant empfundenen Punkte“ erwähnt, fernliegend angesichts der Tatsache, dass die vorgebrachte harsche Kritik gerade auf Grund der Dürftigkeit und Zusammenhanglosigkeit der ärztlichen Maßnahmen verständlich wird, nicht aber wenn man die einzelnen geschilderten Maßnahmen nur als vom Äußernden beliebig herausgegriffene Teile eines längeren Arztbesuchs mit umfangreicheren Untersuchungen und Beratungen versteht.
- 2.2 Dass die Behauptungen des Kommentators, so verstanden, unwahr sind, hat der Verfügungskläger durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen (Anlagen A5 und 6) glaubhaft gemacht, während die Verfügungsbeklagte dagegen nichts vorgebracht hat.
- 2.3 Selbst wenn man von Mehrdeutigkeit ausginge und die Auslegung der Verfügungsbeklagten – auch – für eine naheliegende Deutungsvariante hielte, käme man zu keinem anderen Ergebnis. Zwar wären die Tatsachenbehauptungen nach dieser Auslegung wahr und verletzten den Verfügungskläger nicht rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Jedoch scheidet ein Anspruch auf zukünftige Unterlassung einer Äußerung nicht allein deshalb aus, weil sie auch eine Deutungsvariante zulässt, die zu keiner Persönlichkeitsbeeinträchtigung führt. In einem solchen Fall ist vielmehr vom Äußernden zu verlangen, sich eindeutig auszudrücken und klarzustellen, wie er seine Aussage versteht (BVerfGE 114, 339 „Stolpe“).
- 3. Der Verfügungskläger hat aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG auch einen Anspruch auf Unterlassung der auf die dargestellten Behauptungen gestützte Bewertung mit Noten, die Gegenstand des Antrags c) war.
- 3.1 Dabei handelt es sich zwar zweifelsfrei um reine Meinungsäußerungen, die in besonderem Maß den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen. Auch dafür gilt die Meinungsäußerungsfreiheit aber nicht unbeschränkt. Vielmehr ist eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Positionen der Parteien im Einzelfall geboten.
- 3.2 Danach ist die herabsetzende Bewertung, die der Verfügungskläger in dem Internet-Beitrag erfährt, rechtswidrig.
- a) Zwar handelt es sich nicht um Schmähkritik, da ersichtlich noch die Auseinandersetzung in der Sache, nämlich mit der Qualität der ärztlichen Tätigkeit des Verfügungsklägers, und nicht dessen Herabsetzung als Person im Vordergrund steht (vgl. BGH NJW 2009, 3580 m.w.N.). Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen oder mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden (BGH VersR 1986, 992; VersR 1994, 57).
- b) Der Senat hat auch berücksichtigt, dass es nicht darauf ankommt, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil „richtig“ ist. Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn andere sie für „falsch“ oder für „ungerecht“ halten (vgl. BGH NJW 2000, 3421; VersR 1986, 992; VersR 1994, 57; NJW 1978, 1797).
- c) Dennoch ist die vorliegende Meinungsäußerung rechtswidrig, weil für die getroffene Bewertung des Verfügungsklägers keinerlei tatsächliche Anknüpfungspunkte bestanden oder bestehen.
- Grundlage für die Wertung, dass die „Behandlung“, das „Vertrauensverhältnis“ und die „Betreuung“ beim Verfügungskläger die Note 6 verdienten, „Aufklärung“ und „genommene Zeit“ die Note 5, bildet nämlich die auf der Internet-Seite der Verfügungsbeklagten aufgestellte Tatsachenbehauptung, der Besuch des kommentierenden Patienten beim Verfügungskläger sei so abgelaufen wir geschildert. Diese Behauptung ist, wie oben ausgeführt, unwahr.
- Nach Auffassung des Senats kann bei der vorliegenden Konstellation, bei der ein Werturteil eine zugrunde liegende tatsächliche Feststellung von eigenständiger Bedeutung derart widerspiegelt, dass beide zusammen „stehen und fallen“, nicht nur Unterlassung der unwahren Tatsachenbehauptung, sondern auch der auf dieser beruhenden Werturteile verlangt werden. Andernfalls ergäbe sich die merkwürdige Konsequenz, dass der im Rahmen eines Bewertungsportals von einer unwahren Tatsachenbehauptung Betroffene zwar die Behauptung als solche angreifen könnte, aber nicht die eine unwahre Tatsachenbehauptung widerspiegelnde und wiederholende Bewertung (vgl. Senat, Urteile vom 9.9.2014 – 18 U 516/14 – und vom 5.2.2013 – 18 U 3915/12). Der vorliegende Fall unterscheidet sich von demjenigen, der der von der Verfügungsbeklagten zitierten „Spick-mich“-Entscheidung des BGH (Urteil vom 23.6.2009 – VI ZR 196/08) zugrundelag, gerade darin, dass von den Nutzern der dortigen Internetseite nur Wertungen und keine Tatsachenbehauptungen eingestellt wurden.
- d) Auf Seiten des Verfügungsklägers fällt ins Gewicht, dass die Bewertung nicht nur geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit herabzusetzen, sondern auch seine berufliche Wettbewerbsfähigkeit und damit letztlich seine finanzielle Existenz erheblich zu gefährden.
- 4. Nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien kann die Beklagte für die das Persönlichkeitsrecht verletzenden Äußerungen auf der von ihr betriebenen Seite unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung in Anspruch genommen werden (vgl. BGH AfP 2012, 50 m.w.N.). Sie hat zwar nach dem Hinweis des Verfügungsklägers auf die Rechtsverletzung die Beanstandung an den für den Beitrag Verantwortlichen weitergeleitet, der die Berechtigung der Beanstandung soweit ersichtlich in Abrede gestellt hat (Anlage 9). Daraufhin hat die Verfügungsbeklagte aber nicht nur von sich aus keine Nachweise vom Verfügungskläger verlangt, sondern auch die von diesem mit Anwaltsschreiben vom 3.7.2014 übersandte Sachverhaltsschilderung der Zeugin S. (Anlagen 10 und 11) nicht zum Anlass genommen, den Beitrag von ihrer Seite zu entfernen. Dies wäre geboten gewesen, da die Wahrheit der darin enthaltenen ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen ersichtlich nicht nachgewiesen war. Vielmehr hat die Verfügungsbeklagte mit Mail vom 4.7.2014 (Anlage 12) bestätigt, dass die Sachverhaltsdarstellung der Zeugin mit der in der „Rückmeldung der Patientin“ enthaltenen übereinstimmt und sich lediglich auf eine abweichende Interpretation der Darstellung berufen.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
- Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3ZPO.