Eva Engelken

Unternehmenskommunikation & Legal PR
41061, Mönchengladbach
15.02.2012

Anwälte und die Schönheit der denglischen Sprache

Für Sprachpuristen und Reinheitsfanatiker führt der Gebrauch von denglisch geradewegs in den Abgrund. Seit Jahrzehnten errichten sie daher fette Warnschilder, um ihre Mitmenschen vor dem Sturz in den Canyon der babylonischen Sprachverwirrung zu bewahren.

Alles vergeblich. Nicht einmal, wenn der Sprachpapst persönlich – auch Wolf Schneider genannt -, appelliert: „Speak German!“, hören die Deutschen hin. Selbst dann nicht, wenn auf dem gleichnamigen Buch ein Aufkleber (kein Sticker) pappt, auf dem Verkaufsschlager statt Bestseller steht.

Denglisch: des Anwalts liebstes Hobby

Geradezu taub gegenüber Warnungen vor dem übermäßigen Denglisch-Gebrauch sind deutsche Wirtschaftsanwälte.

Es ist durchaus möglich, dass solche Anwälte oder Anwältinnen gar kein Deutsch mehr sprechen können, es vielleicht verlernt haben. Websites wie etwa die von deweyleboeuf.com lassen nicht erkennen, ob die Berater in der sogenannten DACH–Region, also in Deutschland, Österreich und Schweiz, des Deutschen noch mächtig sind. Oder gar des Esterrräichischen oder dös Schwyzerdütschs.

Möglich ist aber auch, dass diese Anwälte und Anwältinnen gar nicht mehr deutsch sprechen dürfen. Vielleicht ist die gängige Formulierung in Stellenanzeigen – „wir erwarten verhandlungssicheres Englisch“ – in Wahrheit eine getarnte Warnung: „Ersetzen Sie ab sofort die Hälfte Ihres Wortschatzes durch englische Ausdrücke, sonst können Sie sich Ihren Jahresbonus in die Haare schmieren!“

Aber warum sollten Kanzleien derartige Sprachkodizes aufstellen? Hat eine in Deutschland tätige Sozietät einen Vorteil davon, wenn sie so spricht und schreibt, dass deutsche Muttersprachler nur die Hälfte verstehen? Und dass English Native-Speaker sich fragen müssen, was die Deutschen ihnen mit dem jeweiligen Wort eigentlich sagen wollen? Man denke nur an einen Begriff wie Public Viewing. Das meint auf Englisch eigentlich Leichenschau, wurde in Deutschland jedoch kreativ zweckentfremdet, um gemeinsames Fußballgucken auf Großleinwänden zu bezeichnen. Oder an englisch-deutsche Slogans, die weniger doppelt gut als doppelt dämlich sind, so wie der neue von Schlecker „for you, vor Ort“.

Biblische Namensgebung

Ein guter Grund, englische Begriffe zu verwenden, ist ihre Präzision. Viele häufig genutzte englische Begriffe geben Dingen im biblischen Sinne erstmals einen Namen. Ein Airbag ist etwas Neues und anderes als ein Luftkissen (@lieber Verein der Deutschen Sprache). Von einem guten Computer zu sprechen, ist eindeutiger, als von einem guten Rechner zu sprechen. Letzterer kann nämlich auch mit einem Schulranzen auf dem Rücken zur Grundschule marschieren und Kevin heißen.

Das ist in der Welt der Hochreck-Juristerei nicht anders. Dept Equity Swap ist der Name eines Sanierungsinstruments mit Hedgefonds-Beteiligung, also so etwas wie ein Rettungsboot von Heuschrecken. Die deutsche Bezeichnung „Gläubigerbeteiligung“ ist reichlich allgemein. Und der Begriff Associate, der selbst die Duden-Rechtschreibprüfung verwirrt, ist nicht ein verzichtbares Stück Denglisch, sondern die etablierte Bezeichnung des angestellten Anwalts respektive der Anwältin auf der Karriere-Eingangsstufe.

Sprachliches Reinheitsgebot? Sprache ist kein Bier

Diesen Zweck der Namensklarheit sollten sich jene zu Gemüte führen, die im Jahre 2012 pedantisch das sprachliche Reinheitsgebot verteidigen. Sie übersehen, dass es – anders als beim deutschen Bier – nie einen Status der sprachlichen Reinheit gab. Es gab immer nur einen Zustand der kreativen Zweckentfremdung und Weiterentwicklung der Sprache. Unsere schöne deutsche Sprache hat die unglaubliche Fähigkeit, sich Dinge anzueignen und dadurch besser zu werden. Das verbindet sie mit deutschen Industriemanagern und Erfindern, die sich auch seit jeher Dinge abgucken und etwas Besseres draus machen – wie seinerzeit schon Alfred Krupp, der aus England das Geheimnis der Stahlproduktion mitbrachte.

Nein, liebe Sprachpuristen, es ist keine Kapitulation vor der denglischen Invasion, wenn deutsche Kinder zu ihren elektronischen Mittelgroßrechenmaschinen „Computer“ sagen und die Tätigkeiten, mit denen sie sich vorm Hausaufgabenmachen drücken, als twittern, guugeln, tschätten, ssörfen oder skeipen bezeichnen. Wenn das Kind zu seiner Mutter sagt: „Mama, sorry, ich habe getschättet, anstatt mein Referat vorzubereiten“, kapituliert es nicht, es schöpft Sprache.

“Chinismen” oder Anglizismen?

Im Grunde führen die angeblich so neuartigen Begriffe des Big Business nur back to the roots. Die Wurzeln der deutschen Sprache sind das Latein. Learnings und Meetings und Chief Executive Officers – alles denglische Wörter lateinischen Ursprungs. Auch die Projektierung, die Strukturierung, die Anleiheemission, der Konsortialkredit und die Restrukturierung kommen aus dem Lateinischen und fühlen sich hierzulande sehr wohl.
Ein weiterer Grund, weshalb englisch klingende Begriffe hierzulande Erfolg haben, ist ist cooler Klang in westlich geprägten Ohren. Daran ist nichts auszusetzen. Ein wenig Denglisch-Tuning wirkt wie frischer Frühlingswind. Und wer weiß, wie lange noch? Womöglich hat China in 20 Jahren Amerika als sprachlicher Influencer verdrängt. Angesichts all der „Chinismen“ in unserer Sprache werden die Sprachpuristen dann dem guten alten Denglisch hinterweinen. Ach, was waren das für Zeiten, als es in deutschen Märchen noch hieß: „Heinrich, der Airbag platzt.“

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