Im heutigen Sprachtipp für JuristInnen geht es um die Frage, welche Vorteile die mündliche Ausdrucksweise hat.
“Schreibe, wie du sprichst!“
Sagt Ludwig Reiners, der Stilkritiker. Sich beim Schreiben an der mündlichen Ausdrucksweise zu orientieren, empfehlen auch auch Wolf Schneider oder Helmut Schmidts Redenschreiber Thilo von Trotha. Der Grund dafür dürfte sein, wie Ludwig Reiners mutmaßt, dass „ein Gespräch lebendiger ist als ein Buch“. Im Gespräch macht der Redner Pausen, er holt Atem und er guckt sein Gegenüber an, ob es ihn verstanden hat. Laut Ludwig Reiners bevorzugt die gesprochene Sprache den:
„bestimmten und entschiedenen Ausdruck statt des allgemeinen und unentschiedenen, den anschaulichen statt des abstrakten; sie stellt die Wörter nicht nach Regeln, sondern nach Gewicht; sie baut kurz beigeordnete Sätze, keine langen, verschachtelten; sie legt die entscheidende Mitteilung ins Zeitwort, nicht ins Hauptwort.“
All diese Merkmale führen dazu, dass der Text lebt – beiim Zuhörer wird das Kopfkino angeworfen, er fühlt sich persönlich angesprochen und kann sich leichter eine eigene Meinung bilden.
Ein guter Redner liest seinen Vortrag nicht ab
Eigentlich sollte eine Rede ebenfalls die Regeln der mündlichkeiten Ausdruckweise beherzigen. Doch jeder, der schon mal gähnend in einem von Juristen gehaltenen Seminar saß, weiß, wie viele VortragsrednerInnen ihre Zuhörer vergessen haben. So wie mein Zivilrechtsprofessor, der nuschelnd und leiernd auf der Hörsaalbühne hin und her tigerte und höchstens aufsah, wenn er sich mit den Beinen im Mikrofonkabel verheddert hatte. Sie trauen sich nicht, frei zu reden, sondern lesen einfach ihren Vortragstext ab.
Das ist das Problem. Denn beim Schreiben lieben JuristInnen es:
- Sich unentschieden auszudrücken: „…wird die Zukunft zeigen“, „bleibt abzuwarten“
- Abstrakte Wörter zu benutzen: „Mit der Ausführung der Tat zu beginnen“.
- Sätze nach allen Regeln der Kunst verschachteln: „Erst am 18. September 2012 und damit nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO hat der Beschwerdeführer die rechtzeitig eingelegte Revision gegen das ihm am 17. August 2012 zugestellte Urteil begründet.“
Die juristische Rhetorik sollte sich am Mündlichen orientieren
Natürlich gibt es gute Gründe, warum JuristInnen so schreiben, wie sie schreiben. Doch wann immer möglich, sollten sie sich in ihren Texten um mehr „Mündlichkeit“ bemühen.
Sagt übrigens schon Fritjof Haft:
„Fast alle juristischen Überlegungen würden besser mündlich angestellt, und zwar im dialogischen Verfahren, weil hier Verständlichkeit, Trefflichkeit und Qualität der Argumente sofort in das Verfahren rückgekoppelt werden können.“
Natürlich weiß auch Haft, dass der Juristen- bzw. Anwaltsalltag stark von der Schriftproduktion geprägt ist. Aber er erinnert daran, dass die Anwaltstätigkeit im Kern der mit den Mitteln der Sprache geführte Kampf ums Recht ist. Die juristischen Rhetorik ist „eine rhetorische Methode, um das Chaos sozialer Konflikte zu bewältigen.“
Und Rhetorik wiederum hat die Aufgabe zu:
- docere et probare (belehren, argumentieren)
- conciliare et delectare (gewinnen, erfreuen)
- flectere et movere (rühren, bewegen).
Sagt sogar schon Aristoteles. Heißt für die juristische Textproduktion: Juristische Sprache – ob geschrieben oder gesprochen – soll nicht einschläfern, sondern bewegen. Damit das gelingt, sollten JuristInnen sich lebendig ausdrücken. Im Idealfall also schreiben, wie sie sprechen.
Mehr Tipps in Klartext für Anwälte, in der Stilfibel von Ludwig Reiners und in den Klartext-Seminaren.