Dr. Sebastian Kraska

80331, München
19.10.2011

Datenschutzrecht: Das Phänomen der Blindmeldung

Der Begriff „Blindmeldungen“ beschreibt organisatorische Vorkehrungen innerhalb einer verantwortlichen Stelle, die eine automatische Übermittlung personenbezogener Daten an Dritte außerhalb von Vertragsabwicklungszwecken vorsehen. Diese häufig vor dem Hintergrund eines Kosten- und Effizienzdrucks veranlassten Verarbeitungen sind nach vielfach vertretener Ansicht rechtswidrig, selbst wenn bei nachträglich erfolgender Betrachtung ein Erlaubnistatbestand (z. B. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG) ursprünglich erfüllt gewesen wäre.

Rechtstatsachen

Datenschutzrechtlich verantwortliche Stellen, sowohl in öffentlich als auch in privater Hand, leiden gleichsam an einem starken Kosten- und Effizienzdruck. Daher greifen sie, gerade wenn es um die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten geht, zu dem Mittel der Automatisierung. Sie legen fest, dass wenn die Voraussetzung A erfüllt ist, die Daten B übermittelt werden. Ein Beispiel: Das Mobilfunkunternehmen M sieht vor, dass alle Verträge, die wegen fehlender Zahlungseingänge gekündigt werden, automatisch als offene Forderung an eine Auskunftei gemeldet werden (vgl. AG Potsdam, Urt. v. 03.06.2005, Az. 22 C 30/05, zu finden bei S. Gärtner, Harte Negativmerkmale auf dem Prüfstand des Datenschutzrechts, Verlag Dr. Kovac, 2011, S. 161). Es darf daher von einer Blindmeldung gesprochen werden, denn die Daten werden „blind“ und somit ohne Ansehung des Einzelfalls übermittelt.

Rechtsprechung zu den Blindmeldungen

Nach BDSG sind Blindmeldungen jedenfalls dann rechtswidrig, wenn hierbei Daten automatisch übermittelt werden, ohne dass dies zur Begründung, Durchführung oder Beendigung eines rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses erforderlich wäre; mithin wenn die Übermittlung keinen Abwicklungszwecken dient. Dies hat dann zur Folge, dass die hierdurch ausgelöste Datenübermittlung insgesamt rechtswidrig ist. Etwa hat sich das OLG Düsseldorf (vgl. MDR 2007, 836-837) einer Entscheidung des Amtsgerichts Potsdam (AG Potsdam, Urt. v. 3.6.2005, Az. 22 C 30/05) angeschlossen, in der es heißt: „Nach Auffassung des Gerichts führt bereits allein die fehlende Abwägung dazu, dass der Anspruch der Klägerin [Anm.: auf Widerruf der übermittelten Daten] begründet ist.“

Dogmatischer Hintergrund („Ermessensausfall“)

Hintergrund ist, dass eine Datenübermittlung, die nicht Abwicklungszwecken dient, in der Regel nur unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG gerechtfertigt ist, was erfordert, dass eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Abwägung ergibt, dass die Offenbarungsinteressen der verantwortlichen Stelle oder Dritter die Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen überwiegen. Unterlässt die verantwortliche Stelle diese Abwägung und will sich dann auf § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG berufen, ist dies nicht möglich, mit der Folge der Rechtswidrigkeit nach § 4 Abs. 1 BDSG. Treffenderweise spricht das AG Potsdam in seiner Entscheidung von einem „Ermessensausfall“.

Dolo agit – Einrede (vgl. hier zum Begriff)?

Gelegentlich wird vorgebtracht, dass Blindmeldungen zwar zur Rechtswidrigkeit der hierauf fußenden Datenübermittlung führten. Ergäbe aber eine nachträgliche Abwägung die Verhältnismäßigkeit der Übermittlung (i.S.v. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG), so dürfe nicht deren Rückgängigmachung verlangt werden, da sie ohnehin gleich danach wieder erfolgen dürfe. Diesem Ansatz sind das AG Potsdam und auch das OLG Düsseldorf entgegengetreten, indem sie ausführten, dass „allein“ das Unterlassen der Abwägung (Blindmeldung) zur Rechtswidrigkeit führe und somit eine ex post – Abwägung ausscheide.

Überdies führte ein solcher Rechtssatz zur Bedeutungslosigkeit der Blindmeldungs-Rechtsprechung. Denn ergäbe die nachträgliche Abwägung die Unverhältnismäßigkeit der Übermittlung, brauchte es den Blindmeldungseinwand auch nicht mehr. Führte die Abwägung zur Verhältnismäßigkeit, wäre der Blindmeldungseinwand stets unbeachtlich. Letztlich verkennt dieser Ansatz zudem, dass die dolo-agit-Einrede aus den Grundsätzen von Treu und Glauben gewonnen wird. Eine verantwortliche Stelle, die allein aus Gründen des Kostendrucks eine zwingende Abwägung unterlässt, darf sich selbst nicht auf § 242 BGB berufen.

Beweisbarkeit

Ein weiteres Problem der Praxis lautet: Selbst wenn eine Übermittlung blind erfolgt ist, kann der Betroffene dies in der Auseinandersetzung mit der verantwortlichen Stelle selten darlegen und beweisen. Denn die Abwägungsvorgänge sind für ihn völlig intransparent. Basierend auf der BGH-Rechtsprechung zu unüberwindbaren Beweisschwierigkeiten (BGH NJW 1969, 269) plädiert das Schrifttum für eine Beweislastumkehr.

Fazit

Blindmeldungen stellen sich als wirtschaftlich relevantes Problem dar. Unternehmen fühlen sich häufig aus Kosten- und Effizienzdruck zur Automatisierung von Datenübermittlungen gezwungen (z. B. Auskunfteien beim Negativeintrag). Zwar verneint die Rechtsprechung in der Regel die Vereinbarkeit derartiger Automatisierungsvorgänge mit dem Datenschutzrecht (Blindmeldungsrechtsprechung). Gleichwohl bleiben in der Praxis viele Rechtsfragen (dolo agit, Beweisbarkeit) offen, die es noch zu lösen gilt.

Autor:

Rechtsanwalt Dr. Stephan Gärtner

Kontakt:

Rechtsanwalt Dr. Sebastian Kraska, externer Datenschutzbeauftragter

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