Rechtsanwalt Dr. Hannes Hartung

THEMIS Hartung & Partner
80333, München
Rechtsgebiete
Erbrecht Urheberrecht und Medienrecht Steuerrecht
13.09.2018

Beitrag in DIE WELT: Schließt das Kapitel Gurlitt!

Am 3. November eröffnen die Bundeskunsthalle in Bonn und das Kunstmuseum in Bern die Ausstellungen „Bestandsaufnahme Gurlitt“. Es sollen Blockbuster werden, welche auch ein Publikum begeistern können, das sich weniger für Kunst, aber doch vielmehr für Geschichte und Geschichten interessieren. Nach dem Willen des Bundes und der Aussteller sollen Werke gezeigt werden, welche angeblich noch immer unter Raubkunstverdacht stehen. 

Doch jetzt einmal zu den harten Fakten: Noch zu Lebzeiten von Cornelius Gurlitt habe ich als sein Anwalt gesagt, dass nur ganz wenige Werke verfolgungsbedingt entzogen wurden und so als Raubkunst gelten können. Dies hat die sogenannte „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ bestätigt und gerade einmal fünf Werke belastbar und nachweislich als Raubkunst identifiziert. Nur bei zwei weiteren Werken konnte danach noch ein Raubkunstverdacht bestätigt werden.

 

Anstatt dieses unglückliche Kapitel ein für alle Mal zu schließen, diffamiert die Bundeskunsthalle die hervorragende Sammlung von Cornelius Gurlitt mit dieser Ausstellung erneut als Raubkunstsammlung. Man lege den Fokus auf den Kunstraub des Nationalsozialismus und die Folgen. Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), wollte mit dieser Ausstellung noch nach Anspruchstellern suchen. Doch es ist stark zu bezweifeln, dass sich nach drei Jahren noch jemand melden wird, um weitere Ansprüche zu stellen.  Der „Schwabinger Kunstfund“ ist seit drei Jahren weltweit bekannt und alle vermeintlich ungeklärten Werke sind seit Ende 2013 im Internet veröffentlicht. So mutet die Ausstellung in Bonn wie eine wenig wissenschaftliche Raubkunstpropaganda an, mit der Besucher geködert werden sollen.

 

Doch was hat Deutschland aus dem Fall Gurlitt wirklich gelernt? Es wurden dank dem „Schwabinger Kunstfund“ bundesweit mehr Gelder für die wichtige Provenienzforschung zur Verfügung gestellt, und die bestehenden Institutionen wurden zur Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste zusammengefasst und aufpoliert. Dennoch beklagen sich namhafte Institutionen wie das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, dass wichtige Forschungsprojekte gerade nicht gefördert werden.

 

Aber es kommt noch viel schlimmer: Eigentlich ist die Raubkunstproblematik der Politik seit 2002 bekannt. Damals hat der Bundesrat den Gesetzgeber dazu aufgerufen, im Hinblick auf das große Problem der Verjährungsfristen für Herausgabeansprüche aus Eigentum von nur 30 Jahren, welche bereits mit dem Kunstraub beginnen, Sonderregeln für die Raubkunst zu finden. Eigentlich herrscht ein breiter Konsens, dass es bei einem Kunstraub an einem im Holocaust ermordeten Juden keine Verjährung geben darf. Die Bestrafung eines Mordes selbst verjährt nie. Passiert ist bis heute aber überhaupt nichts. Der Freistaat Bayern hat, auch aus taktischen und politischen Gründen zum Zeitpunkt als der Justizskandal aufkam, hastig einen Gesetzesentwurf („Lex Gurlitt“) vorgelegt, der mittlerweile nicht weiterverfolgt wird. Ein interner Referentenentwurf des Bundes mit einer millionenschweren Entschädigungskonstruktion für gegenwärtige Besitzer wurde erneut in die Schubladen verbannt. Der Webfehler dieses Entwurfes liegt schon darin, dass der Bund alle Rückgaben entschädigen soll. Mit der Ausrede einer mangelnden Finanzierbarkeit versucht man so, sich des Problems zu entledigen. 

 

Dabei geht es wirklich doch darum, schweres Unrecht auch nach 70 Jahren noch wiedergutzumachen. Es ist unerträglich, wenn Raubkunst des Nationalsozialismus von Opfern des Holocausts noch immer nicht an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben wird. Vor Gericht haben sie derzeit insbesondere wegen der Verjährung keine Chance. Dies musste auch jüngst der Erbe des jüdischen Textilunternehmers Robert Graetz, der von den Nationalsozialisten umgebracht und dessen Sammlung versteigert wurde, vor dem Landgericht Frankfurt erfahren. Das Gericht nahm hier eine Verjährung an, obwohl die Familie des gegenwärtigen Besitzers ein schönes Blumenbild von Max Pechstein bereits 1942 und ganz offensichtlich nicht gutgläubig erworben hat. Will Deutschland also nicht nur Lippenbekenntnisse abgeben, muss sich auch rechtlich endlich etwas ändern und es Anspruchstellern ermöglichen, ihre Ansprüche unbeschadet einer Verjährung gerichtlich geltend zu machen. 

 

Die Dramatik und Tragik der Fälle gebieten eine unabhängige staatliche und richterliche Kontrolle. Um unlauter an hohe Entschädigungen zu kommen, wird nämlich zu oft versucht, mit falschen Behauptungen Raubkunstfälle zu konstruieren, wo keine sind. Hierbei bedient man sich gerne des Verlustregisters „Lost Art“ in Magdeburg, das in vielen Fällen trotz klarer Beweise gegen Raubkunst unberechtigte Anspruche registriert hält.

 

Ja, die Fälle sind komplex und alles andere als eindeutig. Deshalb muss man sich aber für ihre Aufarbeitung aller denkbaren tatsächlichen und juristischen Mittel bedienen, sei es in der Provenienzforschung oder aber auch der Möglichkeit, Herausgabeansprüche gerichtlich unbeschadet der Verjährung geltend machen zu können. Die erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken einer echten Rückwirkung in eine bereits eingetretene Verjährung greifen bei echten Raubkunstfällen, in welchem die Wegnahme eines Kunstwerks eng mit der Verfolgung oder Ermordung seines Eigentümers in Verbindung stehen, nicht.  Deutschland hat aus dem Fall Gurlitt also bisher nicht wirklich gelernt.

 

In London trafen sich am 12. September alle Staaten, welche sich mit Raubkunst beschäftigen. Man war beeindruckt, wie viele Fälle in Holland, Österreich und Frankreich bereits vor den staatlichen Schiedskommissionen behandelt wurden. Im Schnitt waren es pro benachbartem Staat über 270 Fälle. Die Limbach-Kommission in Deutschland hat seit 2003 bis heute gerade einmal 15 Fälle behandelt und für diese Empfehlungen ausgesprochen. Tatsächlich kann sie nicht vernünftig arbeiten, solange sie von der Zustimmung des Inanspruchgenommenen abhängig ist. Es wäre wünschenswert, wenn die Limbach-Kommission künftig auch ohne diese Zustimmung den Fall untersuchen und eine Empfehlung aussprechen könnte. Nur so kann sie wirklich wirken.

Mit dem im August 2016 eingeführten, neuen Kulturgutschutzgesetz erlebt man darüber hinaus noch einen einzigartigen Übergriff deutscher Behörden auf privates Kunsteigentum. Unter dem Deckmantel national wertvollen Eigentums wurde hier eine engmaschige Kontrolle des privaten Kunstbesitzes eingeführt. Versucht man einst abhandengekommene Kulturgüter wie etwa Raubkunst zu verkaufen, welche nach deutschem Recht längst ihren Eigentümer gewechselt haben, gilt man nach diesem neuen Gesetz wie ein Hehler oder Stehler.

 

Die von den Ausstellungen postulierte Bestandsaufnahme für Raubkunst in Deutschland ist daher alles andere als positiv. Ein faires und transparentes Raubkunstgesetz mit klaren Kriterien zur Festlegung eines verfolgungsbedingten Entzuges würde es allen schwer machen, welche mit plakativen Behauptungen versuchen, vom gegenwärtigen Eigentümer Gelder unlauter und mit moralischen Vorhaltungen Entschädigungen zu erhalten. Im Gegenzug bekommen Anspruchsteller Recht und Gerechtigkeit, wenn sie legitime Erben von Raubkunst sind.

 

Es ist noch nicht zu spät. Es ist höchste Zeit, das Problem bei der Wurzel zu packen und nicht durch kosmetische Maßnahmen die Symptomatik schön zu reden. Wir sind es den Opfern und ihren Erben schuldig.