Rechtsanwältin Christine Bonke-Heseler

recht.flott. UG (haftungsbeschränkt)
22765, Hamburg
Rechtsgebiete
Recht der freien Berufe
26.02.2013

Unzulässiges Schreiben an geschädigte Kapitalanleger

Unaufgeforderte, nicht vom Rechtsuchenden selbst eingeforderte Schreiben an geschädigte Kapitalanleger, sind nicht per se unzulässig; vielmehr hängt es von einer Beurteilung im Einzelfall ab, ob eine unzulässige gezielte Einflussnahme vorliegt oder doch eine lauterkeitsrechtlich unbedenkliche Publikumswerbung angenommen werden kann. Dies hat das OLG Köln am 16.05.2012 entschieden (Az.: 6 U 129/11).

Das OLG hält es für unzulässig, wenn geschädigte Kapitalanleger durch persönlich adressierte Schreiben von einer Verbraucherschutzorganisation zur Anforderung kostenloser und unverbindlicher anwaltlicher Informationen veranlasst werden, wenn eine enge Zusammenarbeit zwischen diesem Verein und einer Rechtsanwaltskanzlei besteht und diese nicht offengelegt wird. In solchem Fall umgeht die Kanzlei das Verbot der anwaltlichen Direktwerbung um Einzelmandate, indem sie sich der Verbraucherschutzorganisation bedienen.


Sachverhalt
Die Parteien sind bundesweit um Mandanten werbende RAe, die mit dem vom Bekl. zu 1) gegründeten und bis Ende 2010 geleiteten Verein kooperiert. Im Frühjahr 2009 wurden mehrere Gläubiger einer insolventen GmbH vom Verein angeschrieben. In diesen Schreiben wurden ihnen u.a. übersandt: mit einem Antwortformular anzufordernde kostenlose Informationen eines Verein-Vertrauensanwalts über den möglichen Erhalt der gesamten gesetzlich bestimmten Entschädigung von der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW). Nach Rücksendung des ausgefüllten Formulars erhielten sie vom weiteren Bekl. zu 2.) unterzeichnete Schreiben nebst Vollmachtformular, Entwurf einer Honorar-Vereinbarung und weiteren Unterlagen. Die Schreiben hatten folgende Inhalte:

Schreiben 1
Sehr geehrte Eheleute H.,
es ist anzunehmen, dass auch Sie sich zu Ihrer P-Beteiligung entschlossen haben, weil Ihnen versprochen worden war, dass Ihre P-Beteiligung von der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) i.H.v. 90 % und maximal 20 000 Euro in jedem Falle abgesichert sei. Wie Sie zwischenzeitlich feststellen mussten, wurde dieses vollmundige Versprechen Ihnen gegenüber nicht eingehalten. (...) Denn es besteht in allen drei oben genannten Fällen die Möglichkeit, erfolgreich gegen die EdW vorzugehen und das eigene Recht durchsetzen zu lassen. (...) Wenn Sie es wünschen, werden unsere DVS-Vertrauensanwälte auch Ihnen - für Sie selbstverständlich kostenfrei und unverbindlich - einen Weg aufzeigen, wie Sie die gesamte gesetzlich bestimmte EdW-Entschädigung erhalten können. Darüber hinaus würden wir uns freuen, wenn auch Sie sich dazu entschließen, eine Petition beim Deutschen Bundestag in Sachen P einreichen zu lassen. Denn Ihre Stimme zählt und bekanntlich gilt das Sprichwort "Steter Tropfen höhlt den Stein". Die für die Einreichung einer Petition anfallenden Kosten werden von uns übernommen. Wenn Sie weitere Informationen darüber wünschen, welchen Weg die erfolgreichen P-Anleger (siehe Anlage 2) gewählt haben, um die gesamte gesetzlich vorgesehene Entschädigungsleistung von der EdW zu erhalten und wir auch für Sie eine Petition beim Deutschen Bundestag einreichen lassen sollen, so senden Sie hierfür einfach das beigefügte Petitionsformular ausgefüllt bis zum ... an uns zurück. (...)

Schreiben 2
Betreff: P Kapitaldienst GmbH - versprochen und ... gehalten!
Ihre EdW Entschädigungsansprüche sind vor Verjährung gesichert.
Vollständige EdW - Entschädigung kann für Sie erzwungen werden!
Sehr geehrter Herr T.,
der DVS - Deutscher Verbraucherschutzring e.V. hat mir mitgeteilt, dass ich Ihnen die wichtigsten aktuellen Informationen in Sachen P Kapitaldienst Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) mitteilen soll, und insbesondere darauf eingehen soll, welche Möglichkeiten bestehen Ihre Entschädigungsansprüche durchzusetzen. Meine nachfolgenden Ausführungen werden Ihnen einen Weg aufzeigen, wie Sie Ihre vollständige Entschädigungsleistung von der EdW erhalten könnten. (...) Wenn auch Sie sich entschließen, Ihre vollständige Entschädigungsleistung von der EdW einzufordern und meiner Auffassung nach insoweit den Weg der erfolgreichen P-Anleger beschreiten wollen, senden Sie hierfür die beigefügte Honorarvereinbarung für das außergerichtliche Erzwingungsverfahren, die Vollmacht und das Formular der Anwaltlichen Verrechnungsstelle unterschrieben, vorab per Fax (soweit vorhanden) und anschließend im Original an mich zurück. Nach Erhalt der Unterlagen werde ich auch für Sie unverzüglich wie oben dargelegt verfahren. (...)


Vorwurf der rechtswidrigen Werbung um Mandate im Einzelfall
Die Kl. werfen den Bekl. eine rechtswidrige Werbung um Mandate im Einzelfall vor. Sie haben die Behauptung aufgestellt, der Bekl. zu 1.) habe sich als Gläubigervertreter im Insolvenzverfahren die Adressen der vom Verein angeschriebenen weiteren P GmbH-Anleger verschafft, die sodann über die angeforderte kostenlose Erstberatung durch den Bekl. zu 2.) konkret akquiriert worden seien. Mit ihrer Klage haben sie zunächst beantragt, den Bekl. bei Vermeidung von Ordnungsgeld zu untersagen, in ihrer Mandatswerbung so tätig zu werden, wie sich das aus den unter ihrem Briefkopf versandten Schreiben ergibt. Das LG hat die Bekl. zur Unterlassung verurteilt. Das OLG hat entschieden, dass die zulässige Berufung in der Sache ohne Erfolg bleibt. Den Kl. stehe der vom LG bejahte Unterlassungsanspruch aus § 3, § 4 Nr. 11, § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 43b BRAO, § 6 BORA zu (den sie zweitinstanzlich in redaktionell modifizierter, im Kern jedoch unveränderter Form weiterverfolgen).

OLG Köln: Klage ist begründet, aber es kommt bei unaufgeforderten Schreiben immer auf den Einzelfall an
Das OLG Köln sieht die Klage auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts und des eigenen Vorbringens der Bekl. als begründet an. Denn die Beklagten haben i.S.v. § 6 Abs. 3 BORA an einer werblichen Ansprache einzelner geschädigter Kapitalanleger durch den Verein mitgewirkt, die ihnen selbst gem. § 43b BRAO i.V.m. § 6 Abs. 1 und 2 BORA verboten ist. Darin liege ein Verstoß gegen verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonforme Marktverhaltensregeln des anwaltlichen Berufsrechts i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG. Bleibt es mithin regelmäßig dem Anwalt überlassen, wie er sich vor der interessierten Öffentlichkeit darstellt, so dürfe er durch sein Werbeverhalten nicht das Vertrauen der Rechtsuchenden in die vor allem seinen Interessen wahrende anwaltliche Tätigkeit untergraben und die Wahlfreiheit der Umworbenen gefährden. Dies könne durch ein aufdringlich wirkendes Ausnutzen eines konkreten Beratungsbedarfs geschehen bzw. dadurch, dass der Rechtssuchende sich in der aktuellen Situation möglicherweise nicht mehr unvoreingenommen für einen anwaltlichen Berater oder Vertreter entscheiden kann und durch das Werbeverhalten bedrängt, genötigt oder überrumpelt wird. Bei unaufgeforderten, nicht vom Rechtsuchenden selbst erbetenen Schreiben an geschädigte Kapitalanleger hängt es von einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab, ob eine lauterkeitsrechtlich unbedenkliche Publikumswerbung oder eine unzulässige gezielte Einflussnahme vorliegt, so das OLG.
 
Zusammenarbeit mit Verein und Bekl. wurde nicht offengelegt
Bei Würdigung aller Umstände falle hier entscheidend ins Gewicht, dass geschädigte Kapitalanleger zuvor durch namentlich adressierte Schreiben des Verein zur Anforderung kostenloser und unverbindlicher anwaltlicher Informationen veranlasst werden, ohne dass die bestehende enge Zusammenarbeit zwischen dem "Verein " und den Bekl. offengelegt wird. Außerdem werde den Adressaten der Schreiben – bei denen es sich um bisher noch nicht von den Bekl. vertretenen P GmbH-Anlegern handelt- suggeriert, dass sie von einer als Verein organisierten Verbraucherschutzorganisation vor allem deshalb angesprochen worden seien, um einer massenhaften Petition an den Deutschen Bundestag politisch zum Erfolg zu verhelfen. Durch den Aufbau des Schreibens und des Antwortformulars sieht das Gericht ausschlaggebende Tatsachen als verschleiert bzw. als gänzlich nicht erkennbar an: Zum einen, dass sie mit einer Antwort ihr konkretes rechtliches Beratungsbedürfnis zum Ausdruck bringen und bei Ankreuzen der entsprechenden Rubrik außer um Weiterleitung der Petition um die Erstberatung durch einen "Verein-Vertrauensanwalt" bitten. Des Weiteren, dass hinter dem Schreiben des Verein in Wirklichkeit die Bekl. stehen. Das damit erkennbar verfolgte Ziel, neben den schon von ihnen vertretenen P GmbH-Anlegern weitere namentlich bekannte Geschädigte zur Erteilung eines konkreten Mandats zu veranlassen. rechtfertige die Annahme des vom LG somit zu Recht bejahten Verstoßes gegen § 43b BRAO i.V.m. § 6 BORA, so das OLG Köln. Die Verantwortlichkeit der Bekl. für das unter ihrer Mitwirkung an namentlich bekannte P GmbH-Anleger gerichtete Schreiben des Verein steht zur Überzeugung des Senats fest. Die Bekl. haben sich laut Gericht des Vereins zur Umgehung des Verbots der anwaltlichen Direktwerbung um Einzelmandate bedient.