Rechtsanwältin Christine Bonke-Heseler

recht.flott. UG (haftungsbeschränkt)
22765, Hamburg
Rechtsgebiete
Recht der freien Berufe
16.07.2012

Rechtsanwältin darf mit "Experten-Kanzlei Scheidung“ werben

Von einem Rechtsanwalt, der in einer "Experten-Kanzlei" tätig ist, erwartet der Verkehr keine Qualifikation, die über die Anforderungen an einen Fachanwalt hinausgehen. Wer auf dem betreffenden Gebiet über 600 Mandate betreut hat, darf sich „Experte“ nennen. Dies hat das KG am 27.01.2012, 5 U 191/10, entschieden.
 
Sachverhalt
Das LG Berlin hat eine Anwältin unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen, sich im Wettbewerb mit rechtsanwaltlichen Dienstleistungenals Expertin für Familien- oder Scheidungsrecht zu bezeichnen. Insbesondere sah es die Bezeichnung als "Experten-Kanzlei Scheidung" auf der Internetpräsenz als eine lauterkeitsrechtlich unzulässige irreführende Werbung an.

KG: Bezeichnung „Experten-Kanzlei Scheidung“ ist nicht unzulässig
Das KG befand: Entgegen der Annahme des LG stelle die Werbeaussage  „Experten-Kanzlei Scheidung" keine irreführende geschäftliche Handlung i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 UWG hinsichtlich der Befähigung der beklagten Anwältin dar. Das Gericht stimmte dem LG zwar darin zu, dass die angesprochenen Verkehrskreise die Werbung dahin gehend verstünden, dass in der beworbenen Kanzlei Experten für "Scheidung" tätig sind, was nahe lege, dass die zu dieser Kanzlei gehörende Bekl. insoweit eine Expertin im Bereich "Scheidung" ist. Es stimmte aber nicht der Beurteilung zu, nach der die so geweckten Erwartungen der dargelegten Qualifikation der Bekl. nicht entsprächen. Denn diese hatte angegeben, seit Beginn ihrer Tätigkeit im Familienrecht über 600 Mandate, 300 Fälle allein im Scheidungsrecht, vertreten zu haben; hierzu wurde von ihr vorgerichtlich eine Auflistung mit über 300 scheidungsrechtlichen Mandaten aus der Zeit ihrer Selbstständigkeit eingereicht.

Bearbeitung von mehr als 300 Fällen im Scheidungsrecht reicht aus, um der Erwartungshaltung des Verkehrs gerecht zu werden
Das KG befand, dass diese Fakten ausreichen, um der mit der konkret angegriffenen Werbung geweckten Erwartungshaltung des Verkehrs zu genügen. Hierbei dürfe nicht übersehen werden, dass der Durchschnittsverbraucher das ersichtlich "Reklamehafte" der in Rede stehenden Werbung erkennt. Hinzu komme, dass die beklagte Anwältin als Mitglied eines "Experten-Teams" auf diesem Themengebiet (u.a. auch zum Unterhaltsrecht) Leserfragen beantwortet und Artikel verfasst habe. Die hervorgerufene Erwartungshaltung des Verkehrs werde nicht allein deshalb enttäuscht, weil die Bekl. nicht an einschlägigen Fortbildungsveranstaltungen teilnimmt, sondern sich insoweit mit der regelmäßigen Lektüre der einschlägigen, laufenden - fachbezogenen - Veröffentlichungen begnügt, so das Gericht weiter. Der Adressat erwarte keine Qualifikation, die im Hinblick auf die theoretischen Kenntnisse und die praktische Erfahrung mehr als die Anforderungen erfüllt, die an einen Fachanwalt des entsprechenden Gebiets zu stellen sind.

Anwältin durfte Pressetext, in dem sie  als „Spezialistin“ bezeichnet wurde, in die eigene Homepage einbinden
Die Klägerin beanstandete außerdem den Begriff „Spezialistin“. Nach Ansicht des KG stellte sich die Frage, ob bzw. in welchem Fall eine Werbung "Spezialistin" lauterkeitsrechtlich zu beanstanden wäre, im Streitfall jedoch nicht. Denn: die Beklagte selbst habe damit selbst nie geworben; es komme insoweit stets auf die genaue Wortwahl und den genauen Kontext maßgeblich an. Als entscheidend bewertete das Gericht, dass diese Wortwahl unter dem Link „Presse“ erschien, über den man sich zu einem Zeitungsartikel klicken konnte, in welchem sich die Passage "Spezialkanzlei für Trennung, Unterhalt und Fragen rund um das Familienrecht" befand. Als entscheidend sah das Gericht außerdem an, dass in der Werbung nur die Wortwahl der Zeitung wieder gegeben wird. Wohl mache sich dies die Beklagte zu eigen, indem sie die Zeitungszitate in ihren Internetauftritt einbinde. Aber die Wiedergabe ist nicht zu beanstanden, denn das KG traut dem Durchschnittsleser durchaus zu, dass dieser unschwer erkennen könne, dass es sich bei dieser Aussage um die originäre Wortwahl der Zeitung handele und „den Bedeutungsgehalt deshalb ohne Weiteres selbst zu relativieren wissen wird“. Hinzu komme, dass es sich um eine in einen sachlich-inhaltlichen Fließtext eingeflochtene Aussage handelt, die nur eine zurückhaltende Optik aufweist.