Wie gesagt: ich mach schon sehr, sehr lange Werbung, bastel Webseiten, konzipiere Positionierungen in den unterschiedlichsten Märkten, überleg mir danach die dazu passenden Kampagnen, und so weiter und so fort … Dabei hab ich in den letzten zwei Jahrzehnten schon für jeden erdenklichen Kundentyp gearbeitet. Von der börsennotierten Riesen-AG bis zum Spezi, der sich gerade selbständig macht. Vom Zeitungsverlag und dem coolen Musiksender über den international operierenden Kugellager-Hersteller oder Deutschlands größte Nachhaltigkeits-Online-Community, aber auch bis zum Friseur um die Ecke … Und an letzteren muss ich mittlerweile immer häufiger denken.
Genauer gesagt an ein ganz bestimmtes Ereignis: Es waren schon einige Friseure, denen ich zu einem neuen Logoschnitt verhalf oder deren werblichen Auftritt ich in die eine oder andere neue Richtung föhnte, als ich damals mal wieder im Hinterzimmer einer kleinen Frisierstube saß. Es war ein kleiner Szenefriseur in Münchens Univiertel. Ich sollte über ein geeignetes Positioning brainstormen. Gemeinsam mit dem Inhaber und seiner Schwester. Anfangs lief es ab wie gewohnt. Man klopft das geschäftliche Umfeld ab, macht eine lokale Konkurrenzanalyse. Man arbeitet die eigenen Stärken heraus. Man definiert die eigenen Ziele. Das Übliche. Wie schon so oft … Und um ein Haar hätten auch diesmal Briefing und der Miniworkshop hier geendet. Ich wäre in die Agentur gefahren, hätte meine Hausaufgaben gemacht, hätte das Gehörte in visuelle Kommunikation übersetzt, dann meinen Kunden brav nach seiner Zufriedenheit befragt und Rechnung gestellt. Fertig. Und beinahe wäre ich in eben selber Manier zum Folgeauftrag geschritten …
Doch was dann passierte, sollte meine Art zu arbeiten grundlegend und für immer verändern.
Ich stellte eine, nur eine kleine, andere Frage als sonst. Zugegeben, ich dachte mir eigentlich nichts dabei. Hatte keine bestimmte Absicht, kein besonderes Ziel. Ich weiß nichtmal mehr warum ich sie stellte. Es war eher eine Small-talk-Floskel (und das, obwohl ich eigentlich kein großer Small-Talker bin) … Ich fragte: Gehen die Leute eigentlich gerne zum Friseur? Ich meine, so ganz allgemein …
“Nein, um Gottes Willen” platzt da sofort die fast schon empörte Reaktion heraus. “Wohin denkst Du? Die meisten Leute haben totale Angst vorm Friseur! Genau so schlimm wie vorm Zahnarzt” … Wow, hey, hallo! Was ist denn das für eine Antwort, stop, was ist das für ein D-Zug, der mich da mal eben überrollt! Schock! … Moment mal, ich liebe es doch zum Friseur zu gehen. Und die anderen Leute tun das nicht? .. Okay, ich gehe immer nur zu guten, teuren Friseuren, fühl mich da immer a bisserl wie Paris Hilton: alles sind lieb und nett, es kostet zwar ‘ne Menge aber danach ist da verlässlich das Gefühl besser auszusehen. Was will man mehr .. Und jetzt das?!!
Nein, die meisten Menschen erklärt man mir, und ich begreife sofort, sind eher unsicher, weniger selbstbewusst und hoffen nicht verunstaltet zu werden, haben Angst vor Veränderungen, glauben nur schwer beeinflussen zu können, was da an ihrem Kopf so geschnibbelt wird – Vergleichbar mit der Kontrollverlust-Panik bei Flugangsthasen – und echt viele erinnern sich noch an Hänseleien aus der Schulzeit, nachdem sie Mutti zum ortsansässigen Damen- und Herren-Salon “Er & Sie” zum üblichen Fassonschnitt zerrte. Tja, gut verdrängt. Aber das kenn auch ich noch. Jetzt hab ich verstanden!
All das lehrbuchhafte, Checklisten-artige, alles-richtig-machende Abklopfen der marktrelevanten Faktoren, welches ich zuvor schon sicher “im Kasten” wähnte, war plötzlich wertlos. Nette Randinfos, aber wertlos. Redundante Kosmetik, wo doch das Grundübel klar ganz woanders liegt … die vergangene Diskussion über mögliche Logofarbe und eine Abgrenzung zum Wettbewerb muten da schon fast so absurd an wie eine Diskussion über Giftspritze contra Elektrischer Stuhl, in der sich keiner der Diskussionsteilnehmer bewusst ist, dass beide Verfahrensweisen überhaupt zum Tod führen …
Das ist der Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Es geht nicht darum , die Dinge richtig zu machen, sondern die richtigen Dinge zu machen …
Ich war blind. All meine bisherigen Friseur-Kunden waren blind. Betriebsblind. Ich im Bereich Marketing und die im Bereich Haarschneidekunst. Vielleicht hab ich nie die richtigen Fragen gestellt. Vielleicht wurden sie nie erwartet. Oder vermisst. Wir sahen immer nur das Naheliegende. Dachten es jedenfalls. Wir sahen die Sachen, die man bisher machte. Und wir versuchten diese zu verbessern. Oder wir sahen die Sachen, die die Konkurrenz machte und versuchten diese zu verbessern. Erst der Paradigmenwechsel, hervorgerufen durch den Die-Leute-haben-Angst-vorm-Friseur-Schock, hat uns damals umdenken lassen. Erst so konnten wir die Dinge sehen, die eben NICHT passieren, die Kunden sehen, die eben NICHT kommen, uns eben NICHT mögen. Oder vielmehr uns nicht mögen KÖNNEN.
Fazit: die Qualität der Fragen beeinflusst maßgeblich die Qualität der Antworten. Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt bleibt dumm … Oder: Man kann die Umstände nicht durch dieselben Handlungen ändern, die sie hervorgerufen haben. Dazu muss man sich nur trauen, gefragt zu werden …. Ach ja, und werden sie skeptisch bei Dienstleistern, deren Fragen nicht “weh tun” …
Der hier besprochene Friseur hat sich mittlerweile dazu entschlossen all seine Bemühungen darauf zu konzentrieren, für seine Kunden zu Freunden zu machen, die gerne kommen, sich beim Haareschneiden, -färben und -föhnen wohl zu fühlen und den Laden als glücklichere Menschen zu verlassen. Alle Werbemaßnahmen fokussierten wir darauf, die bestehenden Kunden derart zufrieden zu stellen, dass diese proaktiv die eigentliche Werbung übernehmen. Meist ohne es zu merken. Von Mund zu Mund. Unbezahlt und sehr, sehr gerne (auf Neudeutsch heißt das dann “Virales Marketing”) … Der Friseur hat im Folgejahr seine Kundenstamm mehr als verdreifachen können.
Nun zum Abschluss noch eine, nur eine kleine, Frage: Was glauben Sie, gehen die Leute eigentlich gerne zum Anwalt? Ich meine, so ganz allgemein …