Die Nachricht ist echt. Es gibt tatsächlich ein Projekt, bei dem der Staat Schülern 16 Millionen Tablet-PCs schenkt. Das sind ca. 52.000 Schulen und ca. 620.000 Klassen. Nur leider leben wir nicht in diesem Staat. Es handelt sich nämlich um die Türkei.
Es gibt sicherlich nicht viel Gutes über das türkische Bildungssystem zu schreiben: Ein sehr Lehrer-basiertes Schulverständnis, überfüllte Klassen, eine auf Gehirnwäsche abzielende Erziehung. Besucht man die Eröffnungsfeier einer Grundschule hat man das Gefühl, in einer Kaserne zu sein. Schüler in Reih und Glied, die Nationalhymne singend und dazu die Staatsflagge hissend. Die ersten acht Jahre lernt man im Klassenverbund. Es gibt durchaus auch Befürworter dieses Systems in Deutschland. Man wird nach vier Jahren zu schnell von seinem sozialen Umfeld getrennt, lautet das Argument. Mag sein. Wäre ich in kommendes Wochenende in Deutschland, würde ich an dem EduCamp teilnehmen und diese Frage in einer Session ausdiskutieren. Den acht Jahren Grundausbildung folgen dann drei Jahre quasi Sekundarstufe II. In der Türkei hat man also ein Jahr früher die “Allgemeine Hochschulreife”.
Ganz so einfach ist es nicht. In den ersten acht Jahren wird die Stufe nicht wiederholt. Selbst einer mit mehreren Fünfen muss dort nicht unbedingt sitzen bleiben. Das System zwingt quasi zum Faulsein. Hat man die drei Jahre Oberstufe hinter sich, hat man nichts anderes als einen Abschluss. Eine Erlaubnis zum Studieren erlangt man erst durch eine separate Uniaufnahmeprüfung. Hier fangen einige Schüler erstmalig mit dem Lernen an und scheitern kläglich. Teure Nachhilfekurse müssen dann her. Natürlich, wenn man sich diese leisten kann. Daher empfehlen wir stets, früh genug mit dem Lernen auf CoboCards, selbst wenn es am Anfang nur locker passiert, zu beginnen.
16 Millionen Schüler mit Tablets auszustatten ist natürlich ein stolzes Vorhaben. Damit nicht genug: Klassenzimmer werden mit Tablet-kompatiblen Whiteboards ausgestattet, aus allen Büchern E-Books gemacht etc. Bis 2014 sollen so alle Schulen versorgt werden. In der Türkei waren solche Vorhaben bisher Versprechen vor den Wahlen, die danach schnell wieder in Vergessenheit gerieten. Diesmal scheint es der Regierung aber ernst zu sein. Im Februar wurden bereits 52 Schulen mit 12.800 Tablets ausgestattet. Der Ausschreibungsprozess für weitere Tochscreen-PCs wurde bis März ausgeweitet.
Die aktuelle Regierung legt sehr viel wert auf Bildung. Das ist auch richtig so. Da ist FATIH, wie das Projekt genannt wird (Investion: 3-4 Milliarden Türkische Lira), sicherlich ein richtiger Schritt. Doch Schüler mit Tablets auszustatten bedeutet noch nicht, dass diese auch gleich besser, schneller oder erfolgreicher lernen werden. Neue Bildungskonzepte müssen her und vor allem das Bildungssystem von Grund auf reformiert werden.