Urteil des VG Freiburg vom 14.10.2008
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VG Freiburg Beschluß vom 14.10.2008, 1 K 1823/08
Verlängerung der Bearbeitungszeit eines akut erkrankten Prüflings
Leitsätze
Eine Studentin, die an einer akuten reaktiven Depression leidet, kann nicht verlangen, dass ihr statt des Rücktritts
von der Prüfung eine Verlängerung der Bearbeitungszeit für die schriftliche Studienarbeit um 8 Wochen eingeräumt
wird.
Tenor
Die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie Beiordnung
eines Rechtsanwalts werden abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der zulässige Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist
unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin bietet nämlich keine hinreichende
Erfolgsaussicht (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO), was sich aus den nachfolgenden Ausführungen
ergibt.
2 Der zulässige Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet. Die Antragstellerin hat den erforderlichen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die
Antragsgegnerin hat aus der akuten Erkrankung der Antragstellerin mit überaus hoher Wahrscheinlichkeit die
zutreffende Konsequenz gezogen, indem sie den - hilfsweise beantragten - Rücktritt von der schriftlichen
Studienarbeit (dem ersten Abschnitt der Universitätsprüfung) genehmigt hat.
3 Einen Anspruch darauf, dass die an sich bereits am 5.9.2008 abgelaufene Frist zur Abgabe der schriftlichen
Studienarbeit bis zum 31.10.2008 verlängert wird - so ihr Hauptbegehren -, hat die Antragstellerin sehr
wahrscheinlich nicht. Sollte eine entsprechende Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin (laut Bescheid des
Studiendekans vom 17.9.2008: Schreibzeitverlängerung von bis zu zwei Wochen; anders allerdings die
Antragserwiderung vom 6.10.2008, wo von nur bis zu einer Woche die Rede ist) überhaupt zulässig sein, so
wären deren Voraussetzungen ersichtlich nicht erfüllt. Die Antragstellerin begehrt nämlich eine Verlängerung der
Abgabefrist um acht Wochen. Ferner kann sie sich nicht auf § 13 Abs. 7 JAPrO berufen, der nur die
Staatsprüfung betrifft. Auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift scheidet im Übrigen aus. Die dort
geregelten Fällen der angemessenen Verlängerung der Bearbeitungszeit betreffen Behinderungen, die lediglich
den Nachweis einer sonst uneingeschränkt vorhandenen Befähigung erschweren und durch Hilfsmittel
ausgeglichen werden können. Solche Beeinträchtigungen stellen eine rechtserhebliche Ungleichheit der
Prüfungschancen dar und sollen durch die Einräumung besonderer Prüfungsbedingungen ausgeglichen werden
(vgl. allgemein Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2, 4. Aufl. , Rdnr. 122 m.w.N.).
4 Die Antragstellerin hingegen ist ausweislich der beiden aussagekräftigen Bescheinigungen vom 29.8.2008
(„Bescheinigung der Prüfungsunfähigkeit“ des Facharztes für Psychiatrie Dr. E.) und vom 11.9.2008
(Gesundheitsamt des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald) aufgrund einer akuten reaktiven Depression
erheblich in ihrem Leistungsvermögen beeinträchtigt, nach dem erstgenannten Attest sogar bereits seit Juni
2008. Dieser Zustand aber begründet evident eine Prüfungsunfähigkeit, weil hierdurch - und zwar besonders
durch die Symptome wie Niedergeschlagenheit, Versagensangst, Konzentrationsstörungen, Übelkeit und Gefühl
innerer Blockaden - der Aussagewert ihrer Studienarbeit über die wahren Kenntnisse der Antragstellerin erheblich
eingeschränkt ist. Damit aber würde die weitere Durchführung der Prüfung, wie sie in einer Verlängerung der
Abgabefrist läge, den Zweck verfehlen, Aufschluss über die Befähigung der Antragstellerin zu geben, zu der
gerade auch die Fähigkeit gehört, innerhalb eines begrenzten Zeitraums ein Thema wissenschaftlich
aufzuarbeiten. Allein der Abbruch der Prüfung und die im Wege des - hier: genehmigten - Rücktritts zu
erzielende Nichtberücksichtigung des Prüfungsergebnisses ist die angemessene und zulässige Reaktion des
Prüfungsrechts. Dieser Schluss wird hier noch dadurch verstärkt, dass die Amtsärztin laut ihrem Attest vom
11.9.2008 aufgrund der psychischen Erkrankung der Antragstellerin mit einer Fertigstellung ihrer Arbeit
„frühestens bis Ende Oktober 2008“ rechnet, also eine zeitliche Gewissheit über die Beendigung der
Prüfungsleistung sogar nicht einmal geben kann.
5 Die eigene Bewertung der Antragstellerin, ihre akute Erkrankung stelle gleichwohl keine Prüfungsunfähigkeit dar,
weil sie mit Hilfe einer verlängerten Bearbeitungszeit in der Lage sei, ihre Studienarbeit trotz zeitlich
eingeschränktem Tagespensum und verzögerter Arbeitsgeschwindigkeit voranzubringen und zu betreiben,
überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. Diese Interpretation ist besonders auch wegen des Gebots der
Chancengleichheit abzulehnen. Denn die Antragstellerin verschaffte sich durch eine Verdreifachung der
Bearbeitungszeit im Verhältnis zu anderen Prüflingen, die innerhalb der vierwöchigen Bearbeitungszeit zugleich
auch etwaige Beeinträchtigungen kompensieren, einen ungerechtfertigten Vorteil.
6 Angesichts der vorigen Ausführungen erscheint damit schließlich äußerst fraglich, ob überhaupt eine
Verwaltungspraxis zulässig ist, bei akuten Erkrankungen Bearbeitungszeiten zu verlängern. Gerade
Kurzerkrankungen sind im Rahmen einer längeren Prüfungsdauer typischerweise eher kompensierbar, während
auf längere Krankheitsgeschehen mit Rücktritt zu reagieren ist. Wegen des Freiheitsrechts aus Art. 12 Abs. 1
GG i.V.m dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz könnte allenfalls in Extremfällen daran gedacht werden, während
der Studienarbeit bereits weitgehend erarbeitete (Vor-)Leistungen nicht dadurch zunichte zu machen, dass bei
kurzen Akutkrankheiten nur der Rücktritt zur Verfügung gestellt wird. Hier kann eine Entscheidung allerdings
dahinstehen, denn der Fall der Antragstellerin zeichnet sich dadurch aus, dass die Dauer der akuten Erkrankung
den prüfungsrechtlich vorgesehenen Zeitraum für die Studienarbeit erreicht bzw. mittlerweile sogar überschritten
hat, so dass nicht mehr von einem nur unwesentlichen Zeitanteil die Rede sein kann.
7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1,
52 Abs. 2 GKG. Eine wirkliche Vorwegnahme der Hauptsache liegt nicht vor, sodass die Kammer den
Auffangwert des Hauptsacheverfahrens halbiert hat. Rechtsmittel gegen die Streitwertfestsetzung richten sich
nach § 68 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 5 GKG.