Urteil des SozG Freiburg vom 13.06.2008
SozG Freiburg (unterkunftskosten, verfassungskonforme auslegung, gesetzliche grundlage, wohnung, angemessenheit, sgg, verwaltungsakt, feststellungsklage, höhe, aug)
SG Freiburg Entscheidung vom 13.6.2008, S 12 AS 3781/07
Arbeitslosengeld II - Unangemessenheit der Unterkunftskosten - Kostensenkungsaufforderung -
fehlende Verwaltungsakteigenschaft - Unzulässigkeit der Anfechtungs- oder Feststellungsklage -
verfassungskonforme Auslegung - Rechtsschutzgarantie
Leitsätze
1. Ein behördlicher Hinweis darauf, dass die von einem Leistungsbezieher nach dem SGB 2 bewohnte Wohnung
als unangemessen groß bzw teuer angesehen werde, sowie die Ankündigung, dass diese Kosten voraussichtlich
in Zukunft nicht mehr in voller Höhe übernommen werden können, ist dem Widerspruch und der Anfechtungsklage
nicht zugänglich.
2. Eine Feststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung der Angemessenheit einer Wohnung nach § 22 Abs 1 S 1
SGB 2 bzw der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit für den Leistungsbezieher nach § 22 Abs 1 S 3 SGB 2, die
Unterkunftskosten zu senken, ist ebenfalls unzulässig.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Klage richtet sich gegen eine Ankündigung der Beklagten, Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22
Abs. 1 SGB II im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
(Arbeitslosengeld II) künftig nur noch in der für angemessen erachteten Höhe zu übernehmen; hilfsweise auf
die Feststellung, dass die tatsächlichen Kosten für die von der Klägerin bewohnten Unterkunft angemessen
seien.
2
Die Klägerin, geb. am … , bewohnt seit dem 1.2.2005 eine 46,35 qm große Einzimmerwohnung in St.
(Landkreis B.-H.), für die monatlich 287,37 EUR Kaltmiete zzgl. 82,06 EUR Nebenkosten einschließlich der
Heizkosten zu entrichten sind. Die Klägerin ist als Berufsbetreuerin tätig und übt daneben eine geringfügige
Beschäftigung im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen aus.
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Am 2.5.2007 beantragte sie bei der Beklagten erstmals die Gewährung von ergänzendem Arbeitslosengeld II.
Dies wurde ihr mit Bescheid vom 21.5.2007 für die Zeit vom 2.5. - 30.11.2007 bewilligt. Mit Änderungsbescheid
vom 30.5.2007 wurde der Bescheid vom 21.5.2007 aufgehoben und die Leistungen wurden für den Zeitraum
vom 1.5. - 31.10.2007 neu bewilligt. Im Rahmen der Kosten der Unterkunft wurde die gesamte tatsächliche
Kaltmiete zzgl. Nebenkosten berücksichtigt. Dem Bescheid beigefügt wurde jedoch ein Schreiben vom
gleichen Tag, in dem die Beklagte die Klägerin darauf hinwies, dass die Kaltmiete für die von ihr bewohnte
Wohnung von der Beklagten für unangemessen hoch erachtet werde. Angemessen sei im örtlichen
Zuständigkeitsbereich der Beklagten für eine Einzelperson eine Kaltmiete von maximal 229,95 EUR/Monat. Die
Klägerin werde daher aufgefordert, sich zu bemühen, ihre Unterkunftskosten auf das für angemessen erachtete
Maß zu senken und diese Bemühungen zu dokumentieren. Die tatsächliche Kaltmiete könne nur für maximal
sechs Monate nach Zugang des Schreibens, also bis zum 31.10.2007, berücksichtigt werden, soweit keine
solche Bemühungen nachgewiesen würden. Für ein klärendes Gespräch stehe die Beklagte zur Verfügung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 30.5.2007 Bezug genommen.
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Am 6.6.2007 legte der Bevollmächtigte der Klägerin für diese Widerspruch gegen das Schreiben vom
„30.4.2007“ (gemeint: 30.5.2007), das als Verwaltungsakt gewertet werde, ein. Die der Klägerin entstehenden
Kosten der Unterkunft seien, orientiert am tatsächlichen örtlichen Mietniveau, nicht unangemessen hoch. Sie
nutze auch einen Teil der Wohnung als Büro für ihre Betreuertätigkeit. Dies sei bei der Bestimmung der
individuellen Angemessenheit mit zu berücksichtigen.
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Mit Widerspruchbescheid vom 19.6.2007 wurde der Widerspruch als unzulässig verworfen. Ein Widerspruch
nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG sei nur gegen einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X statthaft.
Bei dem Hinweis auf die unangemessenen Unterkunftskosten im Schreiben vom „21.5.2007“ (gemeint:
30.5.2007) habe es sich jedoch nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, sondern nur um einen Hinweis, der
keine Regelungswirkung entfalte.
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Am 10.7.2007 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg Klage erhoben. Ergänzend zur
Widerspruchsbegründung wird für sie ausgeführt, die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gebiete es,
dass gegen eine Kostensenkungsaufforderung der Widerspruch statthaft sei. Die Klägerin sei nicht darauf zu
verweisen, die erstmalige Absenkung der berücksichtigten Kosten der Unterkunft durch die Beklagte
abzuwarten und erst dann gegen diese Entscheidung vorzugehen. Denn dann sei die Klägerin vor die Wahl
gestellt, entweder „voreilig“ umzuziehen, obwohl sich im Nachhinein herausstellen könnte, dass die von ihr
bisher bewohnte Wohnung gar nicht unangemessen sei, oder aber nicht umzuziehen und dann das Risiko zu
tragen, dass ihre Wohnung sich im Nachhinein doch als unangemessen erweise und sie ab sofort nur noch
niedrigere Leistungen erhalten könne, dann aber nicht mehr über eine hinreichende Übergangsfrist zur - dann
eindeutig notwendigen - Wohnungssuche zu verfügen. Jedenfalls gebiete die Rechtsschutzgarantie des Art. 19
Abs. 4 GG die Statthaftigkeit einer Feststellungsklage, dass die anfallenden tatsächlichen Kosten angemessen
seien, damit die Klägerin Planungssicherheit habe. Auf ein Eilverfahren nach § 86b Abs. 2 SGG sei die
Klägerin nicht zu verweisen, da dies dem Subsidiaritätsgrundsatz unterliege und nur eine vorläufige Lösung
ermögliche.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007 (Aufforderung zur Senkung der Unterkunftskosten) in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.6.2007 aufzuheben; hilfsweise, festzustellen, dass die
derzeitigen tatsächlichen Kosten der Unterkunft der Klägerin angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1
SGB II sind.
10 Die Beklagte beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden
Verwaltungsakte der Beklagten, die das Gericht zum Verfahren beigezogen hat, verwiesen.
Entscheidungsgründe
13 Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid und damit
ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zu dieser Verfahrensweise angehört
wurden.
14 Die Klage ist im Hauptantrag form- und fristgereicht erhoben und als Anfechtungsklage statthaft, also zulässig.
Sie ist aber unbegründet. Im Hilfsantrag als Feststellungsklage ist sie nicht zulässig.
15 Zum
Hauptantrag
das Schreiben vom 30.5.2007 als unzulässig verworfen. Denn die Klägerin ist hinsichtlich der Frage der
Mietkostenübernahme ab dem 1.11.2007 durch das Schreiben vom 30.5.2007 nicht beschwert. Denn das
Schreiben vom 30.5.2007 hat in dieser Hinsicht keinen eigenständigen, verbindlichen Regelungscharakter nach
§ 31 SGB X, durch den die Klägerin in ihren Rechten verletzt sein könnte (so auch BSG, Urteil vom 7.11.2006,
Az. B 7b AS 10/06 R; BSG, Urteil vom 19.3.2008, Az. B 11b AS 41/06 R - juris ). Über die Höhe der
Leistungen ab dem 1.11.2007 trifft es keine Regelung, sondern kündigt eine solche - für den am 30.5.2007
noch keinesfalls sicheren Fall, dass die Klägerin ihre Wohnkosten nicht senken werde oder jedenfalls nicht
nachweise, dass ihr dies unmöglich oder unzumutbar sei - lediglich an. Dieser Hinweis hat allein Aufklärungs-
und Warnfunktion, damit der Hilfebedürftige Klarheit über die aus Sicht des Leistungsträgers angemessenen
Aufwendungen für die Unterkunft und einen Hinweis auf die Rechtslage erhält (BSG, Urteil vom 7.11.2006, Az.
B 7b AS 10/06 R - juris ). Die eigentliche Regelung der Leistungshöhe bleibt dagegen dem Folgebescheid über
Leistungen ab dem 1.11.2007 vorbehalten und war daher am 30.5.2007 bzw. zum Zeitpunkt der Einlegung des
Widerspruchs der gleichsam „vorbeugenden“ Überprüfung im Widerspruchsverfahren nicht zugänglich.
Insbesondere begründet das Schreiben vom 30.5.2007 auch keine Handlungspflicht der Adressatin, durch
deren Begründung die erlassende Behörde deren Rechte verletzt haben könnte - jedenfalls keine Rechtspflicht,
die im Falle der Nichtbefolgung durch Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden oder
sanktioniert werden könnte, und allein auf die Begründung einer solchen Rechtspflicht kommt es für die Frage,
ob ein Verwaltungsakt nach § 31 SGB X vorliegt, durch den die Beklagte in die Rechte der Klägerin
eingegriffen haben könnte, an. Die Begründung von Obliegenheiten oder von vom Adressaten lediglich faktisch
empfundenen Handlungsnotwendigkeiten reicht dagegen nicht aus, um einen Regelungscharakter nach § 31
SGB X zu begründen. Der vom klägerischen Bevollmächtigten gezogene Vergleich mit einer Meldeaufforderung
nach § 309 SGB III geht daher fehl. Es entfällt durch diesen Hinweis lediglich die Möglichkeit der Klägerin, sich
bei einer in Zukunft abgesenkten Leistung auf Vertrauensschutz unter dem Aspekt der Selbstbindung der
Verwaltung (bisherige Übernahme der vollen Unterkunftskosten) zu berufen. Für eine Verpflichtung der Klägerin
zu einem bestimmten Verhalten im Zusammenhang mit den Unterkunftskosten gäbe es im SGB II auch keine
gesetzliche Grundlage. Die Vorschriften des SGB II zu den Unterkunftskosten beschränken sich darauf, zu
regeln, welche Kosten in welcher Höhe vom Leistungsträger übernommen werden können (§ 22 SGB II). Die
Auswahl der Unterkunft ist jedoch grundsätzlich dem Leistungsbezieher selbst überlassen. Es steht ihm frei, in
eine relativ große und/oder relativ teure Wohnung einzuziehen bzw. in dieser wohnen zu bleiben, auch wenn
diese den Angemessenheitskriterien des Leistungsträgers nicht entspricht. Der Leistungsträger kann und darf
dem Leistungsbezieher in dieser Hinsicht keine Verpflichtungen auferlegen. Er hat sich darauf zu beschränken,
die tatsächlichen Wohngegebenheiten zu ermitteln und dann entsprechend der ihn bindenden Vorschriften die
Unterkunftskosten ganz oder teilweise zu bewilligen. In diesem Rahmen ist die Beklagte berechtigt, den
Leistungsbezieher zu informieren, wie dieser auch in Zukunft eine vollständige Übernahme seiner
Unterkunftskosten am besten erreichen kann (z.B. durch Nachweis der erfolglosen Bemühung um eine
Senkung der Kosten). Dies begründet jedoch keine Verpflichtung des Betroffenen, diesen Anregungen
nachzukommen (vgl. zu alldem SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 22.3.2006, Az. S 12 AS 226/06 - juris ).
16 Auch hinsichtlich des
Hilfsantrags
angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II seien, kann die Klage keinen Erfolg haben, denn sie ist
unzulässig. Denn eine Kostensenkungsaufforderung wie das Schreiben vom 30.5.2007 stellt nach
Überzeugung des Gerichts auch keinen feststellenden Verwaltungsakt dar (SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom
22.3.2006, Az. S 12 AS 226/06- juris ). Die verbindliche Feststellung der Angemessenheit der Wohnung erfolgt
erst mit dem Folgebescheid über Leistungen ab dem 1.11.2007. Eine rechtlich verbindliche, der Bestandskraft
zugängliche Prüfung der Angemessenheit der Wohnkosten - durch die Beklagte wie durch das Gericht - findet
nach § 22 Abs. 1 SGB II grundsätzlich erst zusammen mit der Bewilligung oder Ablehnung der (vollständigen)
Kostenübernahme statt, nicht aber isoliert vorab. Sie könnte auch gar nicht zuverlässig vorab stattfinden, denn
wie die Beklagte im Schreiben vom 30.5.2007 dargestellt hat, hängt die Beantwortung der Frage, welche
Kosten der Unterkunft ab dem 1.11.2007 berücksichtigt werden, von Faktoren ab, die sich erst in dem
Übergangszeitraum von sechs Monaten herausstellen werden, nämlich u. a. davon, ob der Klägerin eine
Kostensenkung gelingt oder ob sie nachweist, dass sie trotz intensiver Bemühungen nicht gelang. Davon
abgesehen wäre das isolierte Feststellungsbegehren bezüglich der Angemessenheit der Unterkunftskosten -
anstatt einer (späteren) Leistungsklage auf deren Bewilligung - ohnehin als Elementenfeststellungsklage
unzulässig (vgl. Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 7. Auflage 2002, § 55 Rn. 9f.; so auch LSG Bayern, Urteil
vom 17.3.2006, Az. L 7 AS 41/05 - juris ).
17 Im Ergebnis ist im vorliegenden Fall der Hinweis auf die voraussichtlich anstehende Neuregelung der
Unterkunftskosten im Schreiben vom 30.5.2007 tatsächlich nicht der isolierten gerichtlichen Überprüfung
zugänglich. Eine solche Vorab-Überprüfung ist zur Wahrung des effektiven Rechtsschutzes der Klägerin (Art.
19 Abs. 4 GG) - anders, als für sie vortragen wurde - auch nicht erforderlich, da eine eigenständige
Entscheidung bezüglich der Unterkunftskosten ab dem 1.11.2007 noch zu treffen ist bzw. war und die Beklagte
in soweit nochmals eine aktuelle Prüfung der Angemessenheit vornehmen wird bzw. vorgenommen hat. Diese
konnte durchaus auch zu Gunsten der Klägerin ausfallen; andernfalls sind gegen sie die Rechtsbehelfe des
Widerspruchs und der Klage gegeben.
18 Auf die vom klägerischen Bevollmächtigten thematisierten Fragen, ob das Schreiben vom 30.5.2007 inhaltlich
für einen durchschnittlichen Leistungsbezieher nach dem SGB II verständlich wäre, ob die daraus
hervorgehenden Annahmen der Beklagten inhaltlich richtig sind und ob die in dem Schreiben dargelegte
Obliegenheit von einem durchschnittlichen Leistungsbezieher nach dem SGB II überhaupt tatsächlich befolgt
werden kann, ist nicht einzugehen, da eine inhaltliche Überprüfung des Schreibens vom 30.5.2007 - wie oben
dargelegt - im hier anhängigen Verfahren gerade nicht stattfindet.
19 Die Klage war daher abzuweisen. Die Möglichkeit der Klägerin, gegen die verbindliche Bewilligung (oder
Versagung) von Unterkunftskosten ab dem 1.11.2007 zur gegebenen Zeit Rechtsmittel einzulegen, wird
dadurch nicht berührt.
20 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits in der
Hauptsache.