Urteil des SozG Detmold vom 28.01.2010
SozG Detmold (sexueller missbrauch, missbrauch, nähe, kenntnisnahme, schädigung, abend, belastung, gutachten, tochter, versorgung)
Sozialgericht Detmold, S 1 VG 261/08
Datum:
28.01.2010
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 1 VG 261/08
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 07.11.2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbe- scheides vom 13.11.2008 verurteilt, der
Klägerin ab dem 14.12.2005 Versorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz nach einem GdS von 70 v.H. zu gewähren.
Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außer- gerichtlichen Kosten
der Klägerin.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf die Gewährung von
Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von
Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) wegen eines Schockschadens hat.
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Die am 00.00.1972 geborene Klägerin heiratete am 28.12.2000 Herrn N Q. Die Klägerin
brachte drei minderjährige Kinder mit in diese Ehe ein. Dabei handelte es sich um die
Töchter T (geb. 00.00.1992), T1 (geb. 00.00.1993) und D.
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Ab November 2004 bis zum 12.12.2005 missbrauchte N Q in 32 Fällen seine
Stieftochter T sexuell und in dem Zeitraum von August 2005 bis zum 11.12.2005 in vier
Fällen auch seine Stieftochter T1.
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Als die als Erzieherin tätige Klägerin am Abend des 13.12.2005 gegen 22.45 Uhr von
der Arbeit nach Hause kam, ging sie wie jeden Abend durch die Zimmer ihrer Kinder
und bemerkte, dass ihre Tochter T zusammen mit ihrer Tochter T1 in einem Bett schlief,
wobei T einen zerknüllten Brief in der Hand hielt. Die Klägerin nahm diesen Brief an
sich. Darin stand sinngemäß: "Hallo Mutti. T und ich haben es noch nie rübergebracht,
aber jetzt müssen wir es endlich sagen. Ich und T werden ganz oft in unserem Bett
befummelt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ekelhaft das war, scheußlich war das
für uns beide. Wir haben uns unterhalten, es geht jetzt endlich herübergebracht. Wir
hassen ihn ganz doll." Auf Nachfrage teilten die Töchter mit, dass sie "ihn" ihren
Stiefvater N Q meinten. Darüber hinaus erzählten die Töchter der Klägerin dieser noch
am gleichen Abend, dass es schon ein Jahr lang so gehe und sie desöfteren befummelt
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würden und vorvorgestern wäre er drinnen gewesen. Die Klägerin fragte dann nochmals
bei ihrer Tochter T nach, worauf diese antwortete: "Dass, was Vati mit dir auch macht".
Bei dieser Äußerung war der Klägerin klar, dass es sich hierbei um Geschlechtsverkehr
handelte. Danach fragte sie noch ihre Tochter T1 und auch diese äußerte der Klägerin
gegenüber, dass sie von ihrem Stiefvater immer oder desöftern gestreichelt werde und
das auch an der Scheide.
Die Klägerin stellte daraufhin noch am gleichen Abend ihren Ehemann zur Rede, der
nach anfänglichem Abstreiten die Taten vollumfänglich zugab. Auch bei der Polizei gab
Herr N Q den sexuellen Missbrauch an seinen Töchtern uneingeschränkt zu.
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Mit Urteil des Landgerichs Zwickau vom 09.06.2006 wurde Herr N Q wegen sexuellen
Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 36 Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit
schweren sexuellen Missbrauch von Kindern und in weiteren 28 Fällen in Tateinheit mit
sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und
drei Monaten verurteilt.
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Die Klägerin wurde ab dem 14.12.2005 von ihrer Frauenärztin, Frau Dr. P, I, wegen
einer depressiven Reaktion und einer posttraumatischen Belastungsstörung
krankgeschrieben.
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Von 17.01.2006 bis zum 27.02.2006 befand sich die Klägerin in einer Fachklinik für
Psychotraumatologie in E. Dort wurde bei der Klägerin u.a. eine psychische Belastung
(sexueller Missbrauch) diagnostiziert.
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Im Mai 2006 beantragte die Klägerin die Gewährung von Leistungen nach dem
Opferentschädigungsgesetz wegen eines posttraumatischen Stressyndroms und
Schlafstörungen.
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Der Beklagte zog daraufhin Berichte der die Klägerin behandelnden Ärzte bei und
veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch die Neurologin Frau Dr. X. Diese
kam in ihrem Gutachten vom 24.08.2007 zu dem Ergebnis, die Klägerin mache einen
sogenannten Schockschaden nach Offenbarung sexuellen Missbrauchs an ihren
Töchtern geltend. Sie führe Schlafstörungen, Albträume, Angstzustände, depressive
Symptome sowie fehlende Belastbarkeit auf dieses Ereignis zurück. Vor der
Offenbarung sei es ihr gut gegangen, sie seien eine glückliche Familie gewesen. Durch
den sexuellen Missbrauch an den Töchtern sei ihr eigener sexueller Missbrauch wieder
lebendig geworden und würde sie quälen. Diagnostisch sei bei der Klägerin am ehesten
von einer Anpassungsstörung mit schwerer depressiver Symptomatik auszugehen. Es
sei der deutliche Eindruck entstanden, dass die Klägerin vor allem mit der
Lebensbewältigung aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten überfordert sei und daran
verzweifle. Erschwerend komme für sie hinzu, dass sie mit ihrem eigenen sexuellen
Missbrauch konfrontiert worden sei und hier auch möglicherweise einige Symptome
einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickelt habe. Ein eigentlicher Schock
über die Gewalttaten den Töchtern scheine gegenüber der sehr schwierigen sozialen
Situation mit unzureichenden Bewältigungsstrategien nicht im Vordergrund zu stehen.
Zusammengefasst sei von einem Schädigungsschaden im Sinne eines
Schockschadens bei der Klägerin nicht auszugehen.
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Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte der Beklagte die Gewährung von
Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz mit Bescheid vom
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07.11.2007 ab.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom
13.11.2008 als unbegründet zurückgewiesen.
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Hiergegen hat die Klägerin am 15.12.2008 Klage erhoben.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 07.11.2007 in der Gestalt des
Widerspruchs- bescheides vom 13.11.2008 zu verurteilen, ihr ab dem 14.12.2005
Versorgung nach dem Opfer- entschädigungsgesetz nach einem GdS von 70 v.H. zu
gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist bei seiner Auffassung geblieben, die angefochtene Verwaltungsentscheidung
entspreche der Sach- und Rechtslage und sei nicht zu beanstanden.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens von der
Psychiaterin Frau Dr. Q1. Auf Inhalt und Ergebnis des am 23.08.2009 erstatteten
Gutachtens wird verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen
Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte des
Beklagten Bezug genommen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 07.11.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13.11.2008 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1
des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn dieser Bescheid ist rechtswidrig.
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Der Beklagte hat die Gewährung von Versorgung nach dem OEG zu Unrecht abgelehnt.
Der Rechtsanspruch der Klägerin richtet sich nach § 1 OEG i.V.m. den Vorschriften des
Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nach § 1 Abs. 1 OEG erhält wegen der
gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen Versorgung, wer infolge eines
vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person oder eine andere
Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind auch Sekundäropfer in den
Schutzbereich des § 1 Abs. 1 OEG einbezogen (BSG, Urteil vom 12.06.2003 - B 9 VG
1/02 R m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist - ebenso wie bei Primäropfern - eine
unmittelbare Schädigung, also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem
Schädiungstatbestand und der schädigenden Einwirkung im Sinne einer engen,
untrennbaren Verbindung beider Tatbestandsmerkmale. Bei Primäropfern ist insoweit
an den das Primäropfer schädigenden Vorgang anzuknüpfen. Sie müssen demnach
durch Wahrnehmung dieses Vorgangs oder eine sonstige Kenntnisnahme davon
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geschädigt worden sein. Darüber hinaus müssen die psychischen Auswirkungen der
Gewalttat beim Sekundäropfer bei wertender Betrachtung mit der Gewalttat so eng
verbunden sein, dass beide eine natürliche Einheit bilden. Maßgebliches Kriterium für
das Vorliegen eines solchen engen Zusammenhangs ist die zeitliche, örtliche und
personale Nähe, wobei allerdings nicht alle Aspekte gleichermaßen vorzuliegen
brauchen. Besteht eine zeitliche und örtliche Nähe zum primärschädigenden
Geschehen, kann diese den erforderlichen engen Zusammenhang begründen, auch
wenn es an einer besonderen personalen Nähe zum Primäropfer fehlt. Umgekehrt muss
der Mangel eines zeitlichen und örtlichen Zusammenhanges zu dem das Primäropfer
schädigenden Vorgang nicht schaden, wenn das Sekundäropfer eine enge personale
Beziehung zum Primäropfer hat. So hat das BSG die Unmittelbarkeit aufgrund zeitlicher
und örtlicher Nähe als gegeben angesehen, wenn ein Sekundäropfer Augenzeuge der
Tat geworden ist. Aufgrund personaler Nähe hat das BSG die Unmittelbarkeit ebenfalls
bei einem nahen Angehörigen auch dann bejaht, wenn das Sekundäropfer erst später
Kenntnis von der vorsätzlichen gewaltsamen Tötung des Primäropfers erhält und
dadurch eine Schädigung erfährt (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Annahme eines engen
Zusammenhangs gegeben. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass wegen der
engen emotionalen Beziehung der Klägerin zu ihren Töchtern die erforderliche
personale Nähe zu den Primäropfern gegeben ist. Einer besonderen örtlichen und
zeitlichen Nähe zum Tatgeschehen bedurfte es daher nicht mehr.
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Durch die Nachricht vom sexuellen Missbrauch an ihren Töchtern ist bei der Klägerin
auch ein schweres psychisches Trauma eingetreten. Bei der Kenntnisnahme des
sexuellen Missbrauchs an ihren Töchtern durch das Lesen des Briefes ihrer Töchter am
13.12.2005 hat es sich im konkreten Fall um eine psychische Belastung gehandelt, die
bei der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine schwere depressive Episode
sowie mittelbar eine Benzodiazepinabhängigkeit verursacht hat. Dies steht nach dem
Gesamtergebnis der im Verwaltungs- und im Klageverfahren durchgeführten
Ermittlungen zur Überzeugung der Kammer fest. Die Kammer gründet ihre Überzeugung
im Wesentlichen auf das Gutachten der Psychiaterin Frau Dr. Q1. Danach ist es mit
Wahrscheinlichkeit durch die Offenbarung des sexuellen Missbrauchs an den Töchtern
bei der Klägerin zu einer schweren depressiven Episode gekommen, die bis zum
jetzigen Zeitpunkt anhält. Ferner kam es zum Eintritt einer Benzodiazepinabhängigkeit
bei seit 2007 ärztlich verordneten Benzodiazepinpräparaten mit gescheitertem
Absetzversuch. Hierfür spricht zum einen der Vortrag der Klägerin zum genauen Ablauf
des Geschehens direkt nach der Kenntnisnahme mit einem deutlichen Hinweis auf ein
dissoziatives Erleben, zum anderen die Krankschreibung ab dem 14.12.2005 aufgrund
einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Episoden, die durch die
Frauenärztin Frau Dr. P erfolgte. Anzuführen sind zwar nachfolgend als Nachschaden
peristatische Belastungsfaktoren durch die Gerichtsverhandlung gegen den Ex-Mann,
die Scheidung, die Namensänderung, der wiederholte Umzug sowie Wechsel der
Telefonverbindungen aufgrund der wiederholten Kontaktaufnahmen des Täters trotz
Kontaktsperre sowie auch nachfolgend eingetretenen zwischenzeitlich bestandenen
Existenzsorgen finanzieller Art. In Bezug auf das Verhalten des Ex-Ehemannes war
dieses zum Schädigungszeitpunkt für die Klägerin jedoch in keinster Weise absehbar,
weshalb dieses keinen Einfluss auf das Auslösen einer schweren depressiven
Symptomatik hatte. In Bezug auf die finanziellen Engpässe kam es zwischenzeitlich zu
einer schädigungsunabhängigen Verschlimmerung der psychischen
Beschwerdesymptomatik, wobei diese Belastung durch die Zeitberentung sowie durch
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den Hausverkauf wegfiel. Weiterhin als Belastungsfaktoren sind die
Verhaltensauffälligkeiten der Töchter innerhalb der Familie sowie auch gegenüber dem
neuen Lebenspartner der Klägerin zu werten, wobei hierdurch aber auch immer eine
"Rückerinnerung" an die sexuelle Traumatisierung der Töchter bzw. auch des Sohnes
erfolgt.
Die Kammer ist in Übereinstimmung mit der Sachverständigen Frau Dr. Q1 der
Auffassung, dass der GdS für die bestehende schwere Störung mit mittelgradigen
sozialen Anpassungsschwierigkeiten nach den Versorgungsmedizinischen
Grundsätzen (VMG, Teil B 3.7, Seite 42) unter Berücksichtigung eines besonderen
beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG mit 70 v.H. zu bewerten ist. Weitere
Ausführungen hält die Kammer insofern für entbehrlich, da der Beklagte keine
Einwendungen gegen die Höhe des von der Sachverständigen festgestellten GdS
erhoben hat.
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Die Kammer hat keine Bedenken, die Feststellungen der Sachverständigen Frau Dr. Q1
der Entscheidung zugrunde zu legen. Die Sachverständige hat die erhobenen Befunde
sehr eingehend und sorgfältig ausgewertet und widerspruchsfreie und nachvollziehbare
Überlegungen zur Zusammenhangsfrage und zur Höhe des GdS angestellt. Die
Einwendungen des Beklagten gegen das Gutachten von Frau Dr. Q1 greifen nicht
durch. Die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. A und Dipl-Med. T2 zeugen
von einer Unkenntnis vom Akteninhalt sowie der maßgeblichen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zum Begriff des "Schockschadens". Insoweit ist zunächst
unzutreffend, dass es zunächst nur um ein "Befummeln" der Töchter der Klägerin
gegangen sei und Einzelheiten erst nach und nach zu Tage gekommen seien. Die
Töchter der Klägerin haben dieser vielmehr bereits am Abend des 13.12.2005
unmittelbar nach der Kenntnisnahme der Klägerin von dem Brief ihrer Töchter berichtet,
dass es auch zum Geschlechtsverkehr gekommen ist, wie sich eindeutig aus der
Zeugenvernehmung der Klägerin am 14.12.2005 ergibt.
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Darüber hinaus erscheint es im Hinblick auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen
des Beklagten erforderlich, den Beklagten über die Bedeutung des Begriffs "Schock" im
Rahmen der Rechtsprechung zur Sekundäropferversorgung nach dem OEG
aufzuklären. Zwar hat das BSG einen Schock als eine starke seelische Erschütterung
durch ein plötzlich hereinbrechendes bedrohliches Ereignis beschrieben. Unter
"Schockschaden" sind auch nur solche Schäden zu verstehen, die durch einen
derartigen "Schock" ausgelöst werden (BSG, Urteil vom 12.06.2003 - B 9 VG 1/02 R -).
Dieses setzt jedoch keinen pathophysiologischen Zusammenbruch, etwa in Form eines
deutlich nach außen sichtbaren Kreislaufkollapses voraus, der einer sofortigen
medizinischen Behandlung bedarf (BSG, a.a.O.). Entscheidend ist vielmehr, dass das
belastende Ereignis eine seelische Reaktion des Sekundäropfers von einigem Gewicht
bewirkt (BSG, a.a.O.). Da sich das Ausmaß innerer Vorgänge unter Umständen erst im
Nachhinein feststellen lässt, kann auch eine nach außen hin zunächst weitgehend
symptomlose psychische Reaktion Ausdruck einer Schädigung des Sekundäropfers
sein. So bedeutet eine Latenzzeit bis zum Auftreten von Symptomen eines
posttraumatischen Belastungssyndroms (als Schädigungsfolge) nicht zugleich, dass die
Schädigung/der Schock als Zwischenglied der Kausalkette fehlt. Vielmehr erlauben
später aufgetretene Störungen ggfs. einen Rückschluss auf den Eintritt eines
entsprechend gewichtigen psychischen Traumas. Folgen psychischer Traumen können
auf vielfältige Art in Erscheinung treten. Bereits die Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit (AHP), deren Vorgaben die Gerichte und der Beklagte als allgemeine
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Tatsachen zu beachten hatten, benannten solche der unterschiedlichsten Art,
Ausprägung, Auswirkung und Dauer; auch zunächst symptomlose psychische
Störungen oder Persönlichkeitsveränderungen. In der herrschenden medizinischen
Lehre wird die Möglichkeit einer Latenzzeit von "wenigen Wochen bis zu Monaten"
zwischen dem Trauma und dem Ausbruch der psychischen Erkrankung beschrieben
(BSG, a.a.O.).
Es ist dementsprechend schlichtweg falsch, wenn Herr Dr. A in seiner
versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.09.2009 vorträgt, die seelische
Erstreaktion der Klägerin sei maßgebend bzw. Herr (Frau?) T2 einen "emotionalen
Schockzustand" (z.B. Erstarren, völlige Fassungslosigkeit mit Verwirrung, psychische
Erregung, hemmungsloses Weinen etc.) nach Bekanntwerden der Tat fordert. Im
Gegensatz zu der Auffassung von Dr. A muss der Schweregrad des Ereignisses auch
nicht vergleichbar mit einem lebensbedrohlichen Zustand sein. Zwar wurden in den
AHP als Belastungen nur "Kriegsgefangenschaft, rechtsstaatswidrige Haft in der DDR"
sowie "Geiselnahme, Vergewaltigung" aufgeführt; bei dieser Aufzählung handelte es
sich jedoch ausdrücklich um Beispielsfälle, die den Schweregrad der psychischen
Belastung zum Ausdruck bringen sollten. Eine posttraumatische Belastungsstörung wird
in den ICD als eine Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer
oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem
Ausmaß beschrieben, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.
Hierzu kann nach den herrschenden medizinischen Erkenntnissen auch die
Kenntnisnahme von dem gewaltsamen Tod eines nahen Angehörigen zählen (BSG,
a.a.O.). Die Kammer hat insofern keinen Zweifel daran, dass zu diesen Ereignissen
auch die Kenntnisnahme von einem schweren sexuellen Missbrauch der Kinder durch
den eigenen Ehemann und Stiefvater zählt. Die Sachverständige Frau Dr. Q1 hat in
ihrem Gutachten insofern ausdrücklich festgestellt, dass es durch die Kenntnisnahme
eines schweren sexuellen Missbrauches bzw. einer schweren Schädigung der
leiblichen Kinder (schwere Verletzung, Tod) gehäuft als Folge zu der Ausbildung einer
klinisch relevanten depressiven Symptomatik kommt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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