Urteil des OLG Hamm vom 17.01.2011
OLG Hamm (wohl des kindes, kind, mutter, eltern, jugendamt, persönliche beziehung, beziehung, elterliche sorge, kindeswohl, pflegeeltern)
Oberlandesgericht Hamm, II-8 UF 133/10
Datum:
17.01.2011
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-8 UF 133/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Gronau, 13 F 16/10
Normen:
§§ 1666, 1684 BGB
Leitsätze:
Zum Umgangsrecht der Mutter eines vierjährigen Kindes, wenn dieses
kurz nach der Geburt vom Jugendamt in Obhut genommen war und sich
seit dem Alter von drei Monaten in einer Pflegefamilie befindet.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Antragstellerin wird ein Umgangsrecht mit der am 31.8.2006
geborenen W eingeräumt, und zwar für jeweils 1 bis 1 ½ Stunden an 6
Terminen im Jahr, die jeweils im Abstand von rund 2 Monaten in
Begleitung einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters des Jugendamtes
Z1 oder einer von diesem beauftragten Person - wobei die genaue
Ausgestaltung und der jeweilige konkrete Termin der Bestimmung des
Jugendamtes vorbehalten bleibt - stattfinden sollen.
Gerichtskosten für das Verfahren erster Instanz sowie für das
Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten
beider Instanzen werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3000,-- € festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Die antragstellende Kindesmutter und das beteiligte Jugendamt streiten vorliegend
darüber, ob und in welchem Umfange der Kindesmutter ein Umgangsrecht mit ihrem in
einer Pflegefamilie lebenden Kind W einzuräumen ist.
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Die am 30.6.1974 in Kasachstan geborene Antragstellerin besaß das alleinige
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Sorgerecht für ihr nicht in einer Ehe geborenes Kind W, dessen Vater die jugoslawische
Staatsangehörigkeit besaß und mehrfach wegen BTM-Vergehen verurteilt worden war.
Bereits zuvor hatte sie ein Kind geboren, nämlich die am 19. 6. 1993 geborene Tochter
W2. Die Kindesmutter reiste zusammen mit diesem Kind und ihren Eltern im Jahr 1995
in die Bundesrepublik ein. Seit 1997 konsumierte sie Heroin, das sie zunächst rauchte
und später auch spritzte. Nachdem im Jahre 2004 der Verdacht der
Kindesvernachlässigung aufkam, gab es vermehrt Beratungsgespräche mit dem
Allgemeinen Sozialen Dienst. Da die Kindesmutter aufgrund ihrer Drogensucht nicht in
der Lage war, sich um die Betreuung und Erziehung von W2 zu kümmern, verblieb
diese im Einverständnis mit der Kindesmutter und dem Jugendamt bei den Großeltern,
wo sie auch heute noch lebt und ihren Lebensmittelpunkt hat.
Die Kindesmutter begann im Jahre 2004 eine Therapie in Form der
Methadonsubstitution; wegen ständigen Beigebrauchs wurde diese jedoch
abgebrochen. Aufgrund der Schwangerschaft mit W unternahm sie im Jahre 2006 erneut
einen Therapieversuch mittels Substitution, der ebenfalls vorzeitig wegen erneuten
Beigebrauches abgebrochen wurde. Daraufhin beantragte das Jugendamt den Entzug
der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB. Seit dem 9.3.2007 - also während des
entsprechenden gerichtlichen Verfahrens - verbüßte die Antragstellerin in der JVA C
eine Haftstrafe wegen BTM-Vergehens. Durch Beschluss vom 29. 5. 2008 entzog das
Amtsgericht der Antragstellerin die elterliche Sorge. Hiergegen legte diese Beschwerde
zum Senat ein, die sie im 2. Verhandlungstermin in dieser Sache vor dem Senat am 13.
Mai 2009 zurücknahm, nachdem der Senat ihr deren Erfolglosigkeit vor Augen geführt
und die Vertreterin des Jugendamtes ihr gegenüber erklärt hatte, dass von Seiten des
Jugendamtes ein Umgang zwischen Mutter und Kind in begleiteter Form etwa vier bis
sechsmal im Jahr angedacht sei.
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Seit dem 14. 11. 2006 befindet sich W in einer Vollzeitpflegestelle; zuvor befand sie sich
ausschließlich im Krankenhaus, da sie 3 Tage nach der Geburt zum Drogenentzug in
das N-Spital S eingeliefert worden war, von wo aus sie 3 Monate später direkt in ihre
heutigen Pflegefamilie wechselte.
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Mit Antragsschrift vom 3.2.2010 beantragt die Kindesmutter, ihr ein Umgangsrecht
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mit ihrer Tochter W in ihrer eigenen Wohnung einzuräumen. Hierzu trägt sie
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vor, sie habe zwischenzeitlich eine Wohnung in Z1 angemietet, befinde sich im
Methadonprogramm und nehme schon seit über einem Jahr keine Drogen mehr. Es sei
für das Kindeswohl förderlich, wieder Umgangskontakt mit ihr zu haben. Ziel der
langsam anzubahnenden Umgangskontakte sei es jedoch, dass Mutter und Kind sich
auch außerhalb des Rahmens" Jugendamt " näher kennen lernen könnten. Es sei kein
Grund ersichtlich, der gegen eine Ausweitung des Umgangs sprechen würde. Sie selbst
sei "clean" und nehme weiterhin an Therapiemaßnahmen teil. Auch ihr
Bewährungshelfer habe sie als im Zustand einer stabilen Substitution befindlich
eingestuft, nachdem sie eine 6 Monate dauernde Langzeitentwöhnung und danach eine
auf 8 Monate angelegte ambulante Nachbetreuung erfolgreich absolviert habe. Auch ihr
behandelnder Hausarzt habe ihr bescheinigt, dass es seit über einem Jahr zu keinerlei
Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Therapievorgaben gekommen sei.
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Das beteiligte Jugendamt ist dem Antrag entgegengetreten und hat ausgeführt, dass am
25. 8.2009 ein erstes Kennenlerntreffen zwischen Pflegeeltern und der Antragstellerin
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und der erste persönliche Umgang zwischen ihr und ihrem Kind dann am 22.9.2009 im
Stadtpark in Z1 stattgefunden haben. Da das Kind keine bewusste Erinnerung an seine
Mutter habe, sei eine langsame Heranführung der leiblichen Mutter an das Kind
vorzunehmen. Die nächsten Umgangskontakte sollten am 16. März, 15. Juni, 14.
September und 14. Dezember 2010 stattfinden. Es müsse abgewartet werden, wie diese
Umgangskontakte ablaufen würden. Ziel der Kontakte sei zum jetzigen Zeitpunkt, der
Kindesmutter die Möglichkeit zu geben, zu erleben, wie sich ihr Kind entwickelt, da nach
der Entbindung des Kindes von Seiten der Mutter keine Mutter-Kind-Beziehungsstruktur
aufgebaut worden sei.
Nach Anhörung der Kindesmutter sowie des Jugendamtes hat das Amtsgericht durch
Beschluss vom 17.5.2010 den Antrag der Kindesmutter zurückgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die beantragte Erweiterung und
Ausgestaltung der von der Antragstellerin begehrten Umgangskontakte - über das ihr
vom Jugendamt zugestandene Maß von 4 begleiteten Umgangskontakten im Jahr
hinaus - entspreche nicht dem Wohl des Kindes. Dieses habe nach einem schweren
Start ins Leben eine umfassende Bindung an die Pflegeeltern entwickelt. Die Pflege und
Erziehung des Kindes erfordere sowohl ein erhebliches Maß an Zuwendung und Mühe
als auch eine verlässliche Struktur mit gleichbleibendem Umfeld. Zwar habe die
Kindesmutter inzwischen offensichtlich eine erfreuliche Entwicklung durchgemacht, dies
dürfe jedoch nicht dazu führen, dass das Kind aus den inzwischen gewachsenen
Bindungen und Strukturen herausgenommen werde. Vielmehr sei eine Ebene zu finden,
auf der die Kindesmutter Kontakte zu ihrem Kind erhalte, ohne dass die emotionalen
Bindungen des Kindes an die Pflegefamilie, die diesem dauerhaft Sicherheit und
Perspektive böten, gefährdet würden. Diese Kontakte könnten nur so behutsam
ausgeweitet werden, wie es inzwischen geschehe, ein deutliches Mehr gehe weit
darüber hinaus. Das Kind müsste dazu über mehrere Stunden des Tages seine
vertraute Umgebung bei den Pflegeeltern verlassen, ohne dass die Anwesenheit der
Kindesmutter, an die das Kind keine Bindung habe, einen entsprechenden Ausgleich an
Emotion und Vertrauen darstellen könnte.
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Mit ihrer zulässigen Beschwerde wendet sich die Kindesmutter gegen diese
Entscheidung und begehrt nunmehr, ihr ein Umgangsrecht alle 14 Tage von
Freitagnachmittag 18:00 Uhr bis Sonntagabend 18:00 Uhr sowie in der Hälfte der
jeweiligen Ferienzeiten einzuräumen, in der sie das Kind besuchsweise zu sich
nehmen könne. Sie rügt, dass kein Verfahrenspfleger hinzugezogen worden oder ein
entsprechendes Gutachten eingeholt worden sei, ob und in welchem Umfang es
möglich sei, den beiderseitigen Interessen - nämlich einerseits dem
Kindeswohlinteresse und andererseits ihrem Interesse an dem Umgang mit ihrem Kind -
gerecht zu werden. Das Jugendamt der Stadt Z1 habe seit über einem Jahr keinen
richtigen Besuchskontakt zwischen ihr und der Tochter zugelassen. Erst 3 Monate und
10 Tage nach dem letzten Verhandlungstermin vor dem Senat sei es zu einem Termin
gekommen, in dem sie jedoch lediglich die Möglichkeit gehabt habe, ihr Kind aus weiter
Ferne zu beobachten. Erst 5 Monate später sei, nachdem sie immer wieder nachgefragt
habe, ein 2. Kontakt hergestellt worden, wobei es ihr im Wesentlichen auch nur gestattet
worden sei, ihr Kind aus der Ferne zu sehen. Sie wolle jedoch auf jeden Fall, dass ihre
Tochter sie besser kennen lerne. Von ihr gehe jedenfalls keine Gefahr mehr für das
Kindeswohl aus.
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Das beteiligte Jugendamt hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass W eine enge
emotionale und soziale Bindung zu ihren Pflegeeltern, Pflegebruder und Großeltern
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aufgebaut habe. Sie sei altersentsprechend entwickelt; inwieweit die Drogenproblematik
noch Auswirkungen auf ihre Entwicklung habe, werde erst die Zukunft zeigen. Sie zeige
jedoch eine recht positive Entwicklung trotz ihrer schlechten Startbedingungen ins
Leben. Die Kindesmutter sei für das Kind während der ersten 3 Lebensjahre nicht
greifbar gewesen. Für das Jahr 2010 seien 4 Umgangstermine vorgesehen, im nächsten
Jahr sei dann angedacht , 6 Termine zwischen Kind und Mutter stattfinden zu lassen.
Beim Umgangskontakt am 16.3.2010 habe die Kindesmutter gemeinsam mit der
Pflegemutter und der Vertreterin des Jugendamtes ein offenes Spielgerät in einem
kleinen Einkaufszentrum mit W aufgesucht. Am 22. Juni 2010 hätten sich alle Beteiligten
auf einem Abenteuerspielplatz in B getroffen. Auch bei diesem Treffen habe die
Kindesmutter wiederum – abredewidrig - unbeobachteten Kontakt zu ihrer Tochter
gesucht. In den folgenden Tagen habe das Kind dann sehr unruhig geschlafen, sei
nachts wach geworden und habe geweint. Da der soziale Bruder von W auch ein
Pflegekind sei und die Pflegefamilie gut in der Gruppe der Gronauer Pflegefamilien
integriert sei, sei der Status Pflegekind bei dieser kein Tabuthema. Es bedürfe jedoch
viel Einfühlungsvermögen und Zeit, um mit W zu erarbeiten, dass die Antragstellerin ihre
leibliche Mutter sei. Der nächste Umgangskontakt habe in den Räumlichkeiten des
Jugendamtes stattgefunden. Zu diesem Termin sei die Antragstellerin ohne vorherige
Absprache und entgegen früherer Übereinkünfte mit ihrer 17-jährigen Tochter
erschienen, wobei die dadurch entstandene Situation für alle Beteiligten sehr
unangenehm gewesen sei. Jedenfalls sei die Kontaktanbahnung zwischen der
Antragstellerin und ihrem Kind hierdurch deutlich erschwert worden. Seit Februar 2010
habe es zwischen der Kindesmutter und dem Jugendamt neben den eigentlichen
Umgangskontakten keinerlei weitere Kontakte gegeben, insbesondere habe sich die
Kindesmutter zwischenzeitlich auch nicht nach dem Wohlergehen ihres Kindes
erkundigt. Telefonisch sei sie auch nicht erreichbar. Der Antrag, die Umgangskontakte
erheblich auszuweiten und dauerhaft ohne Begleitung durchzuführen, könne jedenfalls
nicht befürwortet werden, da das Kind nicht aus den inzwischen gewachsenen
Bindungen und Strukturen herausgenommen werden könne. Eine Ausweitung würde
dazu führen, dass das Kind über mehrere Stunden oder Tage seine vertraute
Umgebung verlassen müsste und keine Person in ihrer Nähe habe, zu der es eine
Bindung und entsprechendes Vertrauen und emotionale Sicherheit habe. Dies würde W
erheblich in ihrer Entwicklung beeinträchtigen. Ziel der Umgangskontakte sei es
vielmehr, eine Ebene zu finden, auf der die Kindesmutter Kontakt zu ihrem Kind erhalte,
ohne dass die emotionalen Bindungen an die Pflegefamilie gefährdet würden.
Mit Beschluss vom 5. August 2010 hat der Senat gemäß § 158 FamFG einen
Verfahrensbeistand für das betroffene Kind bestellt.
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Im Senatstermin vom 27. 10. 2010 ist die Kindesmutter nicht erschienen. In diesem
Termin hat der Senat die übrigen Beteiligten einschließlich des Kindes W angehört. Im
Anschluss hieran hat der Senat der Antragstellerin Gelegenheit gegeben, ihr
Nichterscheinen zu entschuldigen sowie zu Erörterungen im Senatstermin Stellung zu
nehmen. Zur Begründung ihres Nichterscheinens zum Senatstermin hat die
Antragstellerin angegeben, dass sie sich mit dem Auto verfahren habe und es ihr
deshalb nicht möglich gewesen sei, noch rechtzeitig zum Senatstermin zu erscheinen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 27. Oktober 2010
Bezug genommen.
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II.
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Gemäß Art. 111 FGG-RG sind auf das vorliegende Verfahren die nach Inkrafttreten des
Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden Die demnach
gemäß §§ 58,59, 63 und 64 FamFG zulässige - insbesondere form- und fristgerecht
eingelegte - Beschwerde der beteiligten Kindesmutter hat auch in der Sache Erfolg,
wenn auch nur ein eingeschränktes Umgangsrecht anzuordnen war. Denn der
Antragstellerin ist gemäß § 1684 Abs. 1 BGB ein Umgangsrecht mit ihrer Tochter W
einzuräumen, dessen nähere Ausgestaltung sich aus dem vorstehenden
Beschlusstenor ergibt. Ein Ausschluss des Umgangsrechts auf Dauer oder für längere
Zeit, der faktisch vom Amtsgericht durch die Zurückweisung des Antrages der
Antragstellerin auf Gewährung von Umgang herbeigeführt wurde, ist nicht gerechtfertigt.
Denn für einen derartigen längerfristigen Ausschluss ist gemäß § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB
erforderlich, dass andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Einer zu
befürchtenden Kindeswohlgefährdung durch den Umgang zwischen W und ihrer Mutter
kann jedoch durch die vom Senat angeordneten Einschränkungen gemäß § 1684 Abs.
4 BGB zuverlässig begegnet werden.
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1. Regelungsgrundlage für den begehrten Umgangskontakt ist § 1684 BGB, wonach
sowohl das Kind selbst einen Anspruch auf Umgang mit seiner leiblichen Mutter als
auch umgekehrt diese mit ihrem Kind hat. Dies gilt auch dann, wenn den Eltern oder
einem Elternteil das Sorgerecht entzogen worden ist und der Vormund das Kind in eine
Dauerpflegefamilie gegeben hat Dieses Recht darf nur eingeschränkt werden, soweit
dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist, § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB. Eine
Entscheidung, die das Umgangsrecht für längere Zeit ausschließt oder auch nur
einschränkt, darf nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.
Die Einschränkung oder sogar ein Ausschluss kommt also nur als äußerste Maßnahme
zur Abwendung einer konkreten, gegenwärtigen Gefährdung der körperlich und geistig-
seelischen Entwicklung des Kindes in Betracht. Dabei ist zunächst davon auszugehen,
dass die Ausübung des Umgangsrechtes in der Regel zum Wohl des Kindes gehört.
Wie der Senat wiederholt - so zum Beispiel in seinen Beschlüssen vom 10.11.2003 ( 8
WF 300/03- FamRZ 2004, 1310 folgende) und 30.12. 2003 (8 WF 383/03) - ausgeführt
hat, darf die Inpflegenahme von Kindern nicht schematisch zu einem Kontaktabbruch mit
den leiblichen Eltern führen. Denn grundsätzlich handelt es sich bei einer
Inpflegenahme von Kindern nur um eine vorübergehende Maßnahme, die zu beenden
ist, sobald die Umstände dies erlauben. Alle Durchführungsmaßnahmen im Rahmen der
Inpflegenahme müssen mit dem anzustrebenden Ziele der Zusammenführung von
leiblichen Eltern mit ihren Kindern im Einklang stehen (EuGHMR FamRZ 2002,1393,
1397 Fall "Kutzner"). Hieraus folgt zugleich, dass den Vormund mit Beginn der
Inpflegemaßnahme die Verpflichtung trifft, stets zu prüfen, ob eine
Familienzusammenführung möglich ist und durch welche Maßnahmen diese erleichtert
und gefördert werden kann. Einer wachsenden Entfremdung zwischen leiblichen Eltern
und ihren Kindern ist entgegenzuwirken. Nur im Interesse der Wahrung der
Kindesbelange ist es dem Staat als Wächter über das Kindeswohl gestattet, derartig
schwerwiegende Eingriffe in das verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht gemäß
Artikel 6 II Satz 1 GG vorzunehmen.
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2. Die tatsächlich vom Jugendamt der Kindesmutter bisher gewährten lediglich 4
Umgangskontakte im Jahr, davon in 2 Fällen praktisch nur durch Sichtkontakt aus der
Ferne, werden diesen Anforderungen (noch) nicht gerecht. Zwar musste W der
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Antragstellerin unmittelbar nach der Geburt entzogen werden und konnte angesichts
ihres Alters auch nicht in einem Heim verbleiben, sondern bedurfte dringend der
persönlichen Pflege und Betreuung in einer Familie, um ihr überhaupt eine
Entwicklungschance zu bieten. Hierdurch bedingt besteht derzeit keine persönliche
Beziehung des Kindes zur Antragstellerin. Jedoch ist bei allen
Durchführungsmaßnahmen - wie bereits dargelegt - einer wachsenden Entfernung
zwischen leiblichen Eltern und Kindern entgegenzuwirken, was auch dann gilt, wenn
das Kind selbst nicht den Wunsch äußert (und dies aktuell mangels Kenntnis auch gar
nicht kann), Umgang mit seiner Mutter haben zu wollen.
Zudem erscheint es auch durchaus nicht sicher, ob auf Dauer - also bis zur
Volljährigkeit des Kindes W - eine generelle Erziehungsungeeignetheit und
Unzuverlässigkeit der Kindesmutter angenommen werden kann. Auch wenn der Senat
es angesichts der Vorstrafen und der Rückfälle der Kindesmutter in eine BTM-
Abhängigkeit in der Vergangenheit noch im Mai 2009 dringend für erforderlich hielt, die
Sorgerechtsentziehung aufrechtzuerhalten, so können doch geänderte und über einen
längeren Zeitraum stabile Lebensumstände der Kindesmutter dazu führen, dass diese
nicht mehr als ungeeignet zur Versorgung und Betreuung ihres Kindes anzusehen ist.
Da mithin generell auf einen längeren Zeitraum hin gesehen eine Rückführung
(Aufnahme) des Kindes W in den mütterlichen Haushalt nicht von vornherein
ausgeschlossen erscheint, ist ein völliger Ausschluss des Umgangs nicht gerechtfertigt,
ebenso wenig jedoch auch dessen Einschränkung auf ein Maß, welches tatsächlich
einem Ausschluss sehr nahe kommt. Vielmehr ist ein -vorsichtig angebahnter und
zunächst behutsam durchgeführter - Kontakt dringend erforderlich, um einer
bestehenden Entfremdung zwischen Mutter und Kind entgegenzuwirken und langfristig
eine Beziehung aufzubauen, die grundsätzlich zu einer Rückführung des Kindes in den
Haushalt seiner Mutter führen könnte.
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3. Auch wenn im Grundsatz der Umgang eines Kindes mit seinen leiblichen Eltern dem
Kindeswohl dient, so bedarf es jedoch nach einem Aufenthalt von mehr als 4 Jahren
während des prägenden Kleinkindalters in einer Pflegefamilie und dem
Nichtvorhandensein emotionaler Bindungen zur leiblichen Mutter im Einzelfall einer
konkreten Abwägung zwischen der Gefährdung des Kindeswohls durch
Umgangskontakte einerseits und dem rechtlich geschützten Interesse der Eltern an dem
Umgang mit ihrem leiblichen Kind andererseits. Einer derartigen Gefährdung kann
jedoch hier durch die Anordnung eines nur begleiteten Umgangs sowie eine zeitliche
Begrenzung der Umgangskontakte begegnet werden.
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a) Gerade bei Inobhutnahme eines Säuglings in einer Pflegefamilie - wie vorliegend -
entwickelt sich eine Beziehung, die alle psychologischen Elemente einer gut
funktionierenden Eltern-Kind-Beziehung enthält. Für das Kindeswohl spielt nämlich die
Art und Weise des Zustandekommens des Pflegeverhältnisses keine Rolle. Die
existenzielle Eltern-Kind-Beziehung ist nicht an die leibliche Elternschaft gebunden und
kann nach den Erkenntnissen moderner Kinderpsychologie zu Pflegeeltern
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ebenso tragfähig wie zu leiblichen Eltern sein. Denn eine solche Beziehung baut sich
durch Pflege und Zuwendung auf, die eine Bezugsperson dem Kind über längere Zeit
entgegenbringt (OLG Hamm FamRZ 1995, 1507). Die Herauslösung eines Pflegekindes
aus einer Pflegefamilie, in der es durch längeren Aufenthalt verwurzelt ist, ist deshalb
mit dem Kindeswohl nur zu vereinbaren und nur zulässig, wenn sie ohne die Gefahr
einer erheblichen und nachhaltigen Störung der Kindesentwicklung durchgeführt
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werden kann. Allein schon durch zu intensive Umgangskontakte mit der leiblichen
Mutter, bei denen zu befürchten ist, dass jene ihre Mutterrolle gegenüber dem erst
vierjährigen Kind herausstreicht und damit die Position des Kindes in der Pflegefamilie -
bewusst oder auch nur unbewusst - infrage stellt, kann das Kindeswohl gefährdet sein.
Ein Kind im Alter von 4 Jahren braucht eine feste Bindung. Dem Kind gegenüber ist
offensichtlich von vornherein nie in Frage gestellt worden, dass es auf Dauer bei seinen
Pflegeeltern leben wird. Damit hat das Kind sein gesamtes bewusstes Leben im
Haushalt der Pflegeeltern verbracht und diese mit den Begriffen und Vorstellungen von
Familie und Eltern besetzt. Wenn es befürchten muss, dass es aus seiner sozialen
Familie herausgenommen wird und zu einer ihm völlig fremden "Mutter" übersiedeln
muss, wird es in seiner Entwicklung erheblich gefährdet. Diese Angst vor einer
Herausnahme kann bei dem Kind bereits durch Verhaltensweisen der Antragstellerin
entstehen, ohne dass dies von jener ausdrücklich ausgesprochen oder aktuell
letztendlich gewollt wird. Allein durch die Betonung gegenüber dem Kind, sie sei
dessen tatsächliche Mutter, wird dieses erheblich in seinen sozialen Bindungen
erschüttert.
b) Im Hinblick hierauf ist sicherzustellen, dass zwar ein Umgang zwischen der
Antragstellerin und ihrem Kind besteht, dieser jedoch (zumindest zunächst ) in einem
zeitlich eingeschränkten Rahmen stattfindet. Weiterhin muss durch die Ausgestaltung
des Umgangs sichergestellt werden, dass aus Sicht des Kindes seine soziale Position
im Rahmen der Pflegefamilie in keiner Weise gefährdet wird. Von daher scheidet ein
längerer Aufenthalt- insbesondere mit Übernachtung - im Haushalt der Antragstellerin
auf absehbare Zeit aus, zumal aufgrund der eingetretenen Entwicklung nicht davon
ausgegangen werden kann, dass W in absehbarer Zeit in den Haushalt ihrer Mutter wird
wechseln können. Eine unkontrollierte Überlassung des Kindes mehrmals im Monat für
einen Zeitraum von mehreren Stunden würde lediglich zu einer weiteren
Verunsicherung des Kindes und zur Gefahr des Verlustes seiner sozialen Bindungen
und damit einer Gefährdung seiner allgemeinen Sozialisation mit den sich
möglicherweise daraus ergebenden schwerwiegenden Folgen führen. Andererseits
kommt aus den eingangs dargestellten Gründen ein gänzlicher Ausschluss des
Umgangsrechts nicht in Betracht. Zur Anbahnung und Stabilisierung einer persönlichen
Beziehung zwischen Mutter und Kind hält es der Senat für erforderlich, dass
Umgangskontakte an 6 Terminen im Jahr - wobei diese selbst zwischen 1 und
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1½ Stunden andauern sollten - stattfinden. Um hierbei zu gewährleisten, dass die
Antragstellerin gegenüber W nicht in einer Art auftritt, die zu einer Erschütterung deren
gefestigter Lebensumstände führt und sie von den Personen, zu denen sie eine
vertrauensvolle Beziehung aufgebaut hat, entfremdet, können im Kindeswohlinteresse
diese Umgangskontakte nur in Begleitung von Jugendamtsmitarbeitern oder von diesen
beauftragten Personen stattfinden. Die Ausgestaltung des konkreten jeweiligen
Umgangskontaktes ist vor diesem Hintergrund dem Jugendamt anheim zu stellen, da
eine derartige Regelung für eine reibungslose Abwicklung der Kontakte im
wohlverstandenen Interesse des Kindes vonnöten erscheint.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG; die Festsetzung des
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Gegenstandswertes findet ihre Rechtsgrundlage in § 45 Abs. 1 FamGKG.
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