Urteil des OLG Frankfurt vom 15.03.2006

OLG Frankfurt: vertragliche haftung, obliegenheit, feststellungsklage, transportversicherung, leistungsklage, versicherungsnehmer, frachtführer, selbstbehalt, versicherungsschutz

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Gericht:
OLG Frankfurt 7.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 118/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 305c Abs 1 BGB, § 307 Abs 1
S 2 BGB
(Transportversicherung: Mitversicherung von
Wechselbrücken; Obliegenheit zur ordnungsgemäßen
Sicherung von beladenen Fahrzeugen)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 14. Kammer für Handelssachen
des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20.05.2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Feststellung von Gewährung von Deckungsschutz
aus Einbruchsdiebstählen vom 25./26.05.2002 und vom 01./02.06.2002, hilfsweise
auf Deckung aus einer zwischen den Parteien bestehenden Frachtführer-
Haftpflichtversicherung in Anspruch genommen. An diesen Tagen hätten
unbekannte Täter die versicherten, auf dem eingezäunten und überwachten
Gelände in ... abgestellten und verschlossenen Wechselbrücken aufgebrochen und
zahlreiche Pakete entwendet, wofür die Klägerin gegenüber den Absendern haftbar
sei.
Die Beklagte hat die Zulässigkeit der Feststellungsklage hinsichtlich des zweiten
Schadensereignisses bestritten, da die Höhe des behaupteten Schadens nicht den
vereinbarten Selbstbehalt überschreite. Hinsichtlich des ersten
Schadensereignisses sei die Deckungspflicht deshalb ausgeschlossen, weil die
Wechselbrücken nicht vom Versicherungsschutz umfasst gewesen seien, die
Leistungspflicht jedenfalls wegen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des
Versicherungsfalles und wegen einer nach Ziffer 9.1.2. zu bewertenden
Obliegenheitsverletzung aufgrund unzureichender Sicherung der beladenen und
abgestellten Fahrzeuge ausgeschlossen sei.
Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil, wegen dessen Einzelheiten auf
Bl. 450 ff. d. A. verwiesen wird, die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin die Abänderung der angefochtenen
Entscheidung und die Verurteilung der Beklagten entsprechend den erstinstanzlich
verfolgten Anträgen. Die Klägerin vertritt die Auffassung, die in dem
Transportversicherungsvertrag enthaltene Verpflichtung zur Sicherstellung einer
ausreichenden angemessenen Bewachung der Ladung stelle keine wirksame
Begründung einer Obliegenheit dar. Jedenfalls könne der Klägerin nicht
vorgeworfen werden, eine solche – unterstellt wirksame – Obliegenheit schuldhaft
verletzt zu haben. Aufgrund der von der Klägerin vorgefundenen Sicherungen sei
sie ohne Sorgfaltspflichtverletzung davon ausgegangen, dass sie eine
ausreichende Bewachung vorgenommen habe.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung
ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie hält die Feststellungsklage für unzulässig,
da es der Klägerin mehr als drei Jahre nach den Schadensereignissen möglich sei,
die vorrangige Leistungsklage zu erheben, so dass der Feststellungsklage das
Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Klausel Ziffer 9.1.2. des Versicherungsvertrages
sei auch wirksam. Sie zeige ein allgemeines Sicherungsinteresse auf, das durch
eine vernünftige Risikoverteilung dem Versicherungsnehmer auferlege, im Rahmen
seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu ergreifen, die den Eintritt versicherter Risiken
vermeiden helfen könnten. Die von der Klägerin vorgefundenen
Sicherungsmaßnahmen seien unzureichend gewesen. Das Gelände, auf dem die
Fahrzeuge abgestellt worden seien, sei nicht regelmäßig bewacht und durchstreift
worden. Die in der Nachbarschaft des Abstellplatzes bewachten Firmengelände
seien so weit von dem Abstellort der Wechselbrücken entfernt gewesen, dass
irgendein Schutz dieser Firmen auf die Wechselbrücken nicht ausgestrahlt habe.
Ein großer Teil des Geländes, auf dem die Wechselbrücken abgestellt gewesen
seien, habe im nicht durch Lampen beleuchteten Teil des Grundstücks gelegen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird zur
Ergänzung auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen.
II.
Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete
Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Das Landgericht ist in der angefochtenen Entscheidung mit Recht davon
ausgegangen, dass hinsichtlich des Schadensfalles vom 01./02.06.2002 ein
Feststellungsinteresse nicht gegeben ist. Da der behauptete Schaden den
zwischen den Parteien vereinbarten Selbstbehalt nicht übersteigt, ist ein
Deckungsanspruch der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegeben,
so dass ein Rechtsschutzinteresse an einer solchen Feststellung nicht besteht. Die
Klägerin ist dieser Begründung der angefochtenen Entscheidung auch nicht
entgegengetreten.
Das Landgericht ist auch mit Recht davon ausgegangen, dass die Klage
hinsichtlich des ersten Schadensfalles unbegründet ist. Von einer Unzulässigkeit
des Feststellungsbegehrens kann jedoch nicht ausgegangen werden. Ob nunmehr
die Erhebung einer Leistungsklage möglich wäre, kann auf sich beruhen. Das
Feststellungsinteresse entfällt nicht, wenn der Übergang zu einer Leistungsklage
nach Rechtshängigkeit der Feststellungsklage möglich wird (vgl. auch BGH NJW
1984, 1552 (1554); Heidelberger Kommentar – ZPO Senger § 256 Rdn. 12).
Der sich – vorbehaltlich des unten dargestellten Deckungsausschlusses aufgrund
Obliegenheitsverletzung durch die Klägerin – aus § 1 VVG in Verbindung mit Ziffern
1. und 2. des Versicherungsvertrages ergebende Deckungsanspruch der Klägerin
begründete eine Haftpflichtversicherung der Klägerin, die an ihre vertragliche
Haftung gegenüber Transportkunden anknüpfte. Insoweit lagen Transportverträge
der Klägerin mit ihren jeweiligen Kunden vor, die unter den im Deckungsprozess
nicht zu prüfenden Voraussetzungen des § 429 HGB eine Haftung der Klägerin
begründen konnten. Ausreichend für die Begründung eines Deckungsanspruchs
war es, dass die Klägerin anführte, von ihren Kunden auf Schadensersatz in
Anspruch genommen worden zu sein. Entgegen der Ansicht der Beklagten
erstreckte sich der Versicherungsschutz auch auf die Wechselbrücken. Dass die
Wechselbrücken kein versichertes Fahrzeug im Sinne der Ziffer 1. des
Versicherungsvertrages in Verbindung mit dem Fahrzeugverzeichnis sind,
rechtfertigt nicht den Schluss, dass damit die Wechselbrücken nicht vom
Versicherungsvertrag erfasst sind. Vielmehr lässt sich dem Verzeichnis aufgrund
der angeführten Nutzlast entnehmen, dass nicht lediglich die Zugmaschine,
sondern auch die jeweils zugehörigen Auflieger mit Wechselbrücken versichert sein
sollten.
Die Beklagte ist jedoch wegen einer der Klägerin vorzuwerfenden, vor Eintritt des
Schadensfalles schuldhaft begangenen Obliegenheitsverletzung gemäß Ziffer
9.1.2. des Versicherungsvertrages leistungsfrei geworden. Die Klägerin ist ihrer
darin wirksam geregelten Obliegenheit nicht nachgekommen, für eine
ordnungsgemäße Sicherung beladener Fahrzeuge zu sorgen, insbesondere
Nachts oder während der Ruhepausen Maßnahmen für eine ausreichende und
angemessene Bewachung zu treffen.
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Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Klausel nicht unwirksam. Sie widerspricht
nicht der Bestimmung des § 15 a VVG mit der Folge einer Unwirksamkeit deshalb,
weil abweichend von § 6 Abs. 1 S. 3 VVG von einer Verpflichtung zur Kündigung
abgesehen wird. Da für den Bereich der Transportversicherung Vertragsfreiheit gilt,
greift die Vorschrift des § 15 a VVG nicht ein, so dass die Abweichung hiervon
unbeachtlich ist (vgl. auch OLG Köln VersR 1994, 977 (978); OLG Köln VersR 1991,
770 (771)).
Die Klausel ist auch nicht wegen Verstoßes gegen § 305 c BGB eine
überraschende Bestimmung. Versuche des Versicherers, zur Begrenzung des
Diebstahlsrisikos eine Bewachungsobliegenheit einzuführen, sind nicht so
ungewöhnlich, dass ein Frachtführer nicht damit rechnen müsste (vgl. auch OLG
Köln VersR 1994, 977).
Die Klausel ist auch nicht nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Entgegen der
Auffassung der Klägerin ist die Bestimmung nicht unklar und unverständlich. Dass
dem Versicherungsnehmer konkrete Maßnahmen der Bewachung nicht
vorgegeben werden, führt nicht zur Unwirksamkeit der Bestimmung. Da Art und
Umfang der notwendigen Bewachungsmaßnahmen sich nach den konkreten
Umständen zu richten hatten, wäre eine Aufzählung konkreter, zur Sicherung der
Ladung erforderlicher Maßnahmen nicht möglich gewesen, hätten in jedem Falle
aber eine unzulässige Vertragsgestaltung dann begründet, wenn eine
Notwendigkeit der Maßnahme bei Würdigung der konkreten Gestaltung des
Abstellplatzes nicht zu erkennen war. Damit genügte es, dass die Bestimmung
zum Ausdruck brachte, dass für beladene Fahrzeuge nachts für Bewachung zu
sorgen sei, wobei auf den Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Kaufmannes
abzustellen war. Nach dem unstreitigen Sachverhalt hat die Klägerin die sie
danach treffende Obliegenheit zur ausreichenden Bewachung verletzt. Der Senat
geht davon aus, dass die Klägerin die Aufzeigelast für die getroffenen
Bewachungsmaßnahmen traf, da die für das Vorliegen der
Obliegenheitsverletzung beweispflichtige Beklagte den Negativbeweis
unterbliebener Maßnahmen ansonsten nicht führen könnte.
Dem Vortrag der Klägerin kann nicht entnommen werden, dass die nach ihrer
Darstellung vorhandenen Sicherungsmaßnahmen dem durch Ziffer 9.1.2. des
Versicherungsvertrages vorgeschriebenen Standard genügten. Das gilt zunächst
für die nach der Darstellung der Klägerin durchgeführten unregelmäßigen
Streifengänge und –fahrten der Polizei im Bereich des Industriegebietes. Da die
Klägerin auch nach Aufforderung des Landgerichts in dem Beschluss vom
18.06.2004 nicht angegeben hatte, wie oft, insbesondere auch an Wochenenden,
und in welcher Art und Weise auf dem Industriegelände Streifengänge und
Streifenfahrten unternommen worden sind, steht es nicht fest, dass die von
anderer Seite etwa getroffenen Maßnahmen geeignet waren, das Diebstahlsrisiko
herabzusetzen. Das Gleiche gilt für die von der Klägerin angeführten Streifengänge
der A GmbH. Auch insoweit hat die hierauf von dem Landgericht hingewiesene
Klägerin nicht vortragen lassen, in welcher Art und Weise hinsichtlich des erfassten
Geländes, der Häufigkeit, insbesondere auch an Wochenenden,
Kontrollmaßnahmen durchgeführt worden sind. Damit konnte nicht die
Feststellung getroffen werden, dass diese von anderer Seite getroffene Maßnahme
als ausreichende Bewachungsmaßnahme gewertet werden kann.
Die objektive Obliegenheitsverletzung der Klägerin indiziert ihr Verschulden, so
dass die Beklagte leistungsfrei geworden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür
nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.